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Mittwoch, 25. April 2018

Immer wieder hörenswert

Immer wieder lesens-, wie hier: hörenswert, sind Sebastian Haffners "Anmerkungen zu Hitler". Das legendäre Buch des deutschen Historikers hat schon deshalb den Status eines Todfeindes der Linken, weil Haffner in seinen Thesen nachweist, daß es nur einen Gegner gegen Hitler gab: Und das waren die Konservativen. Denn während die Kommunisten für Hitler nur ein Polizeiproblem waren, hatten die Konservativen im ganzen Staat definitive Macht durch den Adel, die Positionen in der Gesellschaft, und vor allem durch die Beamten. NUR die Rechte war effektiver Gegner Hitlers!

Ihre Idee war zwar einerseits die einer Diktatur analog zu Mussolini (und wie sie später Dollfuß umzusetzen suchte), also ein Ständestaat, in dem auch eine Elite die (diktatorische) Führung des Staates übernahm, andererseits eine streng demokratische Ordnung durch einen Ständestaat.

Hitler war nichts weniger gelegen. Aus der Perspektive der Konservativen war er ein Linker, in seiner Position nicht einmal ein Faschist, sondern ein Sozialist, ein Linker, zwischen Mussolini und Stalin einzuordnen, aber eher auf Seiten Stalins.

Haffner wartet mit einer weiteren interessanten These auf. Deutschland war nach 1918 trotz aller Versuche, es zu schwächen, so stark aus dem Krieg hervorgegangen, wie es keine militärische Macht hätte erzwingen können. Und das hängt mit dem Zerschlagen der Gegenmächte zusammen - Europa war vor allem durch die Zerschlagung der Österreichischen Monarchie in lauter machtlose Kleinstaaten zerbrochen.  England und Frankreich waren jeweils zu schwach, um das in jeder Hinsicht stärkere Deutschland in Schranken zu weisen. Damit hatte man Deutschland (und das hat mit Hitler überhaupt nichts zu tun) fast gezwungen in die Rolle des Herrschers über Kontinentaleuropa zu schlüpfen. Mehr hätte man auch mit einem Sieg 1914 bis 1918 nicht erreicht.

Mit Hitler hat es nur insofern zu tun, als man Deutschland (als Raumbezug) regelrecht aufgefordert hatte, den nunmehrigen Raum des Machtvakuums auszufüllen. Was hätte sonst passieren sollen?

Höchst interessant ist Haffners Beweisführung, daß Hitler praktisch kaum wirkliche Erfolge hatte. Seine sogenannten Erfolge - und man kann davon nur von 1933 bis 1941 sprechen - waren auf die Schwächen und Fehler seiner möglichen Gegner zurückzuführen.

Hitler war nie der Revolutionär, als der er sich sah und inszenierte. Er hatte nur das Gespür für das Fallende, sagt Haffner, wie ein Geier stürzte er sich auf das, was ohnehin am Zusammenbrechen war. In dem Moment, wo sich substantieller Widerstand regte, versagte er. Seine Erfolge waren ihm zugefallen, aber ernsthafte Politik stürzte ihn sofort.

Hitler hat aber die endgültige Vorherrschaft von USA und Rußland über Deutschland BEWIRKT. Also das Gegenteil dessen erreicht, als er als Ziel vorgab. Das ist das deutlichste Zeichen von Dämonie. Deutschland war nach ihm so abhängig von diesen Mächten wie nie zuvor. "Hitler hat nichts bewirkt. Er hat nur viel angerichtet. Seine Wirkung ist an sich nicht wegzudiskutieren, darin ist er tatsächlich mit Alexander dem Großen oder Napoleon vergleichbar. Und er ist 1939 bis 1941 seinem Ziel sehr nahe gekommen. Aber er hat diesen Sieg willkürlich verspielt." Er war nicht fähig, einen wirklichen Plan zu verfolgen, der Deutschland die behauptete notwendige Vorherrschaft, die ihm die Alliierten praktisch bereits zugestanden hatten, aufzubauen.

Auch in dem Punkt ist er gescheitert, möchte man hinzufügen: Dem Versuch, die Macht der Juden zu brechen. NIE hatten sie mehr Macht, weltweit, wie nach dem Krieg und wie heute. Dabei hatte er damals ihre Macht sicher überschätzt, und sie waren traditionell extrem deutschfreundlich, sagt Haffner. Aber er hat sie zu Gegnern Deutschlands hochgezogen.

Darauf konzentriert sich Haffners legendäre Analyse: Er zeigt, daß Hitler nicht einen Moment wirklich als Politiker "vernünftig" agiert hat. So kam es zustande, daß er nicht nur seine Niederlagen, sondern vor allem seine Siege - 1940 stand er vor dem totalen Triumph Deutschlands in Europa! - nicht sehen und damit nützen konnte. Er handelte nur eben von Anfang an irrational.

Etwa: Zeitgleich mit dem Scheitern des Rußland-Feldzuges, was im Dezember 1941 feststand, erklärte er den USA den Krieg, für welchen Krieg er nicht einmal im Entferntesten die Mittel besaß. Damit erfüllte er nur die Forderungen der Kriegsparteien in den USA, das war alles. Deutschland konnte auch Japan nicht den geringsten aktiven Beistand leisten.

Hitler selbst war es, er ganz allein, der einen totalen politischen Triumph Deutschlands in Europa in irrationaler, nicht nachvollziehbarer Eigenmächtigkeit in eine totale Niederlage verwandelt. Interessant ist, daß Hitler sich ab 1942 kaum noch für Deutschland und die Welt zu interessieren scheint. Er zieht sich völlig zurück, trifft nur noch einsame - und katastrophale, einfallslose - Entscheidungen (Stalingrad, Nordafrika). Er setzt auch keine außenpolitische Initiativen mehr. Er scheint nur noch um Zeitgewinn zu kämpfen. Aber wofür?

Ab 1942 raubt Hitler der Welt zwar noch den Atem, aber er tut es nur noch wegen der nun so richtig einsetzenden Verbrechen. Die Judenvernichtung, die keinerlei politischen Zweck oder Nutzen mehr hat, setzt jetzt erst in großem Stil ein. Erst jetzt werden Gaskammern und Krematorien gebaut. Anders als mit dem Topos eines "grausamen Herrschers" - in der deutschen Geschichte eine Ausnahmeerscheinung - ist das nicht mehr vergleichbar. Er hat diese vermutlich nur persönliche Lust sogar dort eingesetzt, wo sie (wie in Rußland; man hatte die Deutschen dort am Anfang als Befreier begrüßt) gegen die politischen Interessen Deutschlands gerichtet waren.

Deshalb, so Haffner, kann man bei Hitler nicht einfach von "Kriegsverbrechen" sprechen, sondern es waren ganz einfach "Verbrechen". Das hat der Nürnberger Prozeß auf tragische Weise verwischt, indem hier zwischen Hitlers Verbrechen und Kriegsverbrechen - wie sie überall vorkommen und normalerweise stillschweigend nach Kriegsende amnestiert werden - nicht unterschieden wurde. So wurde der Sinn für die spezielle Charakteristik der Hitlerschen Verbrechen abgestumpft. Seine speziellen Verbrechen waren eben KEINE normalen Kriegsverbrechen. Hier ging es um Massenmord, um Ungeziefervertilgung. Das ist etwas ganz anderes.

Wie: Praktisch am selben Tag, wo er den Angriffsbefehl gegen Polen unterzeichnete, unterzeichnete Hitler den Befehl zur Vernichtung lebensunwerten Lebens bei Kranken und Behinderten. Kurz darauf erfolgte der Befehl zur Ausrottung der Zigeuner. Sein letzter schriftlicher Befehl dieser Art. Die Ausrottung der 'Intelligentsia' in Polen nach dem September 1939 ist schon nur noch mündlich erfolgt. Die Polen sollten nur noch untergeordnete, (wörtlich) versklavte Arbeitskräfte sein.

Dabei wußte er viel zu verheimlichen. Denn die Stimmung in Deutschland war keineswegs für solche Greuel. Man hatte allgemein eher Mitleid mit den Juden, und hieß die Brutalitäten keineswegs gut. Aufstände gab es freilich nicht. Die Bevölkerung war auch viel zu sehr mit den Kriegsereignissen beschäftigt. Aber es gibt Belege, daß Hitler schon Ende November, kurz vor Beginn der ersten sowjetischen Gegenoffensive, klar war, daß der Krieg nicht mehr gewonnen werden konnte. Und exakt zu diesem Zeitpunkt setzte der Wille zum totalen Selbstvernichtungskrieg ein: Die absurde Kriegserklärung an die USA am 8. Dezember 1941 drückt nur das aus.

Das ist nur noch mit einem Umschalten auf persönliche Genugtuung erklärbar, mit dem Abrücken von jedem politischem Ziel. Exakt derselbe Zeitpunkt, zu dem er auch die Ausrottung der Juden befahl. Das eigentliche Hauptziel, die Weltherrschaft Deutschlands, hatte er bereits aufgegeben, die war nicht mehr erreichbar. Im Dezember 1941 hatte der Politiker Hitler endgültig abgedankt. Alles Folgende war nur noch persönliche Genugtuung. Die militärische Kriegsführung war fortan nur noch eine Taktik der Zeitgewinnung für persönliche Genugtuungsräusche.

Ab Dezember 1941 gab es nur noch Niederlagen. Das Spiel mit der Wirklichkeit hatte er also verloren, und das wußte er. Also konzentrierte er sich auf das, was er noch beherrschen konnte - die Menschen unter seiner Gewalt.

Eine wirkliche, ausgewogene Aufarbeitung gibt es freilich bis heute nicht. Dazu kam nämlich nach 1945 das fatale Verhängnis, daß unter dem Eindruck der gerade erlebten Atomwaffenwirkung "Krieg" anders, nämlich als "totale Katastrophe", die "immer gegen die Menschlichkeit verstößt", gesehen wurde.









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