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Samstag, 2. April 2011

Unscheinbarer Faden im Gewebe

Es ist völlig logisch, daß in einer Zeit, die keine "Schuld" mehr kennt - sei es, daß alles Mechanismus ist, sei es, daß Schuld (psychologistisch) weggeredet wird - auch die Vermassung sprunghaft zunimmt. Denn es ist auffallend, daß Massenbewegungen immer dann auftauchen, wenn Freiheit wenig zählt, dafür aber das Verlangen nach Gleichheit und Brüderlichkeit (wie in der "political correctness"). Dahinter steht das Bedürfnis des Einzelnen nach Anonymität: als Faden unter vielen im Gewebe der Gesellschaft unauffindbar werden.

Ihr heißester Wunsch ist der nach einem Ende der Freiheit, weshalb sie gegen freien Wettbewerb ebenso sind wie sie die rücksichtslose Prüfung, der das Individuum in einer freien Gesellschaft ausgesetzt ist, bedingungslos verbannen wollen.

Hoffer schreibt in "Der Fanatiker" deshalb, daß die Überraschung 1945 groß war, als plötzlich nach Einzeltätern gesucht wurde. Die "Ausrede" nur Befehlsempfänger gewesen zu sein war nämlich keineswegs "fadenscheinig", sondern sie war tatsächliches Motiv gewesen: in der Anonymität wird alle Verantwortung abgegeben.

"Wo Freiheit Wirklichkeit ist, da ist Gleichheit die leidenschaftliche Sehnsucht der Masse. Wo Gleichheit herrscht, ist Freiheit die leidenschaftliche Sehnsucht einer kleinen Minderheit. Gleichheit ohne Freiheit schafft eine dauerhaftere soziale Struktur als Freiheit ohne Gleichheit." (Eric Hoffer)

Wobei sich besonders dramatisch der Rückgang schöpferischer Berufe - vor allem wie es das (richtige) Handwerk ist - auswirkt. Ein schöpferischer Mensch lebt auch in Armut ruhigen Herzens, selbst wenn er nach außen hin erfolglos ist - solange er aber schöpferisch tätig sein kann. Wo dieser stille Rückfluß der täglichen Schaffensbefriedigung, der zu einem gesetzten Individuum aufbaut, aber fehlt, steigt automatisch die Neigung zum Fanatismus.

Wenig anfällig sind Menschen, die in eine geschlossene soziale Gruppe  - Familie, Stamm, religiöse Gruppe - (identitär) eingebunden sind. Auch wenn damit Armut verbunden ist. "Je weniger der Mensch sich als autonomes Einzelwesen betrachten kann, je weniger er fähig ist, seinen Weg selbst und ganz allein zu bestimmen und die Verantwortung für seinen Lebensstatus bei sich selbst zu suchen, desto unwahrscheinlicher ist wohl, daß er in seiner Armut den Beweis seiner Minderwertigkeit sieht." Deshalb ist die Familie der sicherste Garant gegen Massenbewegungen und Fanatismus. Eine missionierende Massenbewegung muß sich deshalb zuvorderst darum kümmern, bestehende Gruppenverbindungen (allen voran: die Familie) niederzureißen, um sich ausreichende Gefolgschaft zu suchen.

"Der ideale politische Konvertit ist der alleinstehende einzelne Mensch, der sich nicht in einer Gruppe verlieren und so die Bedeutungslosigkeit und Schäbigkeit seiner Einzelexistenz verdecken kann. Da, wo eine Massenbewegung die korporativen Schemata von Familie, Stamm, Land usw. im Zustande der Vernachlässigung und des Verfalls antrifft, kann sie einziehen und Ernte halten. Wo sie das korporative Schema in gutem Zustand antrifft, muß sie angreifen und einreißen."


*020411*