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Mittwoch, 14. November 2012

Du bleibst, was du bist

Götz George steht vor der Kamera, um seinen Vater Heinrich George zu spielen, in einer halb-dokumentarischen Verfilmung dessen Lebens. Die FAZ hat ihn am Set besucht, hier Auszüge aus dem Artikel.

„Meine Mutter Berta Drews hat ständig von ihm erzählt“, sagt Götz George und fährt sich über das Gesicht. „Aber er war wie ein Phantom. Ich konnte ihn nie um Rat fragen.“ Schauspieler habe er selbst wohl nur werden können, weil der Vater früh gestorben sei. Denn dessen Devise sei gewesen: „Ein Genie in der Familie reicht.“ Seine Söhne hätten seinem Willen nach alles werden können, nur bitte nicht Schauspieler.


Heinrich George, 1893-1946

In erster Linie gehe es um die Frage von Schuld und Sühne, um die Verantwortung eines Künstlers in einer Diktatur, denn Heinrich George sei der einzige herausragende Schauspieler gewesen, der für sein Engagement in der nationalsozialistischen Propaganda mit dem Leben bezahlt habe. Dabei sei er weder Held noch Schurke gewesen, wie so viele Mitläufer.

[...] Sein Vater sei eine politische Niete gewesen, uninteressiert, er habe einfach nur spielen wollen. Sein Sohn will dem Künstler und Menschen nachspüren, den wolle er kapieren. Und er wolle ihn weder nachstellen noch kopieren. „Man interpretiert seinen Vater nicht. Das wäre unwürdig.“

[...] Den Weg zu der ehemaligen Militärbaracke in Münsingen, in der die Essensausgabe von Sachsenhausen nachgebaut ist, zeigen die Komparsen, die Maske und Kostüme in Elendsgestalten verwandelt haben. In dem kahlen Raum stehen sie Schlange, Blechbüchsen in den Händen. George steht hinter der Theke, im Rücken ein Regal voller Kommissbrote, deren Geruch sich mit dem Dampf aus dem Suppenkessel neben ihm vermischt. Die Kamera ist bereit, das Licht stimmt, der Ton läuft, der erste magere Mann nähert sich George und lässt sich einen Schlag dünne Brühe in die Dose kippen. Ob er denn seinen Text gelernt habe, fragt George mit müder Stimme.

“Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen“, stammelt der erste sich zurecht, der zweite stottert: „sehe nur, wie sich die Menschen plagen.“ Hoffnungslose Fälle. Doch dann der dritte. Wie er sich schon hinstellt, wie er den Mann mit der Kelle anschaut. „Du bist am Ende, was du bist“, rezitiert er, und seine Stimme füllt den Raum. „Setz dir Perücken auf von Millionen Locken. Setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken, du bleibst doch immer ... was du bist!“ Die Suppenkelle schwebt in der Luft, dann klatscht sie nieder: „Hau rein, Mephisto!“, dröhnt George. Hätte auch Schimanski sagen können. Oder George, egal, welcher von beiden. Vielleicht hat Mephisto einfach recht.

Götz George im Interview über seinen Vater (2008)


Heinrich George in einem NS-Fernsehinterview - Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet. - "Heute ist ein Bett vorbereitet, das bequem ist." Die Zeiten haben sich nicht geändert. Ideologien sind, schreibt Jacques Ellul, nie inhaltlich entscheidend, sie sind austauschbar. Es ist die Art der Rezeption, die seit dem 20. Jahrhundert die Menschen zu Erscheinungen ein und desselben Charakters, des entwurzelten Propaganda-Charakters, machen. Feindbilder dienen lediglich der Absicherung der eigenen Verankerung in der Gruppenmeinung.


Heinrich George in "Der Postmeister" (Puschkin; 1940)



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