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Mittwoch, 21. November 2012

Hoffnung, nicht Illusion

Die Presse thematisiert das Phänomen, daß sich sehr offen gezeigt hat, daß "Expertenprognosen" die Wirtschaftsentwicklung betreffend als fast immer falsch und wertlos herausstellen. Fast traditionell liegen ihre Vorhersagen wirtschaftlicher Entwicklungen falsch. Und trotzdem beruft sich die Politik in ihren Entscheidungen auf sie, baut nach wie vor auf ihre Vorhersagen, und verkündet sie gar als Paradigmen des Handelns. Vor allem die Krise der letzten Jahre wurde durch Expertenprognosen fast ausnahmslos gewaltig "unterschätzt".

Die Ansicht, daß hier Zusammenhänge bestehen, könnte also mehr als ein Körnchen Wahrheit enthalten. Frohe Verkündigung bevorstehender Auf-, Kleinreden drohender Abschwünge, macht es der Politik leicht, weiter munter Geld auszugeben, das ja bald verdient werden wird. Hier, schwarz auf weiß, ein Gutachten, eine Prognose, ein wissenschaftliches Elaborat. 

Vor allem zeichnet sich hier aber nicht nur der Wunsch als Vater der Gedanken, sondern das Paradigma, Wirkung vor Wahrheit zu stellen, soll helfen, Krisen besser zu überstehen - indem etwas weniger Vorsicht einzieht, als angebracht wäre. Manipulation geht vor Information.

Die Frage stellt sich also, ob nicht diese Informationspolitik, die im übrigen zu guten Teilen nur die Internalisierung politischer Paradigmen durch Wirtschaftsexperten anzeigen könnte, maßgeblichen Anteil daran hat, daß die Volkswirtschaften Europas nicht und nicht gesunden wollen. Mancher Kommentator spricht sogar schon davon, daß der Höhepunkt der letzten Krise noch gar nicht erreicht sein könnte.

Aber über "Stimmung" hinaus gibt es etwas, das Wirtschaft bestimmt: Realitäten, Wirklichkeit. Unternehmer also zu "antizyklischem" Verhalten anzustiften kann bewirken, daß diese falsch reagieren. Sich in Krisen übernehmen, sich - angestiftet, ermuntert ihr eigenes Wissen und Spüren zu ignorieren - einfach nicht situationsadäquat agieren. Die Politik macht sich hier also doppelt schuldig: sie instrumentalisiert die Menschen, indem sie sie vorsätzlich falsch informiert, um sie zu einem ihr in den Kram passenden Verhalten anzustiften. 

Anstatt also in einer Krise ausreichend zu warnen, sich entsprechend in der Ausgabenpolitik darauf einzustellen, um gerade dadurch den Problemlösungswillen der Menschen anzuregen. Denn wie kann es geschehen, daß ein Großteil der Bevölkerung gar nichts von einer "Krise" gespürt zu haben meint? Wie soll sich also die Bevölkerung adäquat verhalten, wenn man ihr alle Folgen vorenthält, durch ungebremste Ausgaben, ja mehr: diese Folgenlosigkeit führt sich auf weiteres Drehen am Schuldenzirkel zurück.

Zwar stimmt, daß jede Bewegung sich in Spiralen verhält, durch bewußte Rezeption verstärkt wird, so oder so, aber der Einzelne reagiert immer rasch und situationsadäquat. Und es ist ja sein Leben, das er zu gestalten hat. Mal übervorsichtig, mal überzogen. Aber er hat es ja auch zu verantworten, und er korrigiert auch rasch wieder. Vor allem aber hat er ja eine Intention, ein Bedürfnis, sich in seinem Werk zu verwirklichen, und dieser Antrieb besteht, solange er lebt. Er ist es, der sich am Begegnenden reibt, formt, deformiert, aber auch durchsetzt, vor allem: letzteres.  Er ist es, der auch sein Maß hat; hat. Das nicht beliebig ist. Dazu gehört sogar, auch einmal "weniger" zu wollen. Und gerade DADURCH ist und bleibt er gesund.*

Die Jahreszeiten zeigen es doch: jede Pflanze, jedes Tier bewegt sich in Rhythmen aus kraftkostendem Wachsen und -sparendem Abnehmen. Im Ganzen nimmt etwas nur zu, wenn es gelang, "holzige", "knochige" Substanz aufzubauen. Hat etwas seinen biologischen Höhepunkt überschritten, bereitet es sich vor, zu sterben.**

Nun aber hat man erreicht, daß die Menschen generell mißtrauisch wurden. Und damit erst recht übervorsichtig reagieren. Denn die Menschen sind tatsächlich in gewaltigem Ausmaß mißtrauisch, und zu recht. Jüngste Erhebungen ergeben, daß die Meinung über Politik und Politiker kaum noch schlechter sein kann. Für zwei Drittel der Bevölkerung Österreichs sind Politiker der letzte Dreck: verlogen, korrupt, selbstsüchtig und feige.*** Ausgerechnet jetzt, wo sich die Politik an die Fahnen heftet, erfolgreich durch die Krise gesteuert zu haben. Es hat doch niemand "etwas gespürt"? 

Die Menschen aber WOLLTEN es spüren, denn sie HABEN es gespürt. Sie HABEN gespürt, daß mit dem Munterdrauflos-Schuldenmachen auf allen Ebenen der letzten Jahrzehnte etwas nicht stimmen KANN. Weil sie es doch selber genau wissen, wenn sie sich selber so verhalten! Und doch verhielten sich alle, weil es ja alle taten, nein, tun sollten? Jaja, sie haben es getan. Aber gerade der Verfall der Werthaltigkeit materieller Dinge, die Inflation an wertlosen Dingen, zeigt etwas sehr deutlich, dieses "lieber schlecht aber schnell und jetzt, als später, aber gut und richtig." Es zeigt ein Verhalten, das für jemanden typisch ist, der weiß, daß er stiehlt, daß er gegen seine tiefere Überzeugung handelt. Daß sein Wohlgefühl auf Lüge beruht, nur oberflächlich ist. Die atemberaubende Geschwindigkeit, die sich im Internet ihren Ausdruck geschaffen hat, ist Symptom dieses Wissens um Diebstahl.****

Und sie ahnen, daß sie es noch so richtig spüren werden. Überinformiert, verwirrt, fällt der Einzelne nämlich wieder auf sein Fundamentalstes zurück - sein eigenes hausbackenes Urteil, auf (mythisch ausdrückbare) Grundschemen, aus dem heraus er die entgegentretenden Informationen gewichtet und wählt.

Die Politik hat schon immer gerne einen gravierenden Fehler gemacht, einen Fehler, den jedoch kein Propagandist machen dürfte, und doch ist ihm selbst ein Goebbels verfallen, auch das hat seine Ursache im Wahrheitsbedürfen des Menschen: Sie haben an die Wirklichkeitsrelevanz ihrer Propaganda mit der Zeit selbst geglaubt.

Im Wirtschaftsleben zeigt sich aber etwas sehr Fundamentales: der Lebensvollzug der Menschen in der Arbeit. So, oder so. Selbst Schmarotzer wissen, daß sie schmarotzen. Sie versuchen es nur durch lautes Schreien - haltet den Dieb! überall werden heute - andere - Diebe gesucht! - zu übertönen. Aber das Gespür der Menschen läßt sich über Virtualität, über "öffentliche Meinung", gar nicht ausreichend zertrampeln. Nicht, solange sie leben, wo sich immer wieder das tiefste Leben des Ich selbst meldet.  Schon gar nicht, wenn diese Informationswelt immer ausschließlicher eine Welt der Propaganda ist. Die Information gezielt gestaltet.*****

Zum Gegenteil ist bekannt, daß ein Übermaß an Information die Menschen abstumpfen, irrational werden läßt. Damit folgt ihr Meinungsverhalten nach wie vor den Linien der Propaganda, aber ihr wirkliches Verhalten läuft davon. Ihre polarisierten "Meinungen" (denn nur Polarität und vermeinte Dringlichkeit stattet sie mit jenem existentiellen Gewicht aus, das sie "benötigen", um die Herrschaft zu behalten) befinden sich substanzlos in den Wolken, ihre Leiber aber nach wie vor auf der Erde. Und diese Fleischlichkeit, um die geht es letztendlich immer, die in den Menschen immer eine zweite, viel substantiellere Wahrnehmungswelt aufrechthält, auf ihr baut jede Wirtschaft und jede Prognose. Sie aber läuft in einem Dschungel an (intentional verbreiteten) Informationen unter Umständen in Richtungen, auf die niemand den Blick richtet. 

So kann es auch geschehen, daß niemand damit gerechnet hat, daß wie jetzt das simple Sparbuch Wiederauferstehung feiert, obwohl (befragt) alle "wissen", daß die Verzinsung sogar unter der Inflationsrate liegt. Überfüttert mit einem Wust von Information, ragieren die Menschen mit dem Nächstliegenden - dem buchstäblich Nahen, das ihnen noch etwas überschaubarer scheint: da ist die Bank, da ist ihr Geld, da ist der Schalterbeamte. Fleischlichkeit. Als Boden, auf dem alles steht, und zu dem man immer wieder zurückfindet.

Das macht immer wieder Hoffnung. Berechtigte Hoffnung, der die Kraft des Lebens selbst zugrunde liegt. Nicht prognostizierte Illusion. Das Leben, so es denn Leben ist, ist niemals vorhersagbar. Wirtschaft wird immer aber nur von Lebenden gestaltet.




*Tamas Sedlacek, der wirtschaftliche Berater von Vaclav Hasek, hat darin völlig recht, wenn er schreibt, daß Wirtschaft nicht einfach nur "Wachstum" bedeuten kann. Daß wir damit leben lernen müssen, daß es auch einmal genügt, daß das Bedürfen gesättigt ist. Freilich findet sich bei ihm zu wenig Querbezug zur Politik, die damit nämlich auch gewaltig unter Druck käme. Denn es ist die Politik, die alles eindimensional anspannt. Schwankende Steuereinnahmen würden auch heißen, sich weniger einmischen, weniger "'Gesellschaft gestalten" zu können, das Lieblingsspiel der Politik.

** Die ungeistige Natur geht in ihrer Kategorie, ihrer Gattung auf, dem Überleben der Art, und in ihrer Idee dem Geist, dient ihr Seiendsein. Im Menschen findet sich diese Vergeistigung hingegen in der einzelnen Person: im Vergeistigen, als freies Verhalten zu sich und aus sich, der ultimativen Lebenssteigerung seiner Hypostase Geistseele-Leib ins Unvergängliche des Geistigen an sich (das beim Menschen aber IMMER ans Fleisch gebunden bleibt, als Wesen des Menschseins, als Analogie, so wie es also in Gott innertrinitarisch an Jesus Christus gebunden ist), seinem wirklichen Ziel.

***Solche Grundwahrnehmungen kristallisieren sich dann an Einzelprojekten, die als "Fakten" belegen, was man sowieso gespürt hat - wie das Desaster um den Berliner Flughafen, wie das sich nun anbahnende Desaster um den Wiener Hauptbahnhof, auch er wird mehr als das Doppelte kosten, als angekündigt war.

****Das Internet IST das Medium der Diebe, hier wurde bereits mehrfach davon abgehandelt.

*****Schon das unterschätzt man gründlich: wenn die Menschen beginnen, sich über Facebook künstliche Identitäten zurechtzuzimmen, werden sie auch anderen nicht mehr vertrauen. Facebook zerstört also überhaupt das Vertrauen in den Mitmenschen..





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