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Freitag, 9. November 2012

Hausen in Ortslosigkeit (I)

Die Kleine Zeitung bringt einen Bericht über einen Möbel-Design-Wettbewerb, der der heutigen Lebensstimmung Rechnung trägt - Möbel für eine Gesellschaft der Nomaden. 

Der Begriff "Möbel" stammt übrigens von "mobile", und verfolgt man die Geschichte der Möbel zurück, so gründet alles in der Truhe, dem Stück, in dem alles Persönliche Platz hatte. Immer bereit, weiterzuziehen.  Nicht einmal Stühle waren noch im Mittelalter üblich, man saß auf Truhen und Gebäudenischen, oder am Boden, legte Tafeln, Bretter auf Böcke, zum Essen, die man wieder "aufhob", wenn gespeist war. "Stühle" hatte nur der Papst, der Kaiser, der Fürst, der Richter, maximal. Niemand sonst rechnete mit längerem Sitzen, die "Sitzmöbel" waren Klappmöbel, wenn überhaupt. Das Lebensgefühl war dem Gesamtrahmen entnommen: Atmosphäre des Raumes war alles, seine höhere Würde und Weihe. Das Möbel bedeutungslos. Leben bezog man aus dem Großen Ganzen, der Quelle von allem. Ihr gegenüber gab es nur jene Gewißheit, die der Glaube, der wachsende Glaube konstituieren kann.

Wir sind nur Gast auf Erden, Trabanten eines Ewigen, Unveränderlichen, Vorgegebenen, Transzendentalen. In ihm liegt alle mögliche Sicherheit. Noch in der Gotik stand das menschliche Leben deshalb unter der Vorgabe der Natur. Gotische Siedlungen und Städte waren der Schöpfung, den natürlichen Gegebenheiten eingeschmiegt, menschliches Denken, Wahrheit, war die Übereinstimmung mit der vorgegebenen Natur aus Gottes Hand. Denn alles erzählt von seinem Hervorbringer, atmet dessen Geist. Sicherheit gibt es nur in Gott. Aber dort - dort GIBT es Sicherheit. Und aus dieser Quelle nährt sich immer menschliche Vitalität, ungebrochen.

Mit dem Umbruch des Weltbildes, der Fragmentierung der Welt, der Loslösung des Wahrheitsbegriffs in der Wissenschaft hin zu einer Abstraktion, begann der Mensch sich der Welt als gegenüberstehend, sie zu unterwerfen gerufen, sehend. Damit begann die Kultur, die gesamte Erde als "zu gestaltende" zu sehen. Die Möbel wurden, mit der Architektur, "seßhaft", ein neuer Eigentumsbegriff zog ein. Über Renaissance und Barock entwickelte sich das Möbel schließlich mehr und mehr zur Funktion. Die gesamte Möbelproduktion des 19. Jhds. war bereits ein Ringen mit der Funktionalität, so wie in der gesamten übrigen Industrieproduktion. Stücke waren nicht mehr Werk eines Meisters, sie waren Ensemble von Einzelfunktionen. Das 19. Jhd., schildert es Modris Eksteins so überzeugend in "Rites of spring", war bereits in Jahrhundert in Bewegung, in dem sich die Kräfte des Bewahrens, des Klammerns an die Fundamente, mit den neuen ideen in immer schärferen Konflikt gerieten. Auf der Suche nach dem Normalen, nach dem Sicheren, standen sich zwei Konzepte der Sicherung gegenüber.


Morgen: 2. Teil - Heutige Möbel für heutige Menschen


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