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Freitag, 2. November 2012

Entsorgungskosten

Der Umgang mit den Toten erzählt, wie die Menschheit sich selbst sieht. Und aus dem Selbstbild läßt sich die innere Qualität einer Kultur ablesen. Je höherentwickelt eine Kultur ist, desto höherstehend ist ihr Totenkult. Das Studium von Nekropolen macht deshalb möglich, das Wesen einer Kultur sehr genau zu studieren.

Vor allem zeigt sich in der Art der Bestattung die Vorstellung der Menschen zum Jenseits, zum Reich der Geister. Mit einer Grundaussage: Praktisch in allen Kulturen wurden die Toten nicht als mit ihrem Ableben "verschwunden" gesehen, sondern man ging von einem mehr oder weniger, häufig sogar sehr konkreten Weiterleben aus. 

Das ging so weit, daß der abendländische Gräberkult eine Überzeugung zum Ausdruck, nach der die Toten weiterhin "mit uns" leben. Der gesamte katholische Meßritus ist ein Ritus "auf den Gräbern".* Blumen auf die Gräber zu stellen, Kerzen zu entzünden, die Gräber zu schmücken, oder gar kleine Tempel darüber zu errichten (der Ursprung des Kirchenbaus), bezog sich nicht auf die Lebenden, auf deren Prunkbedürfnis, sondern auf die Wertschätzung dem Ursprung gegenüber - den Ahnen. Die man keinesfalls für tot hielt, nie. 

Die Vorstellungen, daß sie weiterleben, findet sich speziell in der Antike (in ihrer Abkünftigkeit aus Ägypten, wo der Gräberkult noch ausgeprägter war) sogar in der Form, daß man sich für das Weiterleben der Gestorbenen materiell verantwortlich fühlte, beim Totengedenken Opfergaben auf die Gräber stellte - Festmähler, Wein, etc.**

Umgekehrt besteht eine reale Nähe von Toten und dem Glauben an Götter. Denn in vielen Religionen zeigt sich noch heute der Glaube an deren Einfluß auf das Wohlergehen der Menschen selbst. Nur mit Ehrfurcht - Heiliger Furcht - sprach man von ihnen, und ihre Gräber zu ehren war mehr als freiwillige Pflicht: es war Notwendigkeit, um den Zorn der Toten nicht heraufzubeschwören.
Als der Verfasser dieser Zeilen in den 1960er Jahren Ministrant war, einer von 80, 100 und mehr Ministranten der Stadtpfarre***, natürlich: lauter Buben, Jugendliche, bestand ein regelrechte "Griß" um den Dienst bei Hochzeiten, Taufen, und Begräbnissen. Denn da gab es reichlich Trinkgeld. Bei all diesen Anlässen rechnete niemand, und das obwohl der "Wohlstand" ganz gewiß deutlich unter dem heutigen lag. Ja zum Gegenteil war oft zu bemerken, daß gerade die ärmsten Leute am meisten Trinkgeld gaben. Es ging bei Begräbnissen nur um eines: eine würdige Feier zu zelebrieren, die den Toten würdig verabschiedete. Kleinkrämerisches Rechnen wäre niemandem eingefallen, es hätte die Würde des Toten verletzt.

Was sagt es da nun aus, wenn die Sargproduktion in Deutschland - bei statistisch gleich gebliebenen Sterbefällen, in absoluten Zahlen gerechnet - um 20 % zurückging? 

Denn es drückt sich nicht nur darin aus, daß mittlerweile 2/3 der Särge aus Billigländern stammen. Es sagt, daß bei Beerdigungen heute immer genauer gerechnet wird. Weil es den Menschen heute schlechter geht als früher? Welch ein Unsinn. Der Wohlstand in den 1960ern war ohne jeden Zweifel geringer. Man hatte nur andere Prioritäten, nach denen man ihn einsetzte. Eine Beerdigung MUSZTE "standesgemäß" sein (als richtig verstandene "Bescheidenheit", die auch die Hochgemutheit einschließt), und zwar dem Stand des Toten (nicht der Lebenden) angemessen. Die Bezüge dürften nach dem oben Gesagten deutlich genug sein.

Vorbei die Zeiten, wo der Beruf des Bestatters (ähnlich wie Apotheken, oder Hochzeitsausstatter) die Versicherung für Wohlstand und ausgezeichnete Verdienstspannen bedeutete. Weil eben niemand rechnete, was nicht hieß daß man das Geld "hinauswarf", was aber hieß daß es als pietätlos empfunden worden, Preise zu vergleichen. Konkurrenz IST banal, pietät- und damit geistlos. Während es heute als Argument gilt, daß Importsärge um 30 % billiger sind als im Inland produzierte. Ein Wandel. Das gab es noch nie.

"Der Umgang mit dem Tod hat sich extrem verändert", sagt der Geschäftsführer eines Sargherstellers, der ungenannt bleiben möchte. "Gäbe es dafür eine Studie, Deutschland würde irgendwo abgeschlagen auf Platz 381 landen." Mit Begründungen wie "Mein Mann war ein einfacher Typ. Er würde es einfach haben wollen" entscheide sich mittlerweile der Großteil der Hinterbliebenen beim Bestatter für die preiswerten Modelle.

DIE WELT spitzt diesen Trend, der sich vor allem in Großstädten deutlich abzeichnet, sogar noch weiter zu. Weil er sich auch in der stark steigenden Zahl der Feuerbestattungen ausdrückt. Denn erstmals wurden 2011 mehr Menschen verbrannt, als traditionell bestattet. Es war alles andere als Zufall, daß noch bis vor wenigen Jahrzehnten die Feuerbestattung hierzulande ein Zeichen des Nihilismus war. Weil sie der Auffassung vom Menschen, auch nach dem Tode, demonstrativ nicht entsprach.

Die Welt nennt all das, unter Berufung auf ihre Gespräche mit den Bestattern, einen "Trend, der von der Bestattung hin zur Entsorgung geht".

Die Entsorgung von Karosserien, die man zuvor noch als "Organspender" ausgeschlachtet hat. Die Entsorgung von durch eine völlig falsch verstandene Palliativmedizin zur Bewußtlosigkeit niedergespritzten Menschen, die nur noch Organmechanismen waren, die irgendwann den Dienst aufgaben, die die Angehörigen nach Leben oder Nicht-Leben einstuften. Wenn ihr Leben nicht - manche nennen dies in wahrer Perversion sogar noch Liebesdienst! - absichtlich zu Ende gebracht wurde. 







*Jeder katholische Altar hat deshalb eine Reliquie eingebaut, ein Stück eines toten Heiligen. Nicht nur der Altar ist deshalb zuerst ein "Totenschrein", sondern auch der Tabernakel ist an sich ein Grab. 
Daß er häufig in Verbindung mit der Gottesmutter Maria gestaltet wird zieht eine Querverbindung mit der ohne Erbsünde Empfangenen, die nie starb, die leiblich in den Himmel aufgenommen wurde. Sie ist der Heiligste aller Schreine, aus ihr ging Gott selbst hervor, im Sohn Jesus Christus. Tabernakel wie der von Mariazell in der Steiermark zeigen sogar noch mehr Bezüge: Während die Gottesmutter über dem Tabernakel thront, umhüllt sie ein weiter Mantel - eines der ältesten Symbole der Menschheit, die sich in so gut wie allen Religionen als "Weltvorhang" wiederfindet. Die Welt also als kunstvoll verwobenes Geflecht, wo alles mit allem zusammenhängt, das die Mittlerin aller Gnaden, Maria, umgibt, ja: sie gibt dem Mantel Welt (sogar der Bezug Frau/Mutter und Natur sei hier noch angedeutet) die Form, des Gehorsams dem göttlichen Sein gegenüber. So, als käme der Menschensohn nicht einfach aus ihrem Leib (und die verteilte Heilige Kommunion, die der Priester bei der Konsumation an das Volk austeilt, sollte vorgeschriebenermaßen auch immer aus dem Tabernakel genommen werden) hervor, sondern aus der unverwundeten, erbsündelosen Schöpfung, weil in Jesus Christus die Schöpfung Anfang und Mitte und Ende hat.

**Das Problem der Antigone ist also so gut wie immer viel zu verkürzt dargestellt, unverstanden und deshalb falsch interpretiert - es geht Antigone um mehr als bloße leere Tradition, schon gar nicht um irgendein Recht der Frauen. Es geht um das reale Wohlergehen der Toten im Reich der Schatten, das sich direkt auf das Wohlergehen der Welt auswirkt. Tote nicht zu ehren, sie nicht würdevoll zu bestatten, hatte direkte Auswirkungen auf deren Wohlergehen im Jenseits. 
  
***Heute. 2012, hat dieselbe Stadtpfarre, bei deutlich vergrößerter Zahl der zu betreuenden Seelen, kaum noch 20 Ministranten, mehr als die Hälfte davon Mädchen, bei einem Meßangebot, das sich um 2/3 reduziert hat. Während noch vor 40 Jahren 1 Dechant und 5 Kapläne (zuzüglich Seelsorgern in Krankenhäusern und Klöstern) mit der Betreuung beschäftigt waren, macht heute gerade noch ein Pfarrer und ein "Sonderseelsorger" Dienst.



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