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Freitag, 30. November 2012

Otto Reuter und Magnus Hirschfeld


aus 2007) 

(Titelverlinkung: Artikel im Standard zur späten Ehrung von Magnus Hirschfeld in Berlin; ein Teil des Spreeufers in Berlin Mitte wurde nach ihm benannt)

Während ich zum damals engsten Mitarbeiter Magnus Hischfelds - Dr. L. Lenz - bereits mehrfach geschrieben habe, fand ich heute im Standard von einem Poster ein Couplet, das Otto Reuter über diesen "Pionier der Sexualforschung" geschrieben hat. Und das angeblich vor dem 1. Weltkriege in Berlin recht populär war. Wie Hirschfeld.

"Herr Dr. Magnus Hirschfeld ist ein Sachverständiger
ja dieser Herr ist in Berlin jetzt riesig populär.
Der Hirschfeld hat, das geb ich zu, in manchen Punkten recht,
jedoch mir scheint beinah, er glaubt, die ganze Welt sei schlecht.
Er wittert überall Skandal.
Er hält fast keinen für normal.
Drum sieht man täglich in Berlin
Herrn Hirschfeld durch die Straßen ziehn.
Und jeder kriegt 'nen Schreck,
kommt Hirschfeld um die Eck!
Der Hirschfeld kommt!
Der Hirschfeld kommt!
Dann rücken alle aus.
Er holt aus allen Dingen sich noch was Verdecktes raus.
Der Hirschfeld sagt, selbst die Natur blamiert sich kolossal,
denkt an den letzten Sommer nur:
Auch der war nicht normal! [...]
Ich hab mal früher nen Freund gehabt,
jetzt sehn wir uns fast nie.
Wir haben früher "Du" gesagt,
jetzt sagen wir wieder "Sie".
Wir gingen als Freunde Hand in Hand,
das tun wir jetzt nicht mehr.[...]

Freilich, ob dem Poster dieses Couplet "eingefallen ist" wie er behauptet? ;-) Es findet sich im übrigen auf dieser Seite:
"http://www.schwulencity.de/hirschfeldlied.html"
Mehr zu Hirschfeld unter:
"http://de.wikipedia.org/wiki/Magnus_Hirschfeld"


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Als die Schönheit verschwand

Dann hob ein gewaltiger Engel einen Stein auf, so groß wie ein Mühlstein; er warf ihn ins Meer und rief: So wird Babylon, die große Stadt, mit Wucht hinabgeworfen werden, und man wird sie nicht mehr finden.

Die Musik von Harfenspielern und Sängern, von Flötenspielern und Trompetern hört man nicht mehr in dir. Einen kundigen Handwerker gibt es nicht mehr in dir. Das Geräusch des Mühlsteins hört man nicht mehr in dir.

Das Licht der Lampe scheint nicht mehr in dir. Die Stimme von Braut und Bräutigam hört man nicht mehr in dir. Deine Kaufleute waren die Großen der Erde, deine Zauberei verführte alle Völker.

Danach hörte ich etwas wie den lauten Ruf einer großen Schar im Himmel: Halleluja! Das Heil und die Herrlichkeit und die Macht ist bei unserm Gott. Seine Urteile sind wahr und gerecht. Er hat die große Hure gerichtet, die mit ihrer Unzucht die Erde verdorben hat. Er hat Rache genommen für das Blut seiner Knechte, das an ihren Händen klebte. 

(Offenbarung 18,1-2.21-23.19,1-3.9a)




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Intuitive Synthese aus Vernunft

Die Wahrheit ist "intuitiv-diskursiv". Sie ist eine beweisbare, d. h. diskursive Intuition. Um diskursiv zu sein, daß die Intuition nicht blind, dumpf begrenzt sein, sondern muß sich in die Unendlichkeit erstrecken - sozusagen eine sprechende, vernünftige Intuition sein. Um intuitiv zu sein, darf die Diskursion nicht ins Unendliche gehen, darf nicht nur möglich, sondern muß wirklich aktuell sein.

Die diskursive Intuition muß die synthetisierte, unendliche Reihe ihrer Begründungen enthalten; sie muß ihre ganze unendliche Reihe von Begründungen zu einer endlichen Größe, zur Einheit synthetisieren. Sie ist eine bis zur Unendlichkeit differenzierte Intuition, eine bis zur Einheit integrierte Diskursion. Wenn also die Wahrheit ist, so ist sie reale Vernünftigkeit und vernünftige Realität; sie ist endliche Unendlichkeit und unendliche Endlichkeit, oder (mathematisch) aktuelle Unendlichkeit, ein als totale Einheit, als einheitliches, in sich geschlossenes Subjekt gedachtes Unendliches. 

Aber als in sich vollendet enthält die Wahrheit die ganze Fülle der unendlichen Reihe ihrer Begründungen, die Tiefe ihrer Perspektive. Sie ist eine Sonne, welche sich selbst und das ganze Weltall mit ihren Strahlen erleuchtet. Ihr Abgrund ist ein Abgrund der Macht, nicht der Nichtigkeit.


P. Florenski, in "Die Säule und Grundfeste der Wahrheit"



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Der Kater hat längst begonnen

Neuerlich sei "The European" hier zitiert, in einem lesenwerten Bericht über die reale, aber eben real gar nicht vorhandene Wirkung der Internet-Vernetzung. Der in dieselbe Kerbe schlägt, wie hier seit langem geschlagen wird. Zwar sei die Empörungskultur ausgeprägt und groß, vernetzt, und immer aktuell und aufgeregt. Aber sie bewirkt nichts.

Vielmehr wird aus dem Bericht erkennbar, daß die einzelnen Gruppen untereinander perfekt vernetzt sind, aber wie hermetische Zellen im Insgesamt der Gesellschaft und auch der Öffentlichkeit dahinschwimmen. Niemand nimmt von ihnen Notiz, Empörungskampagnen im Internet bewirken überhaupt nichts. Das Internet bewegt gar nichts und niemanden.

Wollen sie wirklich etwas erreichen, ja wollen sie wirkliche Öffentlichkeit, müssen sie sich an herkömmliche Wege und Medien wenden. Erst dort wandelt sich Gruppenempörung in Öffentlichkeit. Das Rauschen im Internet ist nämlich keineswegs Parameter der Relevanz im wirklichen Leben. So stehen die Journalisten zwischen Schylla und Charybdis - einerseits sollten sie Relevantes nicht übersehen, anderseits täuscht das Internet Relevanz vor, die gar keine Wirklichkeit hat. Um als Journalist Relevantes von Nichtrelevantem zu unterscheiden, braucht es aber eine Realitätsfundierung, die das Internet niemals erbringen kann. 

Vieles, ja das meiste im Netz, vor allem dem der social media, ist bloße Selbstresonanz, selbstläuferischer Widerhall, den Medienbediener einander liefern. Netzaktivisten erreichen mit dem Netz und mit ihren Netzen letztlich nur sich selbst.

Warum aber haben sich die Journalisten der Zeitungen und Sender plötzlich auf das Thema eingelassen? Sie sind selbst einer Täuschung erlegen, der vorgetäuschten Relevanz der Internetdebatte. Journalisten folgen im Netz vor allem politischen Aktivisten. Vor allem Twitter ist ein gutes Medium, um schnell zu erfahren, was gesellschaftskritische Leute interessiert. An die Stelle der aktiven Recherche von Themen, die Menschen bewegen, kann auf diese Weise das Lauschen auf die Wellen des Stroms, des Nachrichten-Streams treten. Aber das Anschwellen des Rauschens ist nicht unbedingt der Wichtigkeit einer Sache zu verdanken, es kann sich auch um ein Resonanzphänomen in einem allzu engen, allzu homogenen Raum handeln. Journalisten sollten sich dieser Gefahr bewusst sein, damit sie nicht selbst zum Medium, zum Verstärker solcher Resonanzen hin zur Öffentlichkeit degenerieren.




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Donnerstag, 29. November 2012

Kunst geht Kultur voraus wie drein

aus 2007) "Für den Ägyptologen ist die Kunst Ägyptens ein Anhängsel Ägyptens, doch für fast jeden anderen ist die Seele Ägyptens eine von ägyptischer Kunst angeregte Vorstellung ... Das Werk verlangt nach den Formen der Welt nicht in gleich bestimmter Strenge wie diese nach dem Werk: die Stile haben sich stärker verändert als die Bäume." (A. Malraux)


*291112*

Der Schrecken im Alltäglichen

Ob es denn eine Behandlung gäbe, wenn das Ergebnis des Fruchtwassertests Down-Syndrom bestätigte, fragt die Frau?
Nein, der Test dient nur dazu festzustellen, ob Down vorliegt, um dann entscheiden zu können, ob die Schwangerschaft abgebrochen werden soll, sagt der Arzt.

Dieses Video dokumentiert ein Gespräch in einem spanischen (noch dazu: katholischen) Spital, dem Santa Creu i Sant Pau in Barcelona, zwischen einem Arzt und einer schwangeren Frau (und deren Bruder). Der Arzt erklärt, daß die staatlich empfohlene Fruchtwasseruntersuchung selbst bereits ein Mortalititätsrisiko von 1-2 % für den Embryo bedeutet. Einen anderen Sinn für diese Untersuchung als die Entscheidung zur Abtreibung im Fall von Down gibt es nicht. Als die Frau erklärt, daß sie das Kind in keinem Fall abtreiben würde, auch bei Down, meint der Arzt, daß dann die Untersuchung sinnlos sei.

Das Böse trägt keine Hörner und stinkt nach Schwefel, und im Hintergrund erklingt keine dramatische Musik. Es trägt fast immer das Gesicht des Normalen, Alltäglichen, und kommt ganz unscheinbar daher, sie hat nur ihre eigene Vernünftigkeit. Auch der Arzt zieht logische Schlüsse. Aber man sieht, daß Logik alleine noch keinen Maßstab der Vernunft bietet.







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Sprudelnde Steuerquellen

Es gibt keinen Staat der Welt, der nicht auf eine prinzipielle Konstellation der "Landnahme" durch ein Volk zurückgeht. Die Werdeprozesse privaten Eigentums an Land sind deshalb strukturell überall gleich: der Staat (hier als Synonym verwendet) als oberste Autorität verteilte Land, und was nicht dezitiert verteilt war, war auch weiterhin in seiner Gewalt. Mit Bodenschätzen lief es nicht anders. Nur müssen die immer verarbeitet werden, und weil das immer Menschen braucht, wurde in einer Art "Mitpartizipierung" persönliches Interesse mit staatlichem gekoppelt. Durch Abgaben, durch Pachten, durch Lizenzgebühren, in verschiedensten Ausformungen. Nichts also in unserem Land, was nicht auf das Lehensprinzip zurückgeht. 

Dessen innere Qualität die Weltsicht einer Kultur ausdrückt, und auch darin finden sich weltweit fast dieselben Prinzipien wieder: Leben genauso wie Land oder Bodenschätze sind vorgefunden. Sie sind als nicht gemacht, sie gehen auf göttliche Vorsehung zurück. Entsprechend ist alles, was der Mensch je besitzt - und über Werkzeug, sehr persönliche Dinge - hinausgeht, auch nur geliehen, etwas das es so gut wir möglich zu verwalten gilt. Was natürlich den Umgang mit der Erde prägt. Die Welt einfach auszubeuten war ein Akt der Gottlosigkeit, und der Premetheus-Mythos geht genau darauf zurück: er zeigt dieses falsche Grundverhältnis zur Erde. 

Max Weber zeigt es in seiner Untersuchung des Protestantismus, der ja die Erde jeder transzendenten Bedeutung für den Menschen enthebt, eben zur reinen Vorhaltung macht, wie sehr sich religiöse Grundhaltungen auf das Verhalten der Welt gegenüber auswirken. Der Kapitalismus als abstrakte Ausrichtung auf abstrahierte Welteigenschaften führt sich darauf zurück. Selbst Haltungen zu realen Problemen und Fragen von Wirtschaft und Staat tragen (für die NZZ: überraschende) deutliche Merkmale dieser religiösen Grundhaltungen, wie eine Schweizer Untersuchung über das Abstimmungsverhalten der Schweizer zeigt.

Dieses Auseinanderreißen der Verbindung Welt - Gott machte die Erde zu einem bloßen "Gestell" (Heidegger), zu einer bloßen Vorhaltung von Resourcen, die es um anderer Interessen willen auszunützen gelte.

Nie aber hat der Staat selbst die "Vermarktung" seiner Urrechte in die Hand genommen. Es sei denn bereits in selbstischer Absicht der Politik. Das blieb in großem Maßstab dem "neuen" Staat des 19. Jhds. vorbehalten, hat nur noch mit dem Geldbedürfnis des Staates selbst zu tun. Der sich deshalb vor allem auf Bereiche stürzte, die so grundlegendes Bedürfen befriedigen, daß Freiheit und Markt keine Gefahr bedeuten - wo er nicht nur Monopolstellung erreichen, sondern auch die Verwendung, ja sogar den Bedarf bestimmen kann. Und immer geschah es durch eine Form der Verstaatlichung, der Enteignung ursprünglich privater, persönlicher Arbeit oder Entdeckung. Während nahezu alles, was als "wichtige politische Entscheidungen" gepriesen wird, wo der Staat als "angeregt" oder "in Auftrag gegeben" hat, der bloßen Steigerung der Effizienz des Staatsvolkes als Steuerzahler diente, vor allem die Infrastruktur sei hier zu nennen, die Erhöhung des Tempos, heute auch Hauptaugenmerk der EU.

Schon gar erfolgt dies seit Jahrzehnten in Bereichen, wo er durch seine Politik auch die Preisbildung selbst - und damit die Ertragskraft für ihn - gestalten kann. Was ohnehin zu einer immer gegebenen starken Verbindung von personenbezogenen Interessen und Staat geführt hat. Rohstoffe wurden so zu den ergiebigsten Steuerquellen. Die Mineralöle in Deutschland und Österreich sind ja mit fast 80 % Steuerquote ein gutes Beispiel dafür. Damit beeinflußt der Staat natürlich die Struktur einer Wirtschaft maßgeblich, denn die Menschen sind gezwungen, darauf zu reagieren, sich darauf einzustellen. Erdöl bestimmt seit einem guten Jahrhundert Wohl und Wehe privaten Wirtschaftens, kaum ein Produkt, worauf sich Ölpreise NICHT direkt auswirken. Die gesamte Wirtschaft liegt also mittlerweile in den Händen des Staates, darauf kann man es zuspitzen.

Denn die FAZ berichtet nun, daß der Wahrnehmung fast entgangen ist, daß mittlerweile der globale Ölmarkt (nicht: die Lagerstätten, dazu weiter unten) überhaupt zu schon 80 % in staatlichen Händen ist.

Langsam muss die populäre Vorstellung verblassen, private Ölkonzerne wie ExxonMobil und Chevron aus Amerika oder BP and Royal Dutch Shell aus Europa regierten den Weltölmarkt. Sie können es längst nicht mehr. Die wichtigsten Akteure sind Staatskonzerne.

Das saudi-arabische Unternehmen Saudi Aramco ganz an der Spitze darf auf ungefähr zwanzigmal so große Ölreserven zurückgreifen wie die vier genannten Privatkonzerne, auch die Staatskonzerne aus der Golfregion insgesamt verfügen über deutlich größere Schätze, die zumeist auch viel leichter zu heben sind. Neu ins Spitzenfeld der Ölgiganten sind in den vergangenen Jahren die Staatskonzerne Petrobras (Brasilien), Petrochina und Petroven (Venezuela) vorgestoßen.

Über Folgen und Konsequenzen muß an dieser Stelle nicht weiter spekuliert werden. Die FAZ führt einige weiter aus:

Doch in der Regel schaffen es die Ölländer nicht, prosperierende Wirtschaftszweige jenseits der Energiebranche aufzubauen, die den Leuten genügend Arbeit und den Staaten ausreichend Steuern bescheren. Umgekehrt scheint Ölreichtum die Eliten von produktiven Aktivitäten fernzuhalten. Sie suchen statt dessen Zugang zum schnell verdienten Geld. So brauchen die Staaten jeden Petrodollar, um ihre Bürger satt zu machen oder wenigstens ruhigzustellen.

Schwerer wiegt ein anderes Risiko. Staatskonzerne werden häufig von ihren Regierungen gezwungen, über Steuern und Dividenden mehr Geld auszuschütten, als ihrem Geschäft gut tut: Sie vernachlässigen im Vergleich zu den privaten Konkurrenten Investition, Innovation und Exploration. Davon aber hängt das Reserven-Niveau der Ölgiganten stärker ab als von der Geologie. Die unfreiwillige Drosselung verkleinert das globale Angebot. Das Problem ist jetzt schon gelegentlich spürbar, der Reserven-Gigant Venezuela schafft seine Produktionsziele selten. Im Moment steht allerdings die exzellent geführte Saudi Aramco dagegen, die Schwankungen ausgleicht.
Mittlerweile hat weltweit ein regelrechter Wettlauf zwischen den verbliebenen privaten und staatlichen Konzernen eingesetzt. Denn es geht um die Sicherung zukünftiger Ölfunde und Lagerstätten. Für die Staaten: um Sicherung zukünftiger Geldquellen, mit denen ihr Politik finanziert werden kann. Wären nicht in den USA und Kanada, wo private Konzerne noch überwiegen, neue riesige Öllagerstätten aufgefunden worden, die die beiden Länder zu den größten Ölexporteuren der Welt machen könnten, könnte einem sonst ein Anteil von 85 % an den Öllagerstätten DURCH Staaten, deren Staatsstrukturen keine Gewaltenteilung kennen, Angst machen.




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Mittwoch, 28. November 2012

Noch mehr depersonalisiert

Weil den Versicherungen nun "Unisex-"Tarife vorgeschrieben wurden, werden Autoversicherungsprämien ab 2013 deutlich teurer. Bisher hatten Versicherungen dem Umstand Rechnung getragen, daß junge Frauen vorsichtiger unterwegs sind, und weniger Unfälle verursachen. Die "Lady-tarife" müßten aber nun verabschiedet werden. Profiteure sind also nun junge Männer, die ihre Neigung zu riskanteren Fahrweisen auch mit höheren Prämien zu bezahlen hatten. Die Folge: Eine weitere Verschleierung der Folgen persönlichen Handelns durch Ablösung und Verallgemeinerung der Konsequenzen.

Um den Prämienerhöhungen bis zu 10 % (in Deutschland) aus dem Weg zu gehen, erwarten Marktkenner eine Steigerung der Rolle von Internet-Vergleichsportalen. Wenn man bereit ist, auf persönliches Service zu verzichten, könnten so immer noch günstige Tarife aufgespürt werden. Was in weiterer Dynamik ganz neue abstrakte Anbieter- und Angebotsstrukturen bewirken wird. Die Zeit des persönlichen Service bei Versicherungen ist vorbei, Versicherungen werden noch mehr zu reinen Rechenfaktoren.



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Neulich, (2) ... Der Film

aus 2010) Sie erinnern Sich? Kramer, Goldmedaille, Eisschnelllauf über 10.000 m ... sonst: lesen Sie noch nach?

Unser Film beginnt also ... nein, nicht wie Sie meinen, mit dem Holländer, der gerade seine Freundin, die ihn mit der Nachricht überrascht hat, daß sie schwanger sei (von ihm, natürlich), wie Scheiße behandelt hat, sie versaue ihm seine Karriere, und er beginnt auch nicht mit dem Trainer, der einen behinderten Sohn hat, und mit einer Nation, Niederlande, konfrontiert ist, in der Sterbehilfe - die Entsorgung seines Sohnes - zur Kosmetik des Nationalbewußtseins als schöne, junge, lebenslustige Leuteversammlung dient, sodaß er ein sehr zweispältiges Verhltnis zu dieser seiner Nation aufbaut, schon gar als ihn der Minister bei einer Cocktailparty auf die Bedeutung dieser Goldmedaille für ein Holland in der Wirtschaftskrise hinweist ...

Nein, das lassen wir sein, was es ist - Nebenplots. Und wir wollen auch keinen Moralfilm. Wir wollen das Herz erwärmen, und das geht nur, indem wir es am Schönen freuen, und das ist immer der Glaube an ein gutes Geschick, das hinter allem steht.

Der Film beginnt deshalb ... mit einer Einstellung, in der man einen Garten in Südkorea sieht, wo ein frustrierter Eisläufer Holz hackt, und im Gespräch mit seiner Freundin, nein, seinem kleinen Bruder, ein ganz entzückender Bub übrigens, das Ende seiner Karriere überlegt. Der interessanteste Teil ist vielleicht jener, wo sein kleiner Bruder, der das Geld seines (armen) Vaters "geliehen" hat und nun auf seinen Bruder wettet, am Schalter des Wettbüros in Vancouver mit einem Amerikaner zusammenstößt, dem sein Wettschein aus der Hand fällt - auch er hat auf seinen Bruder gesetzt, aber ... Millionen.

Als die Familie ihren Helden schließlich am Flughafen empfängt, sieht man, im Hintergrund, wie der nunmehr geschaßte Trainer des Holländers mit eben diesem Mann ruhig und gelassen, ja: fröhlich, auf die Maschine nach Amsterdam wartet.

Aber das müßte gar nicht so deutlich sein; eleganter bliebe es, wenn sich's der Zuschauer selber dazudenken könnte, oder müßte. Es genügt, wenn der kleine Bruder, und der Mann vom Wettbüro, zufällig nebeneinander in der Maschine zu sitzen kommen. Und der Mann lädt ihn auf ein Glas Sekt ein - er hätte etwas zu feiern. Als er die Brieftasche öffnet, um zuzahlen, und daneben erzählt, daß es das alles früher kostenlos gab, aber die Zeiten änderten sich halt, fällt ein Bild zu Boden. Es ist das Bildnis des Trainers Kramer's! Und unser Mann sagt: Ah, danke (denn der Junge hat es aufgehoben) - das ist mein Bruder. Wir haben uns nach langen jahren wieder einmal getroffen. Es ist gut, wenn man einen Bruder hat, der zu einem hält. Und der Junge nickt heftig, und grinst.

Kamera von Nah auf Halbtotale, Totale in Überblick Flugzeug Innenraum, Schwenk aus dem Fenster, die Flugzeugflügel, die Wolken, der blaue Himmel, die Ferne, outfading, Abspann.

Und dazwischen, höre ich Sie nun fragen?
Was dazwischen, frage ich zurück?
Na, man kann doch nicht einen Film nur aus Anfang und Ende bestehen lassen?
Ach so! Na klar, aber das ist doch kinderleicht, ja, das ist ja schon da, hören, sehen Sie es nicht?! Da passiert das alles, die Geschichte mit der verpaßten Goldmedaille, all das Training in Korea, die kleinen und großen Entmutigungen und Enttäuschungen die der liebenswerte, naive, selbstlose Koreaner erlebt, bis er kurz vor der Abreise nach Vancouver sogar endgültig aufgibt, und dann, im letzten Moment, noch ins Olympiaaufgebot übernommen wird, weil sein Teamkollege an japanischer Grippe erkrankt, dem man mehr zugetraut hat, als ihm, der doch noch nie die Langstrecke gelaufen ist.

Und die Geschichten in Holland, die Demütigungen des Trainers, der in einem Gespräch mit seinem Bruder davon spricht, welche Gewissensprobleme er hat, diesem Land eine so sichere Goldmedaille zu erarbeiten, während er mit seinem Sohn dieses Land so unmenschlich, ja lebensunwert erfährt.

Und die Geschichte mit dem Eisläufer, und seiner Freundin, seiner Arroganz, mit der er von ihr die Abtreibung verlangt, um gleichzeitig von ihr totale Gefolgschaft zu fordern, die ihm, dem Superstar, der keinen Schritt aus dem haus machen kann, ohne von Presse und Fans beobachtet und belagert zu werden, der Pressekonferenzen gibt, wo er die Konkurrenz - die er nun vier Jahre lang spielend in Schach hielt - demoralisiert und lächerlich macht, vor allem die Russen, die Norweger, die Deutschen ... die Koreaner? Wer sind die Koreaner? Ist das ein Sushi-Gericht? Und der so nebenbei die Verhandlungen führt, die ihn nach Olympia, nach der 100. Goldmedaille für sein Land, neben Adelstitel und Königin-Empfang, zu einem nicht mehr nur reichen, nein, zu einem steinreichen Mann machen sollen, der in Öl und amerikanische Waffen investiert.
Während seine Verhandlungspartnerin, eine etwas herbe, aber nicht unhübsche Amerikanerin, so unkompliziert scheint, und keine Kinder will, und mit ihm sehr rasch zumindest im Bett Übereinstimmungen feststellt, die eine gemeinsame Zukunft sehr plausibel machen, vor allem teilen sie die Leidenschaft für Geld und schicke Autos, und scheißen auf ihre Heimatländer, die sie nur zur Gelderzeugung brauchen, ansonsten aber wegen ihrer Kleinkariertheit hassen, denn in Marokko, ja dort, dort wird es einfach geil!

Und die rührende Fortführung der Geschichte der Maike, seiner Freundin, die alles aufgibt, ihn überall verteidigt, weil sie doch auch seine lieben, rührenden Seiten so schätzt, die aber keiner kennt, und die mitfährt, auf eigene Kosten, nach Vancouver, um ihm dort die Daumen zu drücken, sich mit ihm zu freuen, ihn vor allem aber zu stützen; die aber auch mit den Koreanern so ganz zufällig, bei Fish & Chips, bekannt wird, und m,an merkt sofort: die sind aus demselben Herzensholz! Da ist Herz! Was, fragen Sie sich also, als Zuschauer, hat diese so liebe, so schöne, so gütige, so erotische, so ... ach ... was also hat dieses phantastische Geschöpf Gottes an so einem Kotzbrocken gefunden!?
Wie? Sie meinen, daß Meike und der Koreaner ... Nein, also bitte, das wäre ein wenig dick aufgetragen! Nein, das ist mir denn doch zuviel. Wir können sie ja noch kurz einmal begegnen lassen, am Ausgang der Olympiahalle zum Beispiel, als alles vorbei ist, an jenem turbulenten Abend, wie sie ihm gratuliert, (aber so, daß es ihr holländischer Freund nicht sieht, Sie wissen ja, sie ist eine ganz ganz liebe Meisje!), wie sie ganz ganz herzlich voneinander Abschied nehmen, er ihr nachblickt, sie aber ganz tapfer zu dem wütenden Oranje stapft. Sein Brüderlein nimmt ihn an der Hand, sie blicken sich an, er seufzt, der Bruder grinst, und los geht's, zum Flughafen, in die Heimat ... was, übrigens, würden Sie von dem Mädchen mit der Zeitung als Besetzung für Meike halten? Am Bild ist sie abgebildet, wie sie gerade nach Vancouver fliegt, zu ihrem Freund. Der ist ja längst dort. Und trifft die Amerikanerin, Sie erinnern sich?

Wir könnten aber ... warten Sie ... wenn wir Meike eine kleine Schwester geben? Und die, stellen Sie sich vor, ist total in ihren Schwager in spe verschossen, betet ihn an, und treibt ihre große Schwester, ihm ja alles recht zu machen. Fliegt natürlich mit, nach Vancouver, und trifft dort auf den kleinen Bruder unseres Koreaners. Den sie augenblicklich haßt wie die Pest. 'Aber das ist natürlich nur scheinhalber, in Wahrheit, und das stellt sich am Schluß heraus, ist sie total in ihn verschossen, Liebe auf den ersten Blick sozusagen. Aber das wagt sie erst zu sagen, als sie von ihrem Schwager schwer enttäuscht wird, weil sie mitbekommt, daß er eine andere hat, und sie, als sie das bemerkt, bedroht. Und da trifft sie dann ihren Koreaner wieder ... so ungefähr. Noch nicht ganz zufrieden? Ja, ich auch nicht, aber in diese Richtung könnte es gehen. Wenn wir es überhaupt drehen. Und wenn wir es gedreht haben, dann am Schneidetisch vielleicht doch rausschmeißen, weil es den Hauptstrang zu sehr verdeckt, da braucht es ja eine gewisse Hierarchie. In einen Roman freilich, in ein Epos, da könnten wir das reinpacken, da kann man mit wenigen Worten ganze Handlungen bedienen. Der Film - gerade weil er schon so üppig sinnlich umsetzt, weil er viel schwieriger poetisch zu gestalten, viel prosaischer ist - kann weniger erzählen, als die Literatur! Aber vielleicht lassen wir es doch bei ein paar Andeutungen, das mit der kleinen Schwester, ein paar Bilder, keine voll auserzählte Geschichte? Es wäre ja doch köstlich, die Kleine am Schluß, wenn er sein Malheur hat, laut aufjubeln zu sehen? Und beim Verabschieden, Sie erinnern sich, an der Tür, läuft sie auf den Jungen zu, und gibt ihm ein Küßchen!? Dann hätten wir das auch.

Das alles aber, und es ist hier nur angedeutet, das kannten Sie doch? Geben Sie es zu! Das ist die Mitte des Films, sein Rumpf. Aber das ist nur viel viel Masse, die lediglich austreibt, was am Anfang steht, und enthält, was am Ende kommt. Die beiden sind das Wichtigste. Und nur dort kann man allem Richtung wirklich geben, am Anfang, auswählen, am Ende. Die Mitte ist dem Zuschauer immer bekannt.

Weshalb ich auch völlig sicher bin, als Test zu dem Behaupteten, daß Sie mir sofort mitteilen könnten, was mit dieser Amerikanerin passiert, die er ja - im Goldrausch - nach Marokko mitnehmen wollte!? Was ihm die nun sagt, nachdem die Geschäftsbasis etwas ... gestört wurde? Und die übrigen Stränge? Ach, wir haben ja nur 90 Minuten! Nein, der Film soll locker und flockig bleiben, zwei Hauptstränge, der Rest hat andere Aufgaben.

Ich glaube außerdem vorhersagen zu können, daß sie mir zustimmen werden, daß es nicht mehr nötig ist aufzulösen, was z. B. mit dem Trainer weiter passiert. Das, soweit mische ich mich da ein, deuten wir ja ohnehin ein-, zweimal mitten im Film an. In einem gar nicht langen Gespräch zum Beispiel. Er erzählt darin seinem Bruder, daß er davon träumt, in die Nachwuchsarbeit zu gehen, den vielen Talenten vor allem charakterliche Formung zu geben, denn das ist das Wichtigste, sagt er einmal sogar. Denn Erfolg? Erfolg ist eine Frage des Schicksals, und damit geheimnisvoller personaler Mächte, nicht der Mathematik. Mit diesem Gespräch geben wir nämlich der ganzen Thematik einmal ziemlichen Tiefsinn, und dann doch ein bisserl Augenzwinkern. Denn: der trieft ohnehin ein wenig, wenn wir nicht achtgeben, Sie und ich ... ;-)

Sehen Sie, so ist nun alles da, der Film ist gelaufen. Es sind eben wir, die wir die Geschichten uns selbst erzählen. Nicht so sehr die, die sie uns erzählen. Die stoßen nur an, was in uns ist! Und die schenken uns - das dürfen wir dann auch annehmen! - den Ausgang, denn dort kommt auch die menschliche Freiheit dazu. In dem, was sie uns damit von dem anstoßen, was in uns ist, und wir manchmal gar nicht wußten.

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Ganz andere Zusammenhänge

Auch wenn es oft erzählt wird, es stimmt nicht: Es läßt sich in Europa kein eindeutiger Zusammenhang zwischen "familienpolitischen Maßnahmen" und Fertilität feststellen. Daß Länder wie Frankreich und Irland höhere Kinderzahlen pro Frau haben, als Deutschland, Österreich oder Schweden, muß jeweils sehr spezifische Ursachen haben. Keinesfalls ist das Argument aber richtig, daß man lediglich die Kinderbetreuungsmöglichkeiten ausbauen müsse, und schon gäbe es mehr Kinder. Dazu sind die Situationen in den Ländern viel zu verschieden.

Daß Eltern also gar nicht "spüren" sollten, daß sie überhaupt Kinder hätten, daß Kinder also keine "Belastung" oder "Karrierehürde" sein sollten, ist nicht nur an sich höchst problematisch, sondern einfach den Fakten nach schon nicht richtig. Das Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. schreibt, daß ein jüngstes Monitoring der Bundesregierung ergibt, daß der Wunsch nach mehr Kinderbetreuungsstätten an letzter Stelle rangiert, werden Menschen nach den Gründen für ihre Kinderlosigkeit gefragt. An erster Stelle rangiert ... das Fehlen eines passenden Partners.

Auch hier gilt also: Anstatt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, warum das, was die Menschen eigentlich wollen - Partner, die Sicherheit einer geschützten Ehe, Kinder, Familie, schlicht: der Horizont, mit einer Familie eine kleine eigene Welt aufbauen zu können, ein kleines eigenes Reich, in dem die Dinge noch so gestaltet werden können, wie man sie gerne hätte - nicht gelingt, schafft sich die Politik ihre Sandkistchen, in denen sie "Erfolge" herbeizaubern kann. Vor allem, wo sie ihre Daseinsberechtigung durch blinden Aktivismus beweisen kann. Und erfindet einfach Geschichten - Probleme ebenso, wie Lösungen. Alles natürlich mit "wissenschaftlicher Untermauerung", das erspart das eigene Denken und schon gar Verantwortung. Denn dann kann man immer behaupten, daß nach bestem "Wissen und Gewissen" wurde, aber das Volk habe eben nicht mitgespielt.

Vor allem müßten dann die grundsätzlichen Fragen beantwortet werden: Denn seit Jahrzehnten wird ideologisch motiviert Gesellschaftspolitik betrieben, die genau das Selbstbild der Geschlechter "verändern" sollte. Fazit? Die Lebensentwürfe, Wünsche und Vorstellungen von Männern und Frauen passen nicht mehr zueinander. Das kann auch gar nicht anders sein. Wenn Genderpolitik betreibt, daß beide Geschlechter gleich sein sollen - worin sollten sich Mann und Frau dann noch ergänzen? Was könnte der andere zu meinem Ganzwerden beitragen? Wo wäre dann noch Gemeinsamkeit (nicht: Gleichheit)? Im wissenschaftlich-rationalen Entschluß zur Produktion von Steuerzahlern?

Und wenn der Familie über das Emanzipieren (Herausbrechen) aller ihrer Teile, dem Entzug der Gestaltungshoheit des allerpersönlichsten Lebens, das nur den Eltern, den Ehepartnern zusteht, diese ureigenste Lebensgestaltung aus der Hand genommen wird - wo läge noch der Reiz einer Familie? Im Tragen der Kosten (der Politik)? Denn die, die bleiben ja in jedem Fall am Einzelnen hängen.



In diese Thematik paßt auch der Video-Beitrag der FAZ, der seine Einleitung mit dem Satz abschließt: "... und die Politik ist machtlos." Auch wenn er letztlich in dieselbe Leier verfällt, daß die Kinderbetreuungseinrichtungen ausgebaut werden  müßten. Wie der Wilde mit seiner Maschin": Man weiß zwar nicht, was zu tun ist, wohin die Reise geht, aber Hauptsache, man ist schneller dort. Lieber "etwas" tun, als "nichts". Und auch hier ist es angeblich "die Wissenschaft", die bestätigt, daß Karriere mit Kinderwunsch kollidierten und deshalb Schuld am Geburtenrückgang sei. (Dessen Relevanz ja die Überalterung, nicht die Bevölkerungsvermehrung an sich ist.) U dn dieses Fazit, nicht zufällig, ziehen die Redakteure. Immerhin aber fallen im Bericht einige interessante Aussagen durch Befragte. So, daß die Mär von lediglich "verschobenem Kinderwunsch" (ältere Eltern) deshalb nicht stimme, weil ältere Eltern nicht mehr so viele Kinder in die Welt setzen (können), wie jüngere. 

Ein Fall von - für die öffentliche Diskussion typischer - künstlicher Aufblähung zeigt sich in der "Skandalisierung" völlig normaler, ja wünschenswerter "Probleme" - Wo ist das Problem, wenn eine Frau sagt, daß sie "die Folgen aus dem Kinderwunsch gar nicht richtig überlegt" hätten? Ist das nicht die gesündere Einstellung, weil Kinder eben völlig natürlich, und kein "Karrierekalkül" sind? Wo ist das Problem, wenn eine Mutter erzählt, sie kämen "ohne die Hilfe der Großeltern nicht zu Rande". Auch die Generationen sind füreinander verantwortlich. Ist nicht gleichzeitig zu beobachten, daß ältere Menschen unter gewaltigen Sinndefiziten leiden? Da liegt schon ein Gutteil der Ursachen. Vieles also hat viel eher mit dem zu tun, was ebenfalls die FAZ in einem lesenswerten Artikel mit "Infantilisierung der Erwachsenen" bezeichnet. Mit dem Vater Staat", dem "Papa", der es schon richten wird, um noch einmal Qualtinger/Bronner zu bemühen. Das Leben ist kein Baukasten, wo man Wunschbilder einfach so zusammenbaut.  Es ist, was es ist. Gerade die Ambivalenzen des Lebens, die Reifung selbst damit, ist vor allem eine Frage der Folgetragung aus auch oft widersprüchlichen Bedürfnissen, zu denen man aber steht, die in sich zu einen und zu ordnen die entscheidende Lebensaufgabe ist.



Der Papa wird's schon richten - Helmut Qualtinger





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Dienstag, 27. November 2012

Der bessere Propagandist

M & M - Merkel und Monti
Es ist bemerkenswert, was die Welt da über das erste Jahr Italiens unter Mario Monti als Vorsitzenden einer Art Notregierung schreibt, die Silvio Berlusconi abgelöst hat. Um endlich, endlich Italien wieder auf die Schienen einer seriösen Sachpolitik zu stellen. So war der Mann angetreten, unter starker ausländischer Beihilfe, ja Druck, um das Land durch reine Sachlichkeit, fern jeder "Politik", aus dem drohenden Desaster zu steuern. An Vorschußlorbeeren hat es nicht gemangelt. Der Mann sei ein wirklicher Fachmann, so hieß es.

Werden aber Italiener befragt, so loben sie an Monti vor allem, daß er das Image des Landes, das unter Berlusconi bis ins Lächerliche verzerrt worden sei, aufpoliert habe. Monti wird allerorten geniale PR-Fähigkeit zugeschrieben.

Aber seine "sachliche" Politik? Alles habe er angepackt, alles, was sonst noch nie angepackt worden wäre, zumindest verheißen das die Überschriften in seinen Presseunterlagen. Aber wie? Es stellt sich nun heraus, daß Monti zwar zahlreiche Steuern und Abgaben erhöht, auch Schlupflöcher geschlossen, aber so gut wie keine Kosten gesenkt habe. Wirkliche Reformen also, die auch weh täten, finden nach wie vor nicht statt. Die Verwaltung ist, was sie ist, die Schulden blieben, wo sie waren. Sein jüngst vorgestelltes "Sparpaket" wird von vielen als völlig nutzlos bezeichnet, Staatsausgaben werden nirgendwo gesenkt. Die Wettbewerbsfähigkeit Italiens sollte gehoben werden - tatsächlich fiel sie 2012 aber weiter.

Die Unternehmerverbände sprechen von "konfiskatorischen Maßnahmen", bei einer Gesamtsteuerbelastung von jetzt schon 68 %. Sie würden an allen Ecken und Enden reglementiert, schreibt die FAZ in einem Bericht. Während der Staat die Erfüllung seiner Verbindlichkeiten verschleppt, und sei es durch die Durchführung von Steuerfahndungsmaßnahmen: eine Woche bis zwei Monate würden Unternehmen durchleuchtet, währenddessen fast lahmgelegt, und damit regelrecht erpreßt. Die Regierungsbeamten hätten nachweislich vorgegebene "Budgets", die sie aufzufinden hätten. Um Folgen der Rezession aufzufangen, wurden Kündigungsrechte der Arbeitgeber einfach eingeschränkt, sodaß jede Kündigung mit dem Arbeitsamt abgesprochen werden  muß. Sechs Monate vor der nächsten Wahl, sei eine Regierung ohne politische Basis wie diese wie gelähmt.

Das Sparpaket, das vor wenigen Wochen vorgestellt und mehrfach geändert wurde, nennt Boeri "nutzlos". Kollegen bezeichnen es als enttäuschend – weil es die Staatsausgaben nicht senkt und die öffentlichen Etats nicht entlastet. Dabei kommt es auf Italien an in Europa. Die größte Volkswirtschaft unter den Krisenländern hat im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt den zweitgrößten Schuldenberg nach Griechenland aufgehäuft.

Nur die "Kreditwürdigkeit" Italiens - sein Image - hat sich verbessert, die Neuverschuldung etwas reduziert. Und wo noch nicht, da weiß Monti schon die Ursache: der Euro war's, die EU, die anderen. Die hätten es nicht geschafft, eine Politik zu betreiben, die glaubwürdig genug wäre, um den Euro stark zu machen. Und so Italien zu helfen, die hohen Zinsen zu senken, denn nach wie vor muß Italien höhere Zinsen bieten, um Kapital ins Land zu ziehen.

Für ihn zählen nicht nur Erfolge in der Sache, sondern auch die Wahrnehmung. Darauf baut der Premierminister seine Politik – höchst erfolgreich bislang. "Er ist ein guter PR-Mann. Vielleicht der beste unter den Regierungschefs", sagt ein EU-Diplomat so bewundernd wie besorgt.

Und dafür hat man die Regierung gewechselt? War es nicht genau das, was man Berlusconi vorwarf? Wer also hätte das gedacht: Berlusconi war ein zu schlechter PR-Agent, deshalb hat man ihn ausgewechselt. Kein schlechter Premierminister. Könnte es sein, daß sich darin abzeichnet, was Politik heute überhaupt noch ist? Eine reine Angelegenheit der Propaganda?




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Grundhaltungen

Man könnte aus diesen Daten auch etwas anders ablesen, als die Widerlegung der Aussage, daß Bildungsstand und Kinderzahl doch keine Aussage über dei Fertilität zulassen. Nämlich, daß sich hinter der Einstellung zu Nachwuchs eine Grundhaltung ausdrückt, die natürlich auch die Berufswahl prägt und mit dieser wechselwirkt. Die sich vielleicht sogar so zusammenfassen läßt: Je schöpferischer und lebensbejahender die Grundhaltung, je offener für Kinder, je technizistischer, desto weniger. Und weniger, wie das Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie e.V. (Copyright Graphiken ebd.) meint, je planungssicherer, desto eher Kinder. Denn die Planungssicherheit der Landwirte ist ja wohl eher ein Vertrauen in die Vorsehung, in aller Unsicherheit, denn die landwirtschaftlichen Erträge sind an allervorderster Stelle ungewiß.

Ob sich in dieser Erhebung auch ausdrückt, daß die einen Männer mehr Kinder mit mehreren Frauen haben, während andere keine Frauen kriegen, und ob die Differenz zwischen Kinderzahlen nach Geschlecht damit mit dem Alleinerzieherdasein zu tun hat, müßte wohl noch genauer untersucht werden.











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Seien wir endlich gute Heiden!

aus 2010) Gilbert K. Chesterton sagt einmal, daß wir uns nicht bemühen sollen, gute Christen zu sein, indem wir das Heidentum ablehnen! Meist führt nämlich der Versuch, ein guter Christ zu sein, der alles Heidentum in sich verleugnet, zu tiefer Unmenschlichkeit. Das Christentum hat das Heidentum deshalb überall aufgegriffen, und es nicht nur integriert, sondern es in seinen wahren Sinn übergeführt.

Das Heidentum nämlich führt in seiner Konsequenz zur Vollendung aller innerweltlichen, natürlichen Vollkommenheit, auf der Grundlage der innerweltlichen Vernunft. Vor allem lehrt es etwas, das essentiell im Leben ist, um es selbst zu vollenden: Demut. In der nur auf uns und unsere Kräfte verwiesenen Gegenwehr gegen die Unbill des Lebens und der Welt. Es lehrt, nicht auf sich selbst und seine Leistungen stolz zu sein, in schlichtem klarem Alltagsverstand. Denn der Demütige ist genau das nicht: stolz auf sich.

Es führt somit direkt vor die Türe des Christentums. Das die rein natürlich-innerweltlichen Tugenden ins der Welt nach Paradoxe überhöht.

Weil wir nun glauben, was dem Verstand nicht mehr beweisbar ist. Weil wir hoffen, wo es nichts mehr zu hoffen gibt, weil die Welt endet - nach menschlichem Ermessen. Und weil wir genau dort lieben, wo es nicht verdient wird, dort verzeihen, wo etwas unverzeihlich ist.

Wir sind genau dort schlechte Christen, wo wir zuvor schlechte Heiden waren. Weil wir das Weltliche gar nicht mehr übersteigen - sondern ausklammern, und damit uns selbst über uns überhöhen.

Also sollten wir versuchen, die heidnischen Ideale von Rationalität und Einfachheit und Vollkommenheit wieder in Kraft setzen, weil es genau endete, wo wir hinwollen: Beim Beginn des Christentums.

Ahnte Chesterton aber, daß Zeiten kommen würden, wo es für seinen Ratschlag gar keinen Bedarf mehr geben könnte, weil ... es keine Heiden mehr gibt?


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Montag, 26. November 2012

Reden vom Sinn

Dieses Filmchen (5 min) von Jane Marshfield - "The Art of Metaphor" - findet sich auf "Ted", wo unter sehr viel Mist da und dort auch ein Körnchen Gold zu finden ist. Auch dieses Körnchen hat gewisse Unreinheit, aber es spricht etwas Wesentliches an: daß unsere Kommunikation in Metaphern abläuft, daß Sprache und Denken Metapher, nicht wörtliches Abrechnen von bloßen Zählbegriffen IST. 

Weil alles Denken von einem SINN ausgeht, und in der Bewältigung des Widerspruchs, der Unruhe zu ihm, zu Ruhe des Einen zurück will, im Logos (wörtlich: Sinn, als "Weg auf - hin"). Dieser Sinn (von dem nicht zufällig das Wort Sinnlichkeit stammt) ist es, auf den wir auch in unserer Wahrnehmung treffen, an den wir sinnlich (!) angebunden sind. Und diese Bilder als Grundschemata des Zueinander der Welt sind wiederum Analogien, Ähnlichkeiten. In denen sich Geistiges in Geschöpfliches umgießt, Wesen in Gestalt, Sein zu Seiendem. Wo Form sich mit Inhalt zur Dinglichkeit vermählt.

Sagen wir: "Die Dunkelheit kommt auf Katzenpfoten", meint niemand die sachlich heruntergebrochene Wörtlichkeit. Aber allen ist klar, was gemeint ist, weil die verwendeten Bilder dieselben Erfahrungsbezüge aufrufen. Die Ausgangslage aber ist nicht, weil wir diese Begrifflichkeiten "von den Katzen" nehmen - auch die würden wir nicht erkennen, auch nicht in dieser Eigenschaft, wenn nicht die Katzen selbst wiederum Ausdruck von Eigenschaftlichkeiten, von Sinn wären, vielleicht in diesem Teilbereich auf besondere Weise - dem sanften, stillen, hauchartigen Herannahen, in dem wir ihre Eigenart deuten, aus dem heraus wir sie erst als solche erkennen. Und wäre dieser Sinn, diese Eigenschaftlichkeit nicht selbst wiederum im Menschen, als Teil von ihm, so könnte er es überhaupt nicht erkennen.

Menschliche Wahrnehmung als das Ordnen des sinnlich Begegnenden - als das Zurückführen auf in einem selbst vorhandene Sinngehalte verstanden - ist also einer viel tieferliegenderen Erkenntnis zugeordnet, die von Sinn ausgeht. Gedankliche Formen folgen weit später, und sie sind in dem Maß wahr, als sie sich auf diese Sinninhalte der Welt beziehen, sie ausdrücken, sie damit darstellend enthalten.

Das Sprechen, schreibt sinngemäß Michel Henry unter Bezug auf Husserl's Analyse, ist anfänglich niemals auf der Seite des Gesagten. Es ist das, was sich im Sprechen zeigt. Es ist das, was es zeigt.* Und es zeigt Intention. Denn entscheidend am Sinn - als Weg "auf - hin", s.o. - ist seine Bewegung aus dem Akt der Hervorbringung. In diesem liegt sein Kriterium. Im Erscheinen (der Sprache) wird seine Intention sichtbar.

Im Fall der "Nacht, die auf Samtpfoten" sich nähert, das was hinter dem sanften Zurückziehen des Lichts sich ausdrückt. Darin liegt die Wirklichkeit dieses Geschehens. Die Deutung geht also dem Tun der Sinne selbst voraus. Der metaphernhafte Kern unseres Sprechens zeigt das. Erkenntnis ist per se ein personaler Akt der Freiheit, auf den die Sinnesobjekte lediglich verweisen - der aber die Dinge notwendig braucht, weil sie diese Sinnesinhalte erst wachrufen, und in der Sprache als Antwort den Menschen selbst in den Geist, ins Leben (das das Wort ist) selbst heben (und zwar: im Selbst, das in dem Maß wahr wird, als es dem Logos gegenüber transparent wird). Der Kreislauf des Logos schließt sich - vom Wort, ins Wort. Hier Gabe, dort Opfergabe. Das menschliche Sein konzentriert sich also auf das Erscheinen des Logos, dem Wort das Fleisch geworden ist, und das das Leben ist.









*In einer Erweiterung der Auslegung wird aus diesem Tatbestand heraus auch noch einmal deutlich, daß die nominellen Inhalte des Internet wie die nominellen Inhalte (bzw. Hervorbringnisse) jeder Technik NICHT SEINE INHALTE SIND. Es ist etwas anderes, das sich darin ausdrückt. Deshalb ist auch die Suche nach dem im Internet Ausdrückbaren, Vermittelbaren, nicht eine Frage der "nominellen Inhalte". Es ist selbst bereits seine Grundbotschaft. So, wie alles nur das spricht, WAS ES IST. Weshalb der defintive, alles umfassende Sinn der gesamten Schöpfung sich im Logos, im Wort, das JESUS CHRISTUS IST, in JESUS CHRISTUS, der DAS WORT IST, aussagt.



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Fehlurteil

David Alaba
Die Aufregung um den unten eingefügten Sketch ist nicht nachvollziehbar. Denn er ZEIGT das, was gemeiniglich als Rassismus zu bezeichnen wäre - wenn man denn will - aber er IST nicht rassistisch. Das sind nicht nur zwei Paar Schuh, sondern der Bezug zu der seltsamen Diskussion findet sich hier, weil er das Wesen von Kunst so nachvollziehbar illustriert. Wobei über den Rang als Kunstwerk hier nicht diskutiert werden soll. 

Man kann auch geteilter Meinung sein, ob er lustig ist. Ja man kann diskutieren, ob die Persiflage von Frank Stronach diesen wirklich pointiert beschreibt, wenn sie auch gewisses Typisches von ihm überzeichnet, sonst würde man ihn nicht so gut wiedererkennen.  

Samt Bezügen zu Hintergründen, die auch nicht einer gewissen pikanten Komik entbehren, und vielen Österreichern - dem Publikum also - bekannt sind (denn Satire hat immer und notwendig ihren historischen wie regionalen Bezug, was sie als Kunstform ja sehr vergänglich macht, abhängig von dem was aufgegriffen wird, den Abstrakta also). Als der Tiroler Landeshauptmann die österreichische Nationalmannschaft auf ihrem Trainingslager in Seefeld besuchte, sprach er den in Wien aufgewachsenen, allen Respekt verdienenden Fußballer, den selbst bei Bayern München breitestes Wienerisch sprechenden David Alaba mit "How do You do?" an.

Was auch immer. 

Aber es wird etwas Abstraktes, eine Wirklichkeit für sich gezeigt, sehr rein, daran besteht kein Zweifel. Und diese wird deutlich erkennbar nicht nur nicht "angewandt", sondern sogar noch hinterfragt. Rassistisch als Zweck zu sein, wie eine angedrohte Klage des Fußballers behauptet, ist nicht der Sinn des Filmchens, und so funktioniert es auch nicht, was der ORF im Rahmen einer sich noch dazu überdeutlich kabarettistisch verstehenden Sendung ausgestrahlt hat. Gerade die Political Correctness schießt sich ein Eigentor, wenn sie auch die Darstellung ihrer Moralsätze als unmoralisch selbst ansieht.







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Sonntag, 25. November 2012

Am Weg zur Solidarität

Edith Stein schreibt an einer Stelle, daß der Einzelne sich erst einmal als Glied einer kleinen Kette - Familie, Sippe, Ort, Land - erfahren muß. Und zwar in aller Unterschiedlichkeit, in allem Eigensein. Nur so kann sich Solidarität bilden, im Erfahren des Gemeinsamen, das die sogar individuelle Besonderheit dennoch umgreift. 

Wird die Eigenart eingeebnet, verwischt, fehlt die Erfahrung des "anderen". Und damit fehlt die Möglichkeit, die Bereicherung durch das andere zu erfahren. Das Erfahren der Einheit des gesamten Menschengeschlechts ist somit die Frucht eines allmählichen, sich langsam erweiternden Aufbaus des Einzelnen, der mehr und mehr in der Unterscheidung die Strukturen des Gemeinsamen erfaßt. 

Übergreifende, übernationale Identität kann sich also nur aus dem klaren Erfassen und Bewahren der Eigenart ergeben. In der das Eigensein des Anderen gerade als Anderssein erfaßt, aber als Spielart des Menschseins gesehen wird, an dem auch ich teilhabe. Ohne engere Heimat gibt es keine Welt als Heimat. Der Weg kann aber nicht umgekehrt verlaufen - über ein "Weltbewußtsein" zur engeren Heimat. Wer die Heimat nicht achtet, kann auch die Welt nicht achten. Wer in seiner Heimat kein Glied eines Ganzen ist, kann es auch nicht der Welt sein.


*251112*

In eigener Sache

Die 2006/07 entstandene, kaum einzuordnende Persiflage "Diktatoren küssen besser" (80 min) von Juan Carlos Recalde, eine bei allen Mängeln charmante Independent-Produktion, die zahlreiche Preise einheimste, wird morgen, den 26. November 2012, wieder einmal im Kino gezeigt. Und zwar im Rahmen des Austrian Filmfestival um 20.30 Uhr im ältesten durchgehend bestehenden Kinobetrieb der Welt (!), den Breitenseer Lichtspielen in 1140 Wien, Breitenseer Straße 21. Hier der Trailer.







*251112*

Mannesmut

aus 2007) Joinville, der Geschichtsschreiber des Hl. Ludwig d. IX. v. Frankreich, erzählt von der Schlacht bei Mansurah am Nil (1250) im Zuge des 6. Kreuzzuges, wie der Graf von Soissons mitten im Gewühl der Schacht sich im Sattel zu ihm drehte und sagte: "Herr Seneschall, lassen wir dieses Hundepack nur brüllen. Denn bei der Eisenhaube Gottes: Wir beide werden von diesem Tage noch in den Zimmern der Damen reden!"

(Das konnten sie, allerdings mit vier Jahren Verspätung, weil die Schlacht verloren ging und die Kreuzritter jahrelang in ägyptischer Gefangenschaft blieben, bis die Lösegeldforderung erfüllt wurde.)


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Das Wahre ist unglaublich

Ein Satz von Plutarch, oft verwendet, meist aber falsch weil falsch übersetzt, schreibt Franz Vonessen, in Übersetzungen die zwar auch auf ihre Art wahr sind, aber ihn nicht ausschöpfen, wie zum Beispiel: "Mangelndem Zutrauen (apistia) entgeht es (das Göttliche) und wird nicht erkannt.". 

Die beste Übermittlung in Anklang an Schleiermacher lautet freilich:

"Durch seine Unglaublichkeit entschlüpft das Wahre dem Erkanntwerden."

Das Kleinkind beginnt bei den allergeistigsten Erkenntnissen, das Sinnliche folgt erst nach und nach. Die Erkenntnis beginnt als Offenheit für jene Züge der Welt, die übersinnlich sind, bei seelischen Phänomenen, wie Freundlichkeit, Liebe, Zuwendung. Anfangs interessiert es sich für Gesichter, nicht für Sachen.

Heraklith meint dazu, daß die Menschen das Göttliche aber nicht festhalten, ja nicht einmal auffassen können. Die Erkenntnis findet so keinen Halt, gleitet ab, bis sie ganz unten, am Boden angekommen ist, wo sie Stand findet.  Hier setzt sie sich erleichtert fest und richtet sich ein - und stülpt alle Begriffe um. Plötzlich wird die abhängige Form der Erkenntnis höher bewertet als die Gotteserkenntnis, die immer schwieriger wird.

Dann versteht man nichts mehr von der Wahrheit, sondern nimmt das Göttliche für Ausgestaltungen der Phantasie. von denen man glaubt, frühere Generationen hätten sie  in Anwandlungen von Schlichtheit aus den Reatlitäten, mit denen sie noch nicht so recht umzugehen wußten, herausgezogen. 

Aus Mythen wurden so Märchen. Wo das Märchen beginnt, ist die Visio Dei, die Gottesschau, bereits verloren gegangen. Wer sieht, ist sich der Welt sicher. Wer nicht sieht, wer blind ist, will sich ihrer vergewissern, und klammert sich an das, was ihm wichtig ist. Er sucht die Sache auf jede Weise dingfest zu machen. Aus der Welt des sichtbaren Gottes wurde eine Welt des Traumes, des Schönen und Liebenswerten, der Dichtung, der Kunst und eben auch der Hausmärchen. In ihnen werden die letzten Reste älterer Wahrnehmung festgehalten, unter einer dicken Dornenhecke schlummert der heilige, alte, reine Sinn. Und wäre nicht der Kairos Helfer, der den schwierigen Weg zum Kern der Sache eröffnet, im Spiel wäre, erstickte der Eindringling unweigerlich im Dickicht einer Phantasie, zu der es den Schlüssel nur von innen, vom erreichten Zentrum her, gibt.

Das Wahre aber wird nicht falsch, es bedarf nur geöffneter Augen; es muß nur erkannt, aus den Ablagerungen tausendjährigen Mißverstehens ausgegraben, ans Licht geholt, von seiner Unglaublichkeit, die aber nicht ihm selber anhaftet, sondern auf uns, den "Erkennenden" lastet, befreit werden.

Zu glauben, wirklich zu glauben muß gelernt werden. Und es braucht heute enorme Mühe, die eigenen Verbautheiten zu destruieren, ihnen nachzugehen, sie dadurch aufzulösen, um aus den Armeln unserer rationalistischen Zwangsjacken wieder freizukommen. Um wieder wahr zu denken, um wieder zu erkennen, um Gott wieder zu sehen.




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Samstag, 24. November 2012

Eine Facette des Spiels

Es ist nur eine Facette aus einem gewaltigen Mosaik, worüber die Welt da berichtet (Filmchen extern): Der Verkehr auf spanischen Autobahnen ging in den letzten Jahren um 28 % zurück, die zahlreichen neu gebauten Autobahnen bieten ein Bild der Leere und Ungenütztheit.

Die entscheidenden Sätzchen kommen gegen Ende des Kurzfilms: Die Regierung hat die Errichtung von Autobahnen stark gefördert. Das hat zu einer Blase geführt. Nunmehr muß die Regierung erneut (mit 550 Mio. Euro) als Stützzahlungen eingreifen, um den Zusammenbruch der Autobahngesellschaften zu verhindern.

Die vorgeblichen Gründe für diesen Rückgang des Autobahnverkehrs sind nur andere Seiten derselben Medaille: die Maut wurde erhöht, so wie die Mehrwertsteuer, parallel zu einem Rückgang des BIP. Deshalb würden die Spanier die Highways meiden. (Kein Wort natürlich über "politische Verantwortung", die hat sich aus "technischen Prozessen" längst zurückgezogen, handelt ja nur noch nach "Alternativlosigkeiten".)

Wie auch immer - es zahlen die Menschen. Wenn nicht durch Maut, dann durch Steuern. Nicht Unternehmer, nie der Staat, nicht die Börsen, nicht die Sparguthaben,  nicht die angelegten  Gelder, und schon gar keine Goldreserven. Und sie zahlen nicht mit Geld. Sie zahlen mit ihrer Arbeit, nein, präziser noch: mit ihrer schöpferischen Lebensleistung. Nur das vermag Wert zu schaffen.



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Mayas oh Mayas

Die Kleine Zeitung (alle Rechte ebendort) berichtet in einem sachlichen knappen Video-Artikel über den ältesten aufgefundenen "Kalender der Mayas". Im Rahmen eines Artikels, der berichtet, daß am 21. Dezember zwar die Welt untergehen werde, aber sich einige tausend, wenn nicht hunderttausend Menschen dafür rüsten, am selben Tag ins Weltall zu verduften. In Südfrankreich steht diese "Rampe". Oh ja, wir leben in einem rationalistischen Zeitalter. Das kommt nämlich genau dabei heraus. Der Glaube an die Bestandsmechanik der Welt, an UFOs die uns retten, an Techniken und Körperübungen und Meditationstechniken, die uns ins Heil schießen, liegt auf derselben Ebene wie der Glaube an die Einweihung in die hermetischen Geheimnisse des Geistes durch Weitergabe durch eine Universitäts-Priestergemeinschaft als pseudoreligiöse Akte der Initiation.






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Die Rolle "Schauspieler" braucht kein Schauspiel

Auch wenn einem Artikel des "Tagesspiegel" das fehlt, was er vorgibt zu haben - wirkliche weil analytische Klarheit - ist er als emotionaler Impuls sehr richtige und wahre Reaktion auf den Zustand der Rezeption des Schauspiels und des Schauspielers. 

"Die Rolle Schauspieler hat sukzessive das Spielen von Rollen überlagert." 

Oder: "... das Medium Fernsehen braucht die Schauspielkunst nicht mehr, es funktioniert auch ohne sie ..."


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Freitag, 23. November 2012

Unerlöste Melodie

Es sind schwerwiegende Gedanken, die Rousseau in seinen Schriften über die Musik anspricht. Indem er die Entwicklung der Notenschrift (Notierung) analysiert. 

Ausgehend vom Generalbaß - wo also nur eine Stimme notiert, aufgezeichnet wurde, auf der aufruhend sich nach und nach das freie, aber immer improvisierte Spiel der übrigen Stimmen darum herum flocht. 

Notiert wurde eigentlich nur, so Rousseau, um jeweilige aus der geschichtlich-kulturellen Verfaßtheit auftretende Fehler zu verbessern, oder zu vermeiden. Das Spiel der Harmonie aber ergibt sich aus dem ästhetischen natürlichen Empfinden jedes Menschen von selber. Vorausgesetzt, er hat in sich die Tore zur dieser "Natur" geöffnet. Wozu zum einen viel Übung nötig ist, um zum anderen den individuellen Geschmack von Zufälligkeiten zu reinigen. Aber jeder Ton hat seine Harmonien insofern in sich, als sich jeder Akkord aus dem Melodieverlauf, aus der Zeiterstrecktheit einer Melodie ergibt. Denn Ton an sich gibt keine Aussage, keinen Sinn. 

Das Übereinstimmen aber von Sinn und Ton ist - Melodie, Entfaltung der Töne in der Zeit. Akkorde setzen in die Gleichzeitigkeit, was die Melodie nur über die Zeit entfaltet. Darin muß - über das Hören also - der Musiker geschult sein. Um so die Aussage seiner Zeit zu erfassen, und sie (wie anders?) in der Melodie wiederzufinden. Denn jede Melodie ist Ausdruck der Stimmung der Zeit, die immer neu ist. Der Künstler muß sich also aus dem "Bekannten", auf dem alleine er aber nur aufsetzen kann, der Tradition, allmählich lösen. Das ist sein Selbstfindungsprozeß, sein eigentlicher künstlerischer Prozeß: das Finden der zeitgemäßen Melodie. Die zugleich immer ein Überschreiten des konventionellen Geschmacks bedeutet.

Aus dieser Allgemeinheit der Stimmung heraus, hat sich im Laufe der Zeit die Aufgabe des Komponisten selbst herausgebildet. Der in einer immer detaillierteren Notierung Feinheiten herausarbeitete, von denen er meinte, daß sie in der Interpretation übersehen oder nicht bewußt präsent wären. So hat sich Musikkultur aufgebaut und in immer rascherem Tempo entwickelt.

Mit einer neuen Aufgabe allerdings, die sich je neu stellt: Aus der Notierung heraus muß die Freiheit der Historizität, des Schöpferischen, das ja nur originär und original sein kann, neu herausgeschält werden. Das Alte muß also immer auch gut bekannt sein, ehe Neues werden kann. 

In ihrer Geschichte hat sich die Musik freilich genau aus diesen Zusammenhängen - analog zu den Wissenschaften seit der Renaissance - zu einer Formallogik hin entwickelt. Die Technik gewann Oberhand. Wo neues Komponieren - man lese "Doktor Faustus" von Thomas Mann! - zunehmend zu einem logischen Ausfalten von technischen Formalprozessen wurde. So daß "Neues" nur noch hieß, noch nicht vorhandene technische Konstellationen zu finden, die Notierungstechnik auszureizen. Indem man die Logik der Tonschrift ausschöpfte, anstatt dem Hören der Zeitmelodie treu zu bleiben. Die wesenhafte künstlerische Hingabe wird aufgesogen von der Faszination technischer Konstruktion, der Technik selbst.

Mann spricht in seinem großartigen Dialog des Adrian Leverkühn mit dem Teufel die Konsequenz aus: Damit wird das Schöpferische, das dem Tonsetzer nun fehlt, zum dämonischen Akt. Denn das wirklich Neue kann sich der Mensch nicht geben. Es ist die demütige, stille Frucht eines geschenkhaften, hingebenden Hörens und Verarbeitens. Verfangen in der Logik, getrieben von einer bewußt gewordenen Sendung zum Schaffen aber fehlt dem Tonsetzer damit das Schöpferische. Und so wird es zum Willen zum "Neuen" - und hier bleibt nur noch die Dämonie. Denn auch und gerade der Teufel kann nichts "schaffen". Er kann nur Zwischenräume aufzeigen, die das bereits Geschaffene immer läßt. Tonschöpfung, Komponieren, wird somit zum Destruktionsakt der Melodie. Und darin wirklich zur Hervorbringung "des Künstlers selbst", der in dieser Dämonie gottgleich wird.

Die wirkliche Anbindung an das Schöpferische, das "Originäre", auf das sich Rousseau bezieht, ist aber eine nie machbare Frucht persönlicher Läuterung. Verliert eine Kultur ihr Leben, an dem sie ja nur teilhaben kann, verdämmern auch ihre Melodien. Sie verliert sie. Der Künstler "hört nichts" mehr. (Man beachte dabei: Beethovens Taubheit! Er stand an der Schwelle zum Tod der Musik. Ab nun herrschte zunehmend Blendwerk.) Während das Herausschälen aus den Tonschrift-Zwängen immer schwieriger wird, stürzt der Hörende ins Leere. Also klammert er sich an die Tontechnik, den Effekt, die kalkulierte Wirkung, ja es bleibt ihm nur noch Ironie, gar Zynismus, dem letzten Refugium, wo sich Schöpferisches noch (als Schatten, als Negativum wenigstens) aussagen, sich seiner selbst vergewissern, seinen Impuls am Leben halten kann. Sie soll ihn über dem Nichts halten - als aufrechte Sehnsucht an den Teufel, dem Fürsten des Nichts. Er hat Leverkühn nicht zufällig heimgesucht.* Die Person des Künstlers wird plötzlich entscheidend, nicht mehr sein Werk.

Zunehmend, folgt man den Analysen von Modris Eksteins, wurde deshalb im späten und schöpferisch bereits beachtlich unfruchtbaren 19. Jahrhundert (Goethe hatte sich ja auch längst von seiner Zeit abgewandt, zu wenig fand er noch die ursprünglichen schöpferischen Stimmen in ihr) die kalkulierte Publikumsreaktion, das Prozeßhafte, der Künstler selbst zum Bestandteil des künstlerischen Werks. Kunst wurde zum Event, zum gesellschaftlichen Ereignis, das Werk selber immer bedeutungsloser - Kunst wurde zur Virtualität des Erlebens, die Person des Künstlers, sein Sensationswert wurde entscheidend.

Und man besuchte Aufführungen "neuer" Komponisten, weil man mit dem Sensationswert des Künstlers rechnete, auf einen solchen regelrecht hoffte. Man besuchte die Darbietungen des Russischen Balletts von Diaghilev WEIL man einen Skandal erwarten durfte. Bei dem man dabei gewesen sein wollte. Paris als Herz Europas entschwand, in Wien und München kam es zur "Sezession", dem Auszug aus den traditionellen, in sich aber bereits abgestorbenen Gestalten, Kunst löste sich vom Werk. Die Zeit Berlins, Amerikas brach an. Das Kabarett, noch mehr aber die bloße Unterhaltung blühte auf, die doch nur Vorhandenes preßt und quetscht und aufzehrt, deshalb ihr Verglühen in immer höherer Anforderung ans Tempo selbst bewirkt.

Das 20. Jahrhundert begann in diesem Impuls, und er kennzeichnete es: aus dem Willen zum Neuen. Durch endgültige Zertrümmerung des Bekannten, stürzte man sich auf alles, was Bewegung verhieß, das Vorhandene ausquetschte, egal um welchen Preis, in Vorahnung des Endes.**

Die Frage bleibt, ob sich in einer Zeit wie heute künstlerisches Werk nicht bestenfalls noch als manieristisches, im Grunde sinnloses ästhetisches Konstrukt finden kann. Befreit von den dichten Schlingen der Zeit, gähnt eine schreckliche Leere. Als jene Melodie, die zum letzten Ton erstarrt seit hundert und mehr Jahren auf Weiterführung wartet, aber kein kulturelles Material mehr findet, mit dem sie sich im Werk vermählen könnte. Nur "Melodiehaftigkeit" alleine hieße ja nur wieder technisch umbrechen, was aber des inneren Gehalts bedürfte.

Wird damit Musik zum bloßen monotonen, gar nicht wirklich hörbaren Sphärenklang, der jeder Auflösung in der Welt - als Melodie, als Werk - entbehrt? Denn ohne Kultur kann es keine Musik geben.





*Man kann historisch plausibel nachvollziehbar die Komödie immer als Versuch sehen, einem Leichnam noch das letzte Leben abzugewinnen.

**Eksteins zeigt in "Solar Dance" anhand der in den 1920ern aufsehenerregenden Fälschergeschichte des Otto Wacker in Berlin die Veränderungen, die in der Kunstrezeption eingetreten waren: Der "Nichtskönner" (Hitler!) Wacker hatte zahlreiche so perfekt imitierte Bilder "von Van Gogh" verkauft, daß auch Experten kein qualitativer Unterschied aufgefallen wäre. Das einzige Kriterium der Unterscheidung von Fälscher und Künstler im Prozeß wurde - die Person. Man kaufte in der Weimarer Republik rauschhaft Van Gogh-Bilder als Symbole eines exzentrischen Malers, der zu Lebzeiten verworfen wurde und "gescheitert" war. Aber genau dieses sein Leben wurde nun in den Vordergrund gestellt, das "Starkonzept" geboren. Werk und Virtualität verschwammen bis zur Unkenntlichkeit. Das Bild als Kunstwerk, als Aussage an die Zeit, war bedeutungslos geworden. Van Goghs Rezeption hatte sich in dem Maß verändert, als seine Lebensgeschichte in den Vordergrund rückte - er wurde zum Helden seiner Zeit. Van Gogh hatte sich von der Religion zur Sprache der Kunst an sich gewandelt, in der nur noch (siehe: "der starre Ton", als letzte Erinnerung an die Quellen der Kunst) die "Sonne" (Hinweis: Swastika!) an die Quelle der Kunst erinnerte. Kunst selbst wurde zur neuen Religion, präsent in seinen Propheten, Vincent Van Gogh - Hitler. Seine Zerstörungswut wurde zur Identifikationsmarke des Zeitalters, Niederlage wurde zum Sieg erklärt. Der Inhalt der Welt wurde virtuell, eine Frage der "Information", abgelöst vom Ding an sich.

Man beachte, daß zeitgleich die "Liturgieexperimente" in Österreich (mit dem Zentrum Klosterneuburg) und Deutschland einsetzten, die in einer weitgehenden Auflösung der Liturgie nach 1970 ihre Verwirklichung fand - wo Inhalt, Heil, virtualisiert, das Werk selbst, die Liturgie, inhaltslos erklärt beziehungsweise gemacht wurde. Heute steht der Priester nur noch an einem Tisch, und deklamiert, was man angeblich erleben sollte, der Papst wird nur noch als "Star" rezipiert. Und "alle tun so" als würden sie das Virtuelle real erleben.





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