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Dienstag, 5. April 2011

Entwurzelte trägt der Wind fort (2)

Teil 2) Die Risikogruppen des Fanatismus

Was sind weitere Risikogruppen, die Hoffer anführt? Es sind die aufgrund irgendwelcher (auch körperlicher) Mängel oder Talentlosigkeit Zu-kurz-Gekommene, denen endlich auch ein Zugang eröffnet wird (und wer möchte da nicht sofort an den Feminismus denken), weil die bisherigen "natürlichen" Zugangsschranken fallen.

Es sind die Selbstsüchtigen (wird heute nicht zur Selbstsucht, im Hinerziehen zum Subjektivismus als Kriterium, regelrecht hinerzogen?), und des sind die Ehrgeizigen - vor unbegrenzten Möglichkeiten. Denn vor ihren Augen vollzieht sich ein Abwertungsprozeß der Gegenwart, der sie enttäuschen muß: weil soviel ungenützt bleiben muß. Neben den Minderheiten aufgrund ihrer Assimilationsbereitschaft - an den oberen Enden (den Erfolgreichen, die nun erleben, doch nicht ganz dazuzugehören) wie an den unteren (die ihre Assimilationsbereitschaft nicht belohnt finden).

Neben den Gelangweilten - wer in den Existenzkampf verstrickt ist, hat keine Langeweile; aber wer die Wertlosigkeit der eigenen Bemühungen erfährt (weil er ohnehin überlebt, sich selbst also nicht einmal benötigt), wer sich nicht schöpferisch sein Leben gestaltet, der empfindet Langeweile.

Übrigens, meint Hoffer, sei das der Grund, warum bei Massenbewegungen alte Jungfern oder Frauen in vorgerückten Jahren oft so entscheidende Hebammendienste leisten.

Ja, und schließlich bleiben noch die Sünder - nichts bietet dem schlechten Gewissen solche Entlastung und Entspannung wie das "sinnvolle Aufgehen" in der Massenbewegung! Deshalb lebt eine solche Bewegung auch davon, wie sie "reuige Sünder" integriert, wie sie ihre "Sühne" annimmt. Wer dächte da nicht sofort an die "Umweltsünde", die gutzumachen ist?  

Die Massenbewegung, schreibt Hoffer, infiziert die Masse mit jener Krankheit, von der sie sie dann heilt.

Eine wirkliche Massenbewegung des Fanatismus muß deshalb das Sündenbewußtsein aufrechthalten, von dem nur sie zu erlösen vermag: durch Aufgehen des "Ich" in der Gemeinschaft. Die heutigen Weltanschauungen und Moralismen sind ja über weite Strecken nicht mehr, als Versprechen, von den Sünden (und sei es simple Sittenlosigkeit) zu erlösen, an denen man leidet, ja zu denen man animiert wurde (wem fiele da nicht sofort der "Sexual-Aufklärungsunterricht" ein?) - wenn man ihnen beitritt.


Die Parallelen liegen so auf der Hand ... Es ist der Sozialstaat, genau jener in dem wir heute leben, er entspricht am perfektesten den Kriterien der Vermassungs-Totalitarismen, wie immer man es dreht und wie immer man es wendet. Punkt für Punkt findet sich somit in Europa verwirklicht, was Hoffer vor fünfzig, sechzig Jahren - aus den Beobachtungen an Deutschland und Rußland heraus, zumindest vordergründig - als Schreckgespenst an die Wand malte: als Massenphänomen wie als Phänomen der Vermassung namens Fanatismus.

 
*050411*