Vorbemerkung: Es ist in der Geschichtsschreibung eine interessante 
Rückkehr zu einer Position zu bemerken, die sich in erster Linie auf 
vorliegende Dokumente bezieht und die Position aufgibt, daß Geschichte 
nur durch ein letztlich nicht sichtbares, durch Tatsache freilich 
gestütztes Wirklichkeitsbild verstehbar ist. Die - vereinfacht gesagt -
Gegenwartserfahrung und Menschenkenntnis des Historikers ebenso 
bedeutend macht, wie die Kenntnis reiner Tatsachen. Und dieser 
Sichtweise hängt auch der VdZ an. Er sieht es deshalb mit großer 
Zurückhaltung, wenn er sieht, daß auch die Zeit des Nationalsozialismus -
 die zweifellos bis heute weitgehend falsch, als Ergebnis einer 
Propaganda der Sieger zu sehen ist, wobei: Sie ist falsch wegen der 
Gesamtwirklichkeit, die sie implementiert! - zwar in vielerlei Bemühen 
neu zu bewerten versucht wird, was er wie gesagt ebenso für notwendig 
hält, wenn sich diese Sichtweisen so sehr auf Dokumente stützt wie es in
 den Neudeutungen zum "Fall Rudolf Hess" geschieht.
Dessen
 These grob gesagt so lautet, daß der "Fall Hess" ein Beweis dafür ist, 
daß Hitler und Deutschland großen Friedenswillen (schon vor dem Krieg, 
auch dazu gibt es sinngemäß Ähnliches zu sagen) an den Tag legten, und 
ihre Vorschläge auch ganz ernst meinten, daß es aber Churchill und 
England war, das den Krieg als gezielte Ausschaltung kontinentaler 
Mächte anstrebten und deshalb jede Friedensinitiative aus Deutschland 
abschmetterten. Das sei der Grund, warum stets sämtliche Bemühungen, 
Licht in die Sache zu bringen, sie an die Öffentlichkeit zu bringen, von
 englischer Seite her hintertrieben und sogar bekämpft wurden. 
Es
 gibt viel das dafür spricht, das sieht auch der VdZ so. Aber mehr für 
Churchills Absichten als auf die von Hitler (von einzelnen Personen 
abgesehen, die vielfach aber auch Hitler nicht richtig einschätzten, 
eben zu "wörtlich" nahmen, sogar manchmal, weil sie von einer Höhe der 
Personskultur herkamen, die man Hitler einfach nicht zuschreiben kann).
Der VdZ neigt nach wie vor eher zu der Ansicht, daß Churchill zwar ein 
"böser Bube" in dem Spiel war, daß für ihn Hitler (und einigen anderen 
aus seinem Umfeld) aber ein gefundenes Fressen war. Mit dem er leicht Katz 
und Maus spielen konnte. 
Weil der vor allem viel viel weniger rational und stringent agierte, als man ihm posthoc allzu oft unterschiebt. (Und das tut übrigens die Linke weit mehr als die Rechte.) So, wie man sich generell menschliches Handeln (vor allem rückwirkend) gerne als viel zu bewußt von einem einheitlichen Sinngedanken gesteuert vorstellt. Die Rolle des Irrationalen beim Menschen und damit auch bei historischen und politischen Figuren wird heute fatal, sehr fatal unterschätzt. 
Anderes anzunehmen widerspricht jeder menschlichen Erfahrung, es träfe höchstens, allerhöchstens bei großen Heiligen zu, traf ganz sicher aber bei Jesus Christus, dem Sohn Gottes, zu. Und das war Hitler ja nicht gerade - aber, und das macht das Ganze durchaus aus dieser Warte interessant, der sich als so etwas Ähnliches sah, und von manchen gar so gesehen wurde. Ein sehr starker Sog zum puren Wirklichkeitsverlust, ein vor allem äußerst schlechter Berater für Realpolitik. Und im "Fall Hess", wenn es denn ein "Fall Hess" ist, geht es um Realpolitik.
Wie gesagt - ein leichtes Spiel für jeden, der damit umgehen kann und seine Interessen in Europa relativ klar definiert hatte. Wie Winston Churchill. Denn im historischen Zueinander von Parteiungen ist schon die im Vorteil, die ein begrenztes Ziel klar und widerspruchsfrei verfolgt, selbst wenn es im Großen Unfug ist. England wollte (weil nicht einmal ganz zu Unrecht - der Leser kennt zwischenzeitlich vielleicht die Sichtweise des VdZ zur in seinen Augen problematischen Gründung des heute als solches bekannten "Deutschland" - meinte zu müssen) seine Vormachtstellung in Europa zurückholen, indem es den Kontinent schwächte, und was im Ersten Weltkrieg nicht gelang, sollte nun gelingen. Und die Karten standen von Anfang an nicht schlecht. Und der prinzipielle Fehler lag von Anfang an bei Deutschland, und dann bei Hitler.
Einmal, weil die reale 
strategische, politische Situation Deutschlands nach 1871 sowieso 
schwierig und zwiegespalten war, und Kräften ausgesetzt war, inneren 
Schubrichtungen sozusagen, die mit den Mitteln der Politik als 
"Kutscher" nicht zu bändigen sein würden. Knapp und klar: Deutschlands 
rasante Entwicklung zur Moderne stellte das Land vor eine Machtfrage, 
der zwar alle auszuweichen suchten, die aber notwendig militärische 
Konsequenzen für Europa und die Welt haben mußte. In dieser Kontinuität 
muß man diesen Staat sogar bis heute sehen.
Und dann, 
weil Churchill es geschickt verstand, die teils recht verquere, 
verfehlte Wirklichkeitssicht Hitlers zu benützen, ja direkt zur 
Eskalation zu treiben, um eigene strategische Absichten umzusetzen. Die 
nicht einmal als ident mit denen Englands als Großbritannien waren, denn
 Churchill riß - auch er also in "Samson-Strategie" - England in 
den Zerfall seines Empires, und bereitete dem Aufstieg Amerikas als 
neuer Weltmacht Nummer Eins alle Wege. Vergessen wir dabei nicht, daß es 
immer englische Interessen waren (in Europa wie in Asien), die bedroht 
waren, und die die USA als Büttel Churchills letztlich "verteidigten".
Ob
 und wie weit Hitler jemals ernsthaft an Frieden dachte, schon gar im 
Mai 1941, ohne ihn als nützliches Vehikel für andere politische und 
militärische Absichten zu sehen - die Lage Deutschlands als 
rohstoffarmes, wenig tiefes Land in der Mitte des Kontinents machte es 
immer (!) zur Pflicht, einen Mehrfrontenkrieg zu vermeiden und auf 
Angriff eher denn auf das Zuwarten zu einer kaum mehr möglichen 
effektiven Verteidigung zu setzen, und das war ganz sicher auch Hitler 
bewußt -  wagt der VdZ nicht zu sagen. Zumal es nicht immer leicht ist, 
aus dem bekannten historischen Geschehen jene Überlagerungen aus einer 
(was wir nicht vergessen sollten!) keineswegs so ausgegorenen, 
stringenten Ideologie abzusondern, die den eigentlichen Strom der 
Geschichte Deutschlands als Staat noch deutlich erkennbar machen, der 
aber vermutlich an die 90 Prozent der deutschen Politik völlig unabhängig 
davon macht, wer gerade am Ruder saß und sitzt. 
Sprich: 
Was im Zweiten Weltkrieg passierte wäre zu großen Teilen auch ohne Hitler 
passiert. Schon gar weil - und das muß endlich einmal gesagt werden - 
das, was sich in Deutschland abspielte, nur eine Facette eines 
gesamteuropäischen Geschehens war!  Und das war ein Geschehen des 
Niedergangs einer Kultur, vergessen wir doch das nicht! Einer Kultur, 
die in der Moderne und allerspätestens seit der Aufklärung den Geruch 
der Pestilenz angenommen hatte, und zwar in ganz Europa samt den USA. 
Das wurde nach dem Ersten Weltkrieg so manchen klar, und so läßt sich in 
Europa nur in zwei Lager unterscheiden: Das eine, das ein Zurück zu den 
Wurzeln der Kultur wollte, was sich vor allem in den katholischesten Ländern
 zeigte, und das andere, das die abendländischen Wurzeln höchstens 
benützen und ansonsten mit fliegenden Fahnen endgültig in die Moderne 
springen wollte.
Aber wie und wieweit wäre alles auch 
ohne Hitler so gekommen, wie es kam ...? Wir wissen es nicht. Wir können
 nur mutmaßen, Thesen aufstellen, die hier plausibel, dort weniger 
plausibel sind. Aber wir sollten uns hüten, uns zu sehr auf Dokumente zu
 stützen, um Thesen zu formulieren. Und nie jenen Gesamthorizont des 
Menschlichen in seinem Schicksal vor Gott außer Acht lassen, der erst 
möglich macht, jene Grundgestalten zu sehen, die in der konkreten 
Geschichte oft gar nicht so deutlich zum Vorschein kommen, weil 
konkretes Geschehen immer eine weniger oder mehr (oft mehr!) von 
Zufälligkeiten verunreinigte Gemengelage ist. Nehmen wir also diese 
beiden nun folgenden Teile der Geschichte um Rudolf Hess und Deutschland
 im Mai 1941 so, wie man generell historische Deutungsversuche sehen 
wollte: Als oft nicht auszuschließende Möglichkeiten. Indem wir unsere 
Weltsichten (je mehr sie sich mit Tatsachen befassen, umso mehr) nicht 
ganz so ernst nehmen, sondern als gewisses Spiel von Möglichem. Hüten 
wir uns damit auch hier, so manches als "Gewißheiten" zu sehen. 
Gewißheiten, wie wir sie nur in geoffenbarten Glaubenswahrheiten haben.
Morgen Teil 2) Rudolf Hess wollte Frieden schließen - Churchill wollte aber den Krieg.  
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