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Dienstag, 17. April 2018

Über den Einzelfall der bösen Tat (2)

Teil 2) So einfach ist das alles nicht.
Der Holocaust war die Tat - vieler - Einzeltäter.



Die oft schrecklichsten Gewalttaten wurden von Menschen begangen, die absolut glaubhaft im "normalen Leben" gute Väter, Kunstliebhaber und feinsinnigste Kulturmenschen waren. Sie hatten nur "!das Pech", in eine Lage zu kommen, wo das Schreckliche durch einen Tastendruck, eine Unterschrift, einfach als Teil einer Sache passierte. 

Dabei - hört, hört! - überaus oft (wenn nicht mehrheitlich, aber das ist kaum noch festzustellen) von Männern, die ganz sicher niemals Nationalsozialisten waren! Sie waren stinknormale Soldaten, Wachmannschaften, was auch immer, und kamen in eine Situation, in der alles möglich war, ja gefordert wurde, daß alles möglich gemacht wurde. Von wem? Das wußte meist niemand. Es war irgendwie so. Und plötzlich tauchte etwas auf, mit dem im Zivilleben niemand rechnen würde.

Soviel auch zu den heutigen Gutmenschen, die alle "so gut" sind, weil sie noch nie ganz persönlich in einer Situation waren, wo sie gegen einen (auf oft seltsame Weise entstehenden, vorhandenen, meist sogar nur vermuteten) Mainstream entscheiden mußten. Freiheit, Gutheit ist aber eine Frage der individuellen, situativen Entscheidung!

Es ist gefährlich, ja es ist dumm zu glauben, daß menschlicher Barbarismus eine Frage der Ideologie ist. Ideologie ist - wie fast immer menschliches Denken - eine Bewegung der Rechtfertigung, oberflächliches Gebrabbel gar, "Meinungswust", in dem man sich so im Alltag bewegt.  

Die bösesten Taten begeht der Mensch aber nicht aus ideologischen Gründen. Diese Gründe sind vielmehr immer "Einzelfälle", individuelle Fälle einer Zustimmung, die nicht einmal gefordert wäre. Die zu verweigern aber in jedem Fall die sittliche Kraft fehlt.   

Hannah Arendt war perplex, als sie 1962 bei den Adolf Eichmann-Verhandlungen in Jerusalem feststellte, daß dieser "Nazi-Schwerverbrecher" ein völlig normaler, ja banaler Mensch war. Da war nichts Böses, da war nichts Außergewöhnliches, da war keine Schreckensfratze, da war vor allem nicht das, was sie selber geglaubt hatte: Ein ideologisch Verblendeter. Als sie das schrieb, war sie natürlich plötzlich schwer angefeindet. Das MUSZTE doch Ideologie sein!?

Nein, sagte Arendt bis zu ihrem Tod. Das war normal, das war einfach einer der vielen Ausflüsse der Moderne. Der sogenannte böse Nationalsozialismus brach sich herunter bis auf simpelste, banalste Menschen. Das total durchdacht erscheinende Gesamtsystem wurde plötzlich zu einer Sammlung von ... Einzelfällen.

Noch 1936 schrieb der amerikanische Botschafter nach Washington, daß er keine Gefahr für die Juden sähe, weil sich im deutschen Volk, beim Mann von der Straße, kein Antisemitismus feststellen lasse. Die Juden waren praktisch assimiliert. 90 Prozent der jüdischen Männer hatten deutsche Frauen, 30 Prozent der jüdischen Frauen deutsche Männer geheiratet. Hitler würde also mit einer aggressiven Behandlung der Frage der Juden, von dem er freilich ab und an (vorsichtig!) sprach, nicht durchsetzen können.

Morgen Teil 3)





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