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Montag, 16. April 2018

Kultur als Schule der Gewalt

Wer ständig mit Gewalt konfrontiert wird, wer damit aufwächst, gewöhnt sich nicht nur an sie. Sein Verhalten wird zum Verhalten des Umgangs mit Gewalt. Die Menschen werden vorsichtig und mißtrauisch, denn der andere könnte jederzeit gewalttätig werden. Man will eher Krieger werden als Opfer.  

Deshalb kann Kultur - man müßte eigentlich sagen: der Zustand der Kultur - Anlaß und Grund für die Bereitschaft sein, jederzeit Gewalt sprechen zu lassen, denn sie formt Standardisierungen, die dem Zustand des Alltäglichen entsprechen.

Wer mit Gewalt aufwächst, stumpft ab und wundert sich nicht mehr über die Gewalttätigkeiten, denen er laufend begegnet, schreibt Jörg Baberowski weiter. Die Hemmschwelle sinkt und der Tod wird fatalistisch als Schicksal empfunden, das man nicht abwenden kann. Als die Wehrmacht im Juni 1941 die Grenzen zur Sowjetunion überschritt, wunderten sich ihre Soldaten über die Leidensfähigkeit und Unempfindlichkeit des Gegners, über die stoische Gelassenheit, mit der sie das Grauen ertrugen. Jean Amery wunderte sich, daß die russischen Häftlinge im Lager Buchenwald Schmerz und Folter mit Gleichgültigkeit hingenommen hätten und auf die alltägliche Gewalt besser vorbereitet gewesen seien als Häftlinge aus Westeuropa oder Skandinavien. "Wir sind in der Tat als Körper nicht gleich vor dem Schmerz und der Tortur."

Sie waren im Terrorregime des Kommunismus einfach an alltägliche Gewalt gewöhnt.  

Menschen, die mit Gewalt umzugehen verstehen oder sich an das Töten gewöhnt haben, überschreiten die Hemmschwelle im Nu, und irgendwann wird Gewalt zu einem Begleiter, den sie nicht wieder loswerden. Gewohnheit und Sozialisation machen Menschen zu Mördern.

So geschieht es auch in den gegenwärtigen Bürgerkriegen in Kolumbien, im Kongo, im Irak, in Afghanistan oder in Liberia, die nicht aufhören wollen und eine Kultur des Mißtrauens und der Vorsicht begründet haben, die nichts anderes als eine Bewältigung von Gewaltverhältnissen ist. 

Kultur integriert Gewalt. Sie gibt ihr einen Sinn, der von allen Menschen verstanden wird, die im Gewaltraum konditioniert worden sind. Man betritt einen Gewaltraum nicht voraussetzungslos und man verläßt ihn nicht folgenlos. Kultur formt Gewalt, Gewalt formt Kultur.

Und alle Kulturen unterscheiden zwischen erlaubter, verbotener und gebotener Gewalt. Solche Regelungen variieren aber zwischen Kulturen, und sie variieren auch innerhalb einer Kultur von Zeit zu Zeit. Erst wenn Menschen glauben, sich innerhalb eines Raumes zu befinden, in dem Gewalt gestattet oder sogar geboten ist, öffnen sich die Wege für Gewaltbereitschaft. Menschen haben keine Tötungshemmungen an sich, sondern sie haben nur Hemmungen, an dafür nicht vorgesehenen Orten gewalttätig zu sein.


Aus Jörg Baberowski in "Räume der Gewalt"






*030418*