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Sonntag, 8. April 2018

Charakteristik der Beziehung des Westens zu Rußland (3)

Teil 3) Es sind mehr als nur Worte



Was vielen Laien kaum verständlich ist, hat sich in seinen realen, kulturellen, auch religionskulturellen Auswirkungen also ganz deutlich ausgewirkt. Es geht sogar bis zur Sichtweise des römisch-päpstlichen Primats, die sich zunehmend in einer fast gottgleichen Stellung verfestigt hat. (1871 haben auch viele westliche Theologen davor gewarnt, darunter John Henry Kardinal Newman.) Zumindest war also die Unfehlbarkeitsfestschreibung von 1871, die in der Realität kaum abgrenzbar ist, ein Höhepunkt einer lange zuvor begonnenen Entwicklung. Man merkt es über die römische Kirchengeschichte ebenso wie der weltlichen Historie des Westens über die Jahrhunderte immer deutlicher.

Und es hat in dieser Frage sogar die Diskussion ihre wesentlichen Ursachen, wieweit die Liturgie, die Sakramente, die "Pastoral" also, ein historisches Antlitz annehmen darf oder gar soll. Ist also die Gestalt Jesu direkt historischer Qualität (wie man übrigens auch Placuit Deo, das jüngste vatikanische Dokument, deuten könnte)? Oder ist sie es nur über die ursprüngliche, nie veränderbare Grundkonstellation, in der sie in die jeweilige historische Zeit hineinwirkt? Kann also Geschichte tatsächlich in ihren Formen absolut sein? Oder bleibt sie - weil Symbol - immer relativ, immer "ernstes Spiel"? Ist in dieser Frage nicht sogar die Frage nach den Utopien, die uns heute erwürgen wollen, enthalten?

Das Verhältnis von Rom und Byzanz verschlechterte sich aber dramatisch, als die Kreuzfahrer am Vierten Kreuzzug Konstantinopel 1204 überfielen und während dreier Tage schrecklich plünderten. (Daraus erwuchs im Westen der blühende Reliquienhandel, übrigens.) Die östliche Kirche wurde zur Anerkennung des päpstlichen Primats gezwungen, ihre Hierarchie von Rom übernommen. Viele flohen in den Osten, auch der abgesetzte byzantinische Kaiser, und zahlreiche Teilkirchen entstanden.

Im Jahre 1215 wurde das filioque in der römischen Kirche sogar dogmatisiert. Und es ist kein Zufall, daß all das in die Zeit des Stauferkaisers Friedrich II. fällt, der exakt diese Stärkung der Stellung des Kaisers (beziehungsweise der weltlichen Fürsten) zum politischen Lebensprogramm machte.

Und damit direkt die Renaissance vorbereitete. Für Friedrich II. war der Kaiser auch der Kirche übergeordnet. Damit stand der Papst unter Zugzwang und stärkte seinerseits die Stellung des Papstes - auch durch die Suche nach Allianzen, unter anderem dann mit dem französischen König. Wir erinnern uns: Das filioque war eigentlich eine fränkische Angelegenheit. Dabei war den Jahrzehnten vor 1452, der Einnahme Konstantinopels durch türkische Heere, die Orthodoxie beziehungsweise Konstantinopel angesichts der immer dräuenderen konkreten Gefahren sogar zum Einlenken bereit, aber es kam nicht mehr dazu.

In den Konzilien von Basel/Florenz-Ferrara zeigte sich dafür etwas anderes: das filioque hatte bereits seine Wirkung entfaltet. Erstmals zeichnete sich die Renaissance ab, die die Stellung des Menschen deutlich stärkte, ja quasi vergöttlichte. Sogar Protestantismen (Böhmen) wurden in Basel anerkannt, wo sich das Konzil bereits über den Primat des Papstes gestellt sah, woraufhin dieser das Konzil nach Florenz/Ferrara verlegte, wohin ihm schon nicht mehr alle folgten. Interessant ist, daß die Auffassung der Synodalität, die in der Orthodoxen Kirche immer das Übergewicht hatte, die also den Primat des Bischofs von Rom anders bewertet (selbst wenn sie ihn in gewisser Hinsicht anerkennt), mit der Auffassung der in Basel tagenden Versammlung praktisch deckungsgleich ist. Die römische Kirche lehnt den "Konziliarismus" aber bis heute ab.

Es kam folgerichtig zum sogenannten "kleinen abendländischen Schisma", mit zeitweise drei Gegenpäpsten, das erst 1449 beendet wurde. Der letztendlich "eine" Papst war politisch abhängig von den Franken (was ihn noch bis Avignon führen sollte, zuvor aber noch die politische Stellung der Franzosen in Europa - Sizilien! - so stärkte, daß einige Jahre später sogar eine Invasion von Byzanz zu befürchten stand.) Das filioque war damit in der härtesten Auslegung festzementiert. Die Reunion der Ost- und Westkirche war gescheitert, nur einige kleinere östliche Teilkirchen vereinigten sich wieder mit Rom, der Osten hatte aber eine weitere, diesmal noch tiefere Wunde davongetragen.

Im ursprünglichen Konzil von Nicäa/Konstantinopel, das auch die heutige Orthodoxie noch anerkennt, war dieses filioque ja gar nicht enthalten. Das die Stellung des Gottmenschen Jesus Christus einerseits stärkte, also die Fleischlichkeit noch einmal betonte, aber als einer der Gründe gesehen werden muß, warum sich im Westen (über die Renaissance) eine Entwicklung abgespielt hat, die in Folge auch den Menschen selbst zunehmend vergöttlichte.

Die Natur dieser Verletzung ist in der russischen Orthodoxie - die am heutigen Tag Ostern feiert - bis in die Gegenwart erkennbar, sieht man genau hin, das stimmt. Aber es ist eher einem Verteidigungs- und Selbstbehauptungsreflex vergleichbar. Dem VdZ fehlt aber schon historisch jede Evidenz, daß die Russen beziehungsweise das von der Orthodoxie durchpulste Rußland einen Versuch unternommen hätte, dem Westen aggressiv gegenüberzustehen oder gar ihn zu "erobern". Selbst die Härte, mit der die Orthodoxie in der Ukraine den reunierten Orthodoxen oft gegenübertritt muß so gesehen werden - Gegenwehr. Aber niemals expansive Aggressivität.* Und unter denselben Vorzeichen wird man auch das heutige Rußland als politischen Faktor sehen müssen, es spricht einfach alles dafür.

Damit muß man in den heute nicht selten anzutreffenden Behauptungen, der Westen habe sich vor dem Osten (namentlich Rußland) zu fürchten, dieser wolle ihn in die Tasche stecken, oder gar angreifen, eine perfide Fortführung einer langen langen Tradition.





*Nur auf einen Punkt soll eingegangen werden, und das ist die Haltung mancher ehemaliger Ostblockstaaten gegenüber dem heutigen Rußland, vor allem am Beispiel Polen, die recht gerne Bezug auf "russische Aggressivität" nehmen. Worüber sich natürlich die NATO mit einer tatsächlich expansiv-aggressiven USA als federführender Macht herzlich freut. Polen speziell hat eine recht eigentümliche Geschichte, und dessen Russophobie kann keineswegs nur einseitig als historisches Gedächtnis an russische Potentatenmacht gesehen werden. Sondern sie trägt Züge einer gewissen Vertuschung recht komplex gelagerter eigener Interessen. Immerhin war es Polen, das in der Vergangenheit immer wieder nach dem russischen Thron griff, und bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht unbedingt das friedliebende Land war, als das es sich heute gerne darstellt. Die polnische Russophobie trägt deshalb auch Züge eines strategisch geschickten Schwächungsversuches eines ... Rivalen um die Macht in einem geographischen Großraum. Zumindest muß man diesen Aspekt mit sehen.





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