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Mittwoch, 28. November 2012

Neulich, (2) ... Der Film

aus 2010) Sie erinnern Sich? Kramer, Goldmedaille, Eisschnelllauf über 10.000 m ... sonst: lesen Sie noch nach?

Unser Film beginnt also ... nein, nicht wie Sie meinen, mit dem Holländer, der gerade seine Freundin, die ihn mit der Nachricht überrascht hat, daß sie schwanger sei (von ihm, natürlich), wie Scheiße behandelt hat, sie versaue ihm seine Karriere, und er beginnt auch nicht mit dem Trainer, der einen behinderten Sohn hat, und mit einer Nation, Niederlande, konfrontiert ist, in der Sterbehilfe - die Entsorgung seines Sohnes - zur Kosmetik des Nationalbewußtseins als schöne, junge, lebenslustige Leuteversammlung dient, sodaß er ein sehr zweispältiges Verhltnis zu dieser seiner Nation aufbaut, schon gar als ihn der Minister bei einer Cocktailparty auf die Bedeutung dieser Goldmedaille für ein Holland in der Wirtschaftskrise hinweist ...

Nein, das lassen wir sein, was es ist - Nebenplots. Und wir wollen auch keinen Moralfilm. Wir wollen das Herz erwärmen, und das geht nur, indem wir es am Schönen freuen, und das ist immer der Glaube an ein gutes Geschick, das hinter allem steht.

Der Film beginnt deshalb ... mit einer Einstellung, in der man einen Garten in Südkorea sieht, wo ein frustrierter Eisläufer Holz hackt, und im Gespräch mit seiner Freundin, nein, seinem kleinen Bruder, ein ganz entzückender Bub übrigens, das Ende seiner Karriere überlegt. Der interessanteste Teil ist vielleicht jener, wo sein kleiner Bruder, der das Geld seines (armen) Vaters "geliehen" hat und nun auf seinen Bruder wettet, am Schalter des Wettbüros in Vancouver mit einem Amerikaner zusammenstößt, dem sein Wettschein aus der Hand fällt - auch er hat auf seinen Bruder gesetzt, aber ... Millionen.

Als die Familie ihren Helden schließlich am Flughafen empfängt, sieht man, im Hintergrund, wie der nunmehr geschaßte Trainer des Holländers mit eben diesem Mann ruhig und gelassen, ja: fröhlich, auf die Maschine nach Amsterdam wartet.

Aber das müßte gar nicht so deutlich sein; eleganter bliebe es, wenn sich's der Zuschauer selber dazudenken könnte, oder müßte. Es genügt, wenn der kleine Bruder, und der Mann vom Wettbüro, zufällig nebeneinander in der Maschine zu sitzen kommen. Und der Mann lädt ihn auf ein Glas Sekt ein - er hätte etwas zu feiern. Als er die Brieftasche öffnet, um zuzahlen, und daneben erzählt, daß es das alles früher kostenlos gab, aber die Zeiten änderten sich halt, fällt ein Bild zu Boden. Es ist das Bildnis des Trainers Kramer's! Und unser Mann sagt: Ah, danke (denn der Junge hat es aufgehoben) - das ist mein Bruder. Wir haben uns nach langen jahren wieder einmal getroffen. Es ist gut, wenn man einen Bruder hat, der zu einem hält. Und der Junge nickt heftig, und grinst.

Kamera von Nah auf Halbtotale, Totale in Überblick Flugzeug Innenraum, Schwenk aus dem Fenster, die Flugzeugflügel, die Wolken, der blaue Himmel, die Ferne, outfading, Abspann.

Und dazwischen, höre ich Sie nun fragen?
Was dazwischen, frage ich zurück?
Na, man kann doch nicht einen Film nur aus Anfang und Ende bestehen lassen?
Ach so! Na klar, aber das ist doch kinderleicht, ja, das ist ja schon da, hören, sehen Sie es nicht?! Da passiert das alles, die Geschichte mit der verpaßten Goldmedaille, all das Training in Korea, die kleinen und großen Entmutigungen und Enttäuschungen die der liebenswerte, naive, selbstlose Koreaner erlebt, bis er kurz vor der Abreise nach Vancouver sogar endgültig aufgibt, und dann, im letzten Moment, noch ins Olympiaaufgebot übernommen wird, weil sein Teamkollege an japanischer Grippe erkrankt, dem man mehr zugetraut hat, als ihm, der doch noch nie die Langstrecke gelaufen ist.

Und die Geschichten in Holland, die Demütigungen des Trainers, der in einem Gespräch mit seinem Bruder davon spricht, welche Gewissensprobleme er hat, diesem Land eine so sichere Goldmedaille zu erarbeiten, während er mit seinem Sohn dieses Land so unmenschlich, ja lebensunwert erfährt.

Und die Geschichte mit dem Eisläufer, und seiner Freundin, seiner Arroganz, mit der er von ihr die Abtreibung verlangt, um gleichzeitig von ihr totale Gefolgschaft zu fordern, die ihm, dem Superstar, der keinen Schritt aus dem haus machen kann, ohne von Presse und Fans beobachtet und belagert zu werden, der Pressekonferenzen gibt, wo er die Konkurrenz - die er nun vier Jahre lang spielend in Schach hielt - demoralisiert und lächerlich macht, vor allem die Russen, die Norweger, die Deutschen ... die Koreaner? Wer sind die Koreaner? Ist das ein Sushi-Gericht? Und der so nebenbei die Verhandlungen führt, die ihn nach Olympia, nach der 100. Goldmedaille für sein Land, neben Adelstitel und Königin-Empfang, zu einem nicht mehr nur reichen, nein, zu einem steinreichen Mann machen sollen, der in Öl und amerikanische Waffen investiert.
Während seine Verhandlungspartnerin, eine etwas herbe, aber nicht unhübsche Amerikanerin, so unkompliziert scheint, und keine Kinder will, und mit ihm sehr rasch zumindest im Bett Übereinstimmungen feststellt, die eine gemeinsame Zukunft sehr plausibel machen, vor allem teilen sie die Leidenschaft für Geld und schicke Autos, und scheißen auf ihre Heimatländer, die sie nur zur Gelderzeugung brauchen, ansonsten aber wegen ihrer Kleinkariertheit hassen, denn in Marokko, ja dort, dort wird es einfach geil!

Und die rührende Fortführung der Geschichte der Maike, seiner Freundin, die alles aufgibt, ihn überall verteidigt, weil sie doch auch seine lieben, rührenden Seiten so schätzt, die aber keiner kennt, und die mitfährt, auf eigene Kosten, nach Vancouver, um ihm dort die Daumen zu drücken, sich mit ihm zu freuen, ihn vor allem aber zu stützen; die aber auch mit den Koreanern so ganz zufällig, bei Fish & Chips, bekannt wird, und m,an merkt sofort: die sind aus demselben Herzensholz! Da ist Herz! Was, fragen Sie sich also, als Zuschauer, hat diese so liebe, so schöne, so gütige, so erotische, so ... ach ... was also hat dieses phantastische Geschöpf Gottes an so einem Kotzbrocken gefunden!?
Wie? Sie meinen, daß Meike und der Koreaner ... Nein, also bitte, das wäre ein wenig dick aufgetragen! Nein, das ist mir denn doch zuviel. Wir können sie ja noch kurz einmal begegnen lassen, am Ausgang der Olympiahalle zum Beispiel, als alles vorbei ist, an jenem turbulenten Abend, wie sie ihm gratuliert, (aber so, daß es ihr holländischer Freund nicht sieht, Sie wissen ja, sie ist eine ganz ganz liebe Meisje!), wie sie ganz ganz herzlich voneinander Abschied nehmen, er ihr nachblickt, sie aber ganz tapfer zu dem wütenden Oranje stapft. Sein Brüderlein nimmt ihn an der Hand, sie blicken sich an, er seufzt, der Bruder grinst, und los geht's, zum Flughafen, in die Heimat ... was, übrigens, würden Sie von dem Mädchen mit der Zeitung als Besetzung für Meike halten? Am Bild ist sie abgebildet, wie sie gerade nach Vancouver fliegt, zu ihrem Freund. Der ist ja längst dort. Und trifft die Amerikanerin, Sie erinnern sich?

Wir könnten aber ... warten Sie ... wenn wir Meike eine kleine Schwester geben? Und die, stellen Sie sich vor, ist total in ihren Schwager in spe verschossen, betet ihn an, und treibt ihre große Schwester, ihm ja alles recht zu machen. Fliegt natürlich mit, nach Vancouver, und trifft dort auf den kleinen Bruder unseres Koreaners. Den sie augenblicklich haßt wie die Pest. 'Aber das ist natürlich nur scheinhalber, in Wahrheit, und das stellt sich am Schluß heraus, ist sie total in ihn verschossen, Liebe auf den ersten Blick sozusagen. Aber das wagt sie erst zu sagen, als sie von ihrem Schwager schwer enttäuscht wird, weil sie mitbekommt, daß er eine andere hat, und sie, als sie das bemerkt, bedroht. Und da trifft sie dann ihren Koreaner wieder ... so ungefähr. Noch nicht ganz zufrieden? Ja, ich auch nicht, aber in diese Richtung könnte es gehen. Wenn wir es überhaupt drehen. Und wenn wir es gedreht haben, dann am Schneidetisch vielleicht doch rausschmeißen, weil es den Hauptstrang zu sehr verdeckt, da braucht es ja eine gewisse Hierarchie. In einen Roman freilich, in ein Epos, da könnten wir das reinpacken, da kann man mit wenigen Worten ganze Handlungen bedienen. Der Film - gerade weil er schon so üppig sinnlich umsetzt, weil er viel schwieriger poetisch zu gestalten, viel prosaischer ist - kann weniger erzählen, als die Literatur! Aber vielleicht lassen wir es doch bei ein paar Andeutungen, das mit der kleinen Schwester, ein paar Bilder, keine voll auserzählte Geschichte? Es wäre ja doch köstlich, die Kleine am Schluß, wenn er sein Malheur hat, laut aufjubeln zu sehen? Und beim Verabschieden, Sie erinnern sich, an der Tür, läuft sie auf den Jungen zu, und gibt ihm ein Küßchen!? Dann hätten wir das auch.

Das alles aber, und es ist hier nur angedeutet, das kannten Sie doch? Geben Sie es zu! Das ist die Mitte des Films, sein Rumpf. Aber das ist nur viel viel Masse, die lediglich austreibt, was am Anfang steht, und enthält, was am Ende kommt. Die beiden sind das Wichtigste. Und nur dort kann man allem Richtung wirklich geben, am Anfang, auswählen, am Ende. Die Mitte ist dem Zuschauer immer bekannt.

Weshalb ich auch völlig sicher bin, als Test zu dem Behaupteten, daß Sie mir sofort mitteilen könnten, was mit dieser Amerikanerin passiert, die er ja - im Goldrausch - nach Marokko mitnehmen wollte!? Was ihm die nun sagt, nachdem die Geschäftsbasis etwas ... gestört wurde? Und die übrigen Stränge? Ach, wir haben ja nur 90 Minuten! Nein, der Film soll locker und flockig bleiben, zwei Hauptstränge, der Rest hat andere Aufgaben.

Ich glaube außerdem vorhersagen zu können, daß sie mir zustimmen werden, daß es nicht mehr nötig ist aufzulösen, was z. B. mit dem Trainer weiter passiert. Das, soweit mische ich mich da ein, deuten wir ja ohnehin ein-, zweimal mitten im Film an. In einem gar nicht langen Gespräch zum Beispiel. Er erzählt darin seinem Bruder, daß er davon träumt, in die Nachwuchsarbeit zu gehen, den vielen Talenten vor allem charakterliche Formung zu geben, denn das ist das Wichtigste, sagt er einmal sogar. Denn Erfolg? Erfolg ist eine Frage des Schicksals, und damit geheimnisvoller personaler Mächte, nicht der Mathematik. Mit diesem Gespräch geben wir nämlich der ganzen Thematik einmal ziemlichen Tiefsinn, und dann doch ein bisserl Augenzwinkern. Denn: der trieft ohnehin ein wenig, wenn wir nicht achtgeben, Sie und ich ... ;-)

Sehen Sie, so ist nun alles da, der Film ist gelaufen. Es sind eben wir, die wir die Geschichten uns selbst erzählen. Nicht so sehr die, die sie uns erzählen. Die stoßen nur an, was in uns ist! Und die schenken uns - das dürfen wir dann auch annehmen! - den Ausgang, denn dort kommt auch die menschliche Freiheit dazu. In dem, was sie uns damit von dem anstoßen, was in uns ist, und wir manchmal gar nicht wußten.

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