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Donnerstag, 23. August 2018

Sommerliche Beobachtungen in Deutschland (2)

Wer keinen Boden unter den Füßen hat schlägt mit den Armen um sich





Noch ein Indiz gibt es für die Vermutung, daß das Vertrauen in den Rechtsstaat, in den Sinn jeder öffentlichen Ordnung, in Deutschland den Bach hinunter geht. Die Schilderwälle an Baustellen sind auffallend chaotisch. Das war vor 20, 30 Jahren, als der VdZ viel in Deutschland unterwegs war, noch anders. Wo er alles sinnhaft und professionell und eindeutig empfand. Heute wirkt vieles wie ein vieldeutiges, mit umso mehr Schildern zu begrenzen gesuchtes Chaos. 

Daß das für alle so ist, belegt die seltsame und für den VdZ neue Tatsache, daß sich fast jeder Autofahrer als Kapo zu empfinden scheint. (Wenn die übergreifende Ordnung versagt, sieht sich jeder Teil aufgefordert, Ordnung zu schaffen.) Jedes, ob des Schilderchaos unsichere Verhalten (eines Fremden wie des VdZ), jedes kurze Zögern, wenn die Ampel auf Grün springt, jeder raschere Spurwechsel, weil die Abfahrt im Zuge der umgeleiteten Strecke nicht erkennbar angekündigt war, alles wird sofort durch ein nervöses Hupen und Schimpfen in Grund und Boden gestampft. Das gab es früher bestenfalls in Wien. Heute wird das locker in Bayern und Franken übertroffen. Keine Größe, keine Gelassenheit mehr, nirgendwo. 

Außer beim Fleischer oder im Edeka, wo also die Ordnungsräume noch recht überschaubar, geschützt und bewohnt sind. Dort zeigt sich noch die altbekannte Bereitschaft, sofort in nette Zwischenmenschlichkeit zu tauchen, und jede Höflichkeit zu wahren. Zumindest bei den Älteren.

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Im Gartenpavillon des "Russenhauses", Murnau 
Bildrechte bei "R"


Zurück zur deutschen Rechtsordnung. Diesem vom VdZ festgestellten Verlust des allgemeinen Vertrauens in die Obrigkeit entsprach - nicht widersprach! - ein Ereignis in einer historischen Villa in Utting am Ammersee, die vor 100 Jahren dem Künstlerehepaar Gasteiger gehört hatte, das in der deutschen Kunstszene der 1920er ff. seine Rolle gespielt hat. Es ist schon fortgeschrittener Abend, und wir wollen eigentlich nur das Grundstück genießen, das direkt am See liegt. Wir sind die einzigen (!) Besucher der gar nicht so leicht zu findenden Anlage, und spazieren ruhig über die recht natürlich gebliebenen, erst vor kurzem (wohl mit Traktor) gemähten Wiesen, genießen die laue Abendluft, während der kleine Hund neben uns her trottet (nachdem er, es sei eingestanden, kurz zuvor eine Katze, die da aufgetaucht war, auf einen Baum gejagt hatte.)

Da taucht mit energischem Schritt ein Mann auf. Kurze Hosen, Schlapfen, vegetarisch-dürr, braungebrannt, wenn man den VdZ also fragt: Links und "humanistisch-ökologisch". 

Der Mittdreißiger bellt uns sofort an. Bayrische Schlösserverwaltung, er beobachte uns nun schon eine ganze Weile, und nun sei Schluß. Womit? Es sei empörend, wie wir uns "aufführten". Wir verhielten uns absolut ordnungswidrig! Die Wiesen dürften nicht betreten werden, und Hunde hätten überhaupt Zutrittsverbot am Anwesen. Es zuckt dem VdZ in der Hand, angesichts des unhöflichen, ja lächerlichen Verhaltens, mit dem ein Sesselfurzer, dem das Beamtendasein aus den Ohren tropft, seine "Machtstellung" zelebriert, seinen Spazierstock widmungsfremd einzusetzen. Aber er beherrscht sich im letzten Augenblick, und wir gehen.

Es geht auch anders. Im ehemaligen Wohnhaus der Malerin und Photographin Gabriele Münter in Murnau am Staffelsee, in dem sie einige Jahre mit Wassily Kandinsky gelebt (ehe der sie für eine dreißig Jahre Jüngere verließ) und in dem die Bewegung "Der blaue Reiter" während der NS-Zeit ihre Heimat gefunden hatte, ist der diensthabende Beamte, der im Haus eine Kabine besitzt, überaus gelassen. Die Stimmung unter den zahlreichen Besuchern ist entspannt, und jeder verlustiert sich gelassen in Haus und Garten. Selbst die mehreren Hunde, die herumlaufen, werden auffallend gleichgültig hingenommen, und trotz des erstaunlich regen Besucherverkehrs - die Freundlichkeit auch unter diesen ist bemerkenswert - wird es ein stimmungsvoller Sommer-Nachmittag. "Alles braucht seine 10-15 Prozent Watteränder," sagt der VdZ, als wieder das Auto bestiegen wird. "Dann kann es das Gemüt bilden."






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