Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 1. November 2012

Zwang zu wollen

Von Alzheimer und Demenz bis zum Burn-out-Syndrom, und die Liste wäre kaum vollständig zu führen - Resultate der Entfremdung, in denen der Mensch sein größtes Gut von sich selbst abspalten muß: den subjektiven Lebensvollzug in die Wirklichkeit hinein. In der von der Ökonomie beherrschten Lebenswelt, in der selbst Arbeit und Wirtschaften zur Ideologie wird, herrscht der Zwang, unter (vermeinten) existentiellen Notwendigkeiten etwas wollen zu müssen, das vom innersten Wesen her nicht gewollt wird. Im Arbeits- und Alltagsgeschehen wird etwas gelebt, das nicht als die eigentliche Tätigkeit (sondern als Dienst am System) gelebt wird (R. Kühn).

Während in offener Sklaverei* dieser Zwang aber von außen auferlegt ist, ergreift er im Kapitalismus den Menschen von innen her: er muß ihn wollen, im Mißbrauch seiner Freiheit. Das macht sie so unangreifbar, dem Mißbrauchssymptom (in seinem schizoiden Ansatz) so ähnlich, das damit DAS Zeitsymptom wird. Über eine diffuse Klage über das "System" kommen deshalb die Menschen nicht hinaus, ihre permanente Unzufriedenheit findet kein Ziel, weil sie selbst es sind, die zu dieser Entfremdung "hin wollen". Ihre Gedankenwelten finden die Ursache nicht. 

Weshalb auch eine Lösung der Wirtschaftskrise, die eigentlich eine Gesellschaftskrise ist (und deshalb immer schamloser Wirtschaftslogik auf Gesellschaftspolitik überwälzt, in dem sie die einzelnen Lebensbereiche noch weiter fragmentiert, für sich stellt, "objektiviert"), innerhalb dieses Systems unmöglich ist, im Gegenteil, die Systemzwänge zum Mißbrauch noch weiter verstärkt.



*Die also paradoxerweise noch in sich "human" ist, weil Arbeitskraft gerade in der Sklaverei vom Menschen selbst nicht getrennt werden kann, als äußeres Joch zudem innere Distanzierung ermöglicht: der heutige Arbeitnehmer gehört nicht einem "Herrn", sondern seine ureigene Tätigkeit im nie enden könnenden Versuch des Lebensvollzugs gehört einem Dritten, dem Besitzer der Produktionsmittel. Speziell in den politisch verhängten Bildungssystemen wird - in der "objektivierten Wissenschaft" (die auch dem Wirtschaften zugrunde liegt) der Mensch sich selbst entzogen, weil sein Denken nicht aus seinem originären Lebensvollzug steigt, sondern ihm selbst entfremdet wird. Ein hermetischeres Gefängnis ist nicht vorstellbar: Änderungen der Denkweisen, von Meinungen, werden zu Fragen, die die gesamte Existentialität betreffen. Worin sich die Begründung findet, daß wirklich fundamental andere Denkweisen - Evolution/Schöpfung, Klimawandel, Gender, etcetera - zu lebensgefährlichen Bedrohungen werden, weil für die genuine Lebenserfahrung kein Instrumentarium mehr zur Verfügung steht, sich im Individuellen zu verankern. Aber selbst "religiöse Bewegungen", die auf "Bekenntnis" aufbauen, die Transformation der Religiosität zu Bekenntnisreligionen an sich, tragen exakt dieselben Merkmale.



*011112*