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Sonntag, 4. November 2012

Mitten im Totalitarismus (I)

Es ist kein Kavaliersdelikt, sondern geht über die Sprache ins Denken, das in seiner Begrifflichkeit - die auf das Erfahren der Wirklichkeiten zurückgeht, sich in der Tradition, in den "gesellschaftlichen Konstrukten" lediglich seine historische Gestalt sucht: das "Genederisieren" von Texten. Wie bei der Polioimpfung, die mit einem Stück Zucker vor sich geht, wird universitäre Autorität längst dazu mißbraucht, diese in seinen Auswirkungen auf die Vitalität der Menschen völlig unterschätzte Ideologie unter Zwang zu realisieren.

Andreas Untersberger bringt ein konkretes Beispiel, wie an einer Fachhochschule eine Seminararbeit nicht angenommen wurde, weil die Verfasserin ihre Arbeit nicht "genderisiert" hat (was im übrigen den Umfang um 20 Prozent aufgeblasen hat, ohne daß auch nur ein zusätzlicher Gedanke darin enthalten wäre.)

Die meisten Studenten, heißt das zusätzlich, haben sich in den Zwang längst eingefügt, ihnen erscheint diese Sprachzerstörung nicht einmal mehr störend, sie sind es aus ihrer bisherigen Schulkarriere wohl längst gewöhnt. Die meisten Lehrer und Dozenten sind also längst Handlanger des Totalitären. Was ohnehin - bei zentralistischen Schulsystemen - kaum je anders war. (Ja, gerade die, die dann "nie wieder Faschismus" rufen, und jährlich Gedenkveranstaltungen in Mauthausen als Schulexkursion abführen.) Und gehirngewaschen verlassen sie bereits die Ausbildungsstätten und Universitäten.

Und da diskutiert man gelegentlich, wo denn der Totalitarismus zu finden sein solle? Er ist schon so alltäglich, so internalisiert, daß er gar niemandem mehr auffällt. Befragt, meinen weit über 90 Prozent der Jugendlichen heute, daß sie "frei von Ideologie" in ihren Ansichten wären, ja Ideologie ablehnten ... Da kann man schon in Bitterkeit fallen, solches zu hören.

Wobei die Rechtschreibreform vor 15, 20 Jahren diesen Ideologisierungsschub in der Sprache vorbereitet hat, das muß man in seinen Zusammenhängen sehen. Denn in ihr wurde Sprache erstmals zur Regierungsangelegenheit, zur Angelegenheit einer positivistischen Verordnung, entrissen der Verwurzelung in der Wahrnehmung - sondern beliebig. Damit wurde die Schule mit ihrer eigenen Waffe geschlagen: denn wenn Sprache auch entgegengenommen und in Besitz genommen werden muß, darin die Haltung der Demut braucht, so macht das dem Totalitarismus dann kein Problem, wenn die Lehrer bereits seine Handlanger sind. Die sie einerseits mit dem Versprechen der (autonomistischen) Beliebigkeit aus der Tradition herausbrechen und Sprache schon im Kind gar nicht verfestigen läßt, anderseits genau damit radikal Schluß machen, wenn es um die Verfestigung in der Darstellung dieser Ideologie geht. Womit das Sprachempfinden doppelt düpiert wird.

Es ist die reale Lebenspraxis, die den Geist bildet und verändert, so wie jede Erkenntnis persönlicher Akt ist (rein rationales Ineinanderfallen unabhängiger Inhalte). Selbst noch so rationale Kritik kann daran nichts ändern, sie kann nur auf die Veränderung der Praxis abzielen. Der Totalitarismus zielt eben auf die Lebenspraxis ab, nicht auf Diskurse. Er ist ein Problem der Macht, nicht der Wahrheit.

Wirkliche, nachhaltige Propaganda, zeigt Jacques Ellul in "Propaganda", zielt auf die Entstehungsstrukturen der Weltanschauungen ab, nicht auf Inhalte. Sie überläßt die Einpflanzung von geistigen Haltungen den Ergebnissen des Alltags selbst, und zielt deshalb auf die Veränderung der Lebensgewohnheiten ab, um so einen "Charakter der Propaganda" zu schaffen. Dem das Leben selbst (im wahrsten Sinn) Todfeind ist, das sie ausschalten, fernhalten muß. Mit dem sie dann aber machen kann, was sie will. Denn Inhalte sind austauschbar. Nichts aber ist so überzeugend, wie die Einübung in Abläufe und die Sprache der Technik. In der Genderisierung aber wird die Sprache dem subjektiven Wirklichkeitsempfinden entrissen, und ein Weltbild geprägt, das diesem originären Empfinden sui generis widerspricht: weil die Ideologisierung des Sprechens die Durchblutung der Sprache selbst verhindert. Der Mensch wird damit als Individuum orientierungslos, ihm bleibt nur noch der voluntaristische Akt, einer "Überzeugung" beizutreten, um diesen Halt zu finden, ohne den er nicht leben kann. Weil sein Denken seine Aufgabe nicht mehr erfüllt: Die Erscheinungen der Welt in der Wahrheit zusammenzuführen, im Logos, der in allen Dingen steckt, den aber nur der Hörende vernimmt.

Die Genderisierung der Sprache - wie es letztlich auch Untersberger macht - mit utilitaristischen Argumenten zu verweigern, ist deshalb nicht nur ungeistig-primitiv (und selbst objektivistisch), sondern völlig ungeeignet, weil die Umständlichkeit des "Genderns" nur als Ausdruck seiner Wesensfremdheit zur Sprache selbst von aussagender Bedeutung ist. (Und Beispiele gibt es ja genügend, daß die Gendersprache das gesamte Sprachgefüge, ihre Aussagekraft, entscheidend deformiert und auflöst.) Künstliche Begriffe wie das Gendern einfordert, zerreißen nur das Gewebe der Sprache, und daß die "Ökonomie" der Sprache verloren geht, zeigt das nur an: sie lösen die Sprache generell auf.

Es stimmt auch keineswegs zu behaupten, daß die maskulinen Formen für allgemeine Begriffe (genauso aber, wie feminine!) aussagelose, neutrale Plurale wären. Das sind sie nicht, sie sind sehr wohl Aussagen über die Natur und das Wesen ("ousia", "essentia", am besten mit "wesen", kleingeschrieben, übersetzt) des mit einem Wort Bezeichneten (Scheler nennt Worte einmal "Zeigestäbe auf Wesenheiten"), der Idee die in einem Ding steckt. Und der Haltung, die eine Kultur dieser Idee und seiner im Konkreten vorgefundenen Wirklichkeit (die nur durch die Idee überhaupt erkennbar wird) gegenüber einnimmt, wie sie ihr begegnet, wie sie sie rezipiert, und vor allem: über gar nicht absehbare Zeiten begegnet IST.

Bis zum letzten Grund der Worte, als Symbolon, als Bild, als Wirkbild, das für sich steht, und von der Menschheit als Ganzes wieder und wieder gebraucht, angeschmiegt, verwendet und für zutreffend befunden wurde. Diesen Bildern haben wir zuzuhören, sie gehen uns voraus - nicht wir "machen" sie. Wer die Welt im Geist erfassen will, der gehe den Worten nach! Sie sind das Fundament, auf dem wir auch heute stehen.

In der Sprachtradition - einem dicht gewobenen Netz vergleichbar, in dem ein Faden den anderen trägt und quert - also erhält sich die Weisheit, ja die Welt der Menschheit, die zu ergründen jedem auferlegt ist. Zahllose Generationen und historische Epochen haben an diesen Wortwerden mitgewirkt, und immer waren es die Menschen selbst, die auch diese komplexe Wirklichkeit der Worte verwendeten, in ihrem Erkennen wandelten, und neuerlich weitergaben. Wer die Sprache willkürlich ändert, behauptet also von sich, daß diese Weisheit nicht nur obsolet ist (und die Vorvorderen dumm und unmündig waren), sondern daß er sie endgültig übertrifft. Und schon diese hochmütige, ja dumme Haltung alleine ist an sich weisheitsfeindlich, konkret stammt sie aus dem objektivistischen Denken der Gegenwart, und nicht zufällig ist solches Sprachdekretieren typisches Merkmal von Diktaturen.



2. Teil in einer Woche: Sprache und Erkenntnis


*Ohne diese allgemeine Idee hinter den Dingen, ohne allgemeines Wesensbild, wäre kein Ding erkennbar, gäbe es kein Erkennen, und keine sinnvolle Sprache.



*041112*