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Freitag, 16. November 2012

Selbstanstrengung und Eigentum

Fehlt der Persönlichkeit die Erfahrung der Andersheit, fehlt ihm auch die Unterscheidung zwischen "mein" und "Dein". Er kann die Urheberschaft selbst seiner eigenen Stimme nicht mehr unterscheiden, die Welt zerfließt ihm in ein Ganzes. 

Deshalb ist auch zu beobachten, daß nur hoch diskriminative - also: unterscheidende, individuelle und im Anspruch auf Selbsttrage individualisierende - Gesellschaften bzw. Kulturen auch klare Eigentumsbegriffe haben. Während der Massenmensch sie nicht besitzt, im Gegenteil, er beansprucht "die ganze Welt", weil er mit ihr verschwimmt, und damit automatisch sie zu seiner wird (nicht umgekehrt).

Dasselbe, was undifferenziert "zustimmende" Erziehung bewirkt - wie sie heute üblich ist, ja indem genau dieser Nachlässigkeit in der Gerechtigkeit das Etikett "Liebe" umgehängt wird. 

Achtet fernerhin der andere nicht auf "sein" Eigentum, läßt er Zweifel offen ob er es behauptet, bewirkt er denselben Reflex im anderen. Dieb und schwache Persönlichkeit bzw. Massenpersönlichkeit gehören deshalb untrennbar zusammen. 

Dies betrifft im speziellen auch das Internet: durch die Manipulation in der Bedienung "erwirbt" sich sozusagen der Benutzer das Eigentumsrecht, es wird ihm unterstellt. Damit wird es "zu seinem Eigentum." Das Internet steht nicht zufällig unter dem Signum von Hermes, dem ... Gott der Diebe. Und nicht zufällig steht Ortslosigkeit unter demselben Patronat: Hermes, auch als Gott der Reisenden.

Weil (s. u. a. M. de Biran) Erkenntnis eine Selbstanstrengung braucht, ein Selbstausrecken sozusagen, ist das Internet per se erkenntnis- weil/und eigentumsfeindlich: es lädt förmlich aus seiner Natur heraus dazu ein, das Fremde als Eigenes zu gebrauchen, durch bloße Aneignungspräsenz. Dies wird noch verstärkt durch das Erfahren im Erkenntnisprozeß selber: Der Internetbenützer "sucht" ja seine Information (sonst erkennt er sie gar nicht als solche). Das darauffolgende "Finden" erlebt er also als "eigene Regung", in der Übereinstimmung als "Eigentum". 

Fehlt die Distinktheit im Selbst, und zwar in erster Linie weil das der Erkenntnis spezifische Anstrengen fehlt, an dem erst eigenes vom fremden zu unterscheiden wird weil der Akt der (wirklichen) Aneignung fehlt, fehlt auch das Bestimmen von Ursache und Wirkung. Zugleich erlebt der Anwender das Fehlen der eigenen Mächtigkeit (in genau dieser fehlenden Anstrengung, die ihn ja auch seiner selbst vergewissert, also Selbstbewußtsein hervorruft). Somit wird ihm Diebstahl überhaupt zur einzigen Möglichkeit, sich etwas anzueignen bzw. selbst zu werden.

Deshalb ist auch eine Erziehung, die wie heute dem "Förderwahn" (Zitat Doderer) anheimgefallen ist, warum auch immer, die alle Hürden beseitigen will, exakt kontraproduktiv. Sie bildet Diebe - keine Persönlichkeiten. Deren Wesen nicht "Talent" ist, sondern eben Anstrengung, Kraft, Selbstmächtigkeit. Die sich aber erst im Widerstand bildet, weil ihrer gewahr wird. (Mit dem nur scheinbaren Paradoxon, daß der Selbstmächtige auch leicht auf Eigentumsrechte verzichten kann - während der Dieb nie auf Eigentum verzichtet, weil er im strengen Sinn gar keines kennt.)





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