Der Mensch findet sich in seinen
Grundkomponenten seiner Existenz als "in die Welt Geworfener"
(Heidegger). Für die wesentlichen Bestimmungen seines Hierseins kann er
nichts, sie sind über ihn "verhängt". Stand, Talente, Attraktivität,
Familie ... nichts davon konnte er sich aussuchen. Die Idee des
Postmodernismus ist nun, sagt Jordan Peterson in diesem Vortrag, den er
auf der Universität von Wisconsin in Madison im November 2017 hielt, daß
diese Vorbedingungen als Ungerechtigkeit gesehen werden. Diese
Ungerechtigkeit ist durch vielfältigste Ideologie zementiert.
Peterson
versucht dazu erst einmal die Frage zu klären, ob es eine Philosophie
jenseits der Ideologie gibt. Denn es stimmt natürlich auf eine Weise,
daß jedes Menschen Denken zuerst einmal von Prämissen bestimmt ist, von
Deutungshorizonten, auf die hin er sein Denken ausrichtet, und die er
auch nicht wirklich ablegen kann.
Aber,
um es in klassischer Scholastik auszudrücken, wenn es auch stimmt, daß
sich jedes Denken in subjektiver Form zeigt, so ist es doch die
Teilnahme an einer darüber hinaus - "außen" - vorliegenden Wahrheit.
Ohne die Kommunikation, Sprache gar nicht möglich wäre. Es muß sich also
jeder Mensch auf diesen Horizont beziehen, und die, die das bestreiten,
die also die Existenz einer Wahrheit bestreiten, legen davon das beredtste Zeugnis ab. Denn sie könnten diese Aussage gar nicht treffen,
wenn sie nicht exakte Informationen über die Wahrheit hätten und also
eine Wahrheit formulieren. Also muß sie auch erkennbar sein. Zwar ist
also alles Denken subjektiv, aber das ist nur die Art und Weise, wie
sich Wahrheit zum Ausdruck bringt. Umso mehr kommt es auf die subjektive
Verfaßtheit an, sich dieser Wahrheit zu öffnen. Und hier hat die
Psychologie ihren Ort.
Was unserer Kultur zugrunde liegt
Aber
so weit sind wir noch nicht. Vorerst einmal muß konstatiert werden, daß
das Leben für jeden Menschen ein Problem darstellt. Denn jeder findet
sich in einem Geflecht von Leiden wieder, das ist unbestreitbar.
Peterson interpretiert den Sündenfall so, wie er in der Genesis
beschrieben wird. Er begründet die Existenz von Leiden durch ein
"fiktionales Bild" (Peterson), das sogar wahrer sein kann als die
Realität selbst. Weil es eine Grundmatrix ausdrückt, die jedem Mensch
untergelegt ist, der als deren Verwirklichung erscheint. Fiktion (der
Begriff "fiction" hat im weit weniger als das Deutsche präzise Englisch
eine weitere Bedeutung als "Fiktion" bei uns gebraucht wird, das eher
ein willkürliches Phantasieprodukt meint) destilliert diese Grundwahrheit
und präsentiert sie in einer konzentrierten Form.
Der
Kern der Genesis ist die Gewahrwerdung von Gut und Böse der uns
umgebenden Welt, und der damit verbundenen eigenen Verletzlichkeit. Die
in der Nacktheit der übrigen Gesellschaft ausgeliefert wird. Diese Scham
hat jeder, und sie ist ein Wissen darum, daß man den Anforderungen des
Lebens nicht vollauf gewachsen ist. Diese Erzählung der Genesis, das
Wissen darum, begründet zweifelsohne unsere ganze westliche Kultur, denn
aus diesem Bewußtsein der Verwundbarkeit erwächst auch die Arbeit. Sie
ist die Reaktion, dieser Unzulänglichkeit zu begegnen, und bezieht von
da her ihren Zukunftsaspekt, denn schon nächste Woche oder nächstes Jahr
können neue Probleme auftauchen, die man nicht lösen kann, und für die
vorgesorgt werden muß.
Wie es der Marxismus deutet
Eine
ganz andere Position bezieht hier der Marxismus, auf dem der
Postmodernismus ja beruht. Er hält dieses Leiden nicht für
unausweichlich, sondern er geht davon aus, daß es vermeidbar wäre. Und
daß alles im Menschen darauf abzielt, das zu erreichen.
Dostojewski
hat das lange vor der Manifestation dieser Utopie vorweggedacht. Hat es
aber als Kritik an der Verfaßtheit des Menschen gemeint als er schrieb,
daß dieser sogar in einer Situation, in der es ihm an nichts fehlte
drangehen würde, diese Statik zu zerreißen und Probleme zu "machen". Es
ist also zweifelhaft, ob die Menschen in einer Rundumversorgung
überhaupt glücklich wären. Denn es gehört zum Menschen dazu, das
Transzendente, das hinter allen Normen Stehende zu erfahren. Sie tun
deshalb auch schwierige Dinge oft nur deshalb - klettern auf Berge,
betreiben Extremsport, bringen ihr Leben in Gefahr. Dafür gibt es
technisch gesehen ja keinen Grund, es ist zu nichts "nutze".
Offensichtlich gibt es also doch mehr als nur Leidvermeidung.
Der
Marxismus sieht das nicht im Menschen selbst verankert. Sondern er
sieht die Ursache des Leidens in der sozialen Struktur, die von einer
Klasse der Unterdrücker beherrscht wird, deren grundlegendste Form das
Patriarchat ist. Denn er kann (als Materialist, mit der Erklärung des
Evolutionismus) alles, was im Menschen ist, nur aus materiellen "Zwecken"
erklären. Und die sind: Überleben, also: Macht. Die sind ausschließlich
sozio-ökonomischer Wohlstand.
Und
diese Macht hat verschiedenste Formen der Erzählung implementiert, in
denen diese Unterdrückung der einen durch die anderen einzementiert
wurde. Weil der Mensch Kollektivwesen ist, stehen sich somit immer
Klassen gegenüber - Unterdrücker gegen Unterdrückte. Letztere sind die
Opfer, und sie müssen sich also gegen die Unterdrücker erheben, wollen
sie in den Genuß der Früchte dieser Erde kommen. Die sozialen Strukturen
der (kapitalistischen, westlichen) Gegenwart sind nämlich immer korrupt
und verhindern, daß jeder sich adäquat entfalten kann. Und weil es
keine Transzendenz gibt, sind immer identifizierbare Menschen an allem
schuld. Und alle sozio-ökonomischen Strukturen, die "Klassen" ausmachen.
Darin
steckt freilich ein Fünkchen Wahrheit, das gibt es freilich auch. Aber
der Marxismus nimmt es als Grunderklärung für sämtliche Vorgänge in
unseren Gesellschaften, so daß jeder Unterschied zu einem Gefälle von
Ungerechtigkeit wird.
Morgen Teil 2)
*210618*