Teil 2)
Speziell ist es so bei Bereichen, die wir eher in moralische Fächer
abschieben. Nehmen wir die Sexualität, nehmen wir die Aussage der
Wahrheit, daß der sexuelle Akt nur innerhalb einer Ehe seinen Ort hat.
Diese Aussage ist dem heutigen Menschen schon weitgehend verborgen. Aber
nicht nur das, er meint, sie entspreche nicht seiner (sinnlichen,
empirischen) Erfahrung. Dieses Moralgebot ist also kein Gegenstand der
Erfahrung, es ist nur ein aufoktroyiertes Gesetz, warum auch immer.
Nun,
wenn etwas wahr ist, dann kann es nicht außerhalb aller unserer
Erfahrung liegen. Nicht völlig. Direkt oder indirekt. Das heißt: auch im
Rückfolgern. (Daß hier ein Bär vorübergegangen ist, erkennen wir an den
Tatzenabdrücken im Waldboden vor uns.) Dann muß es auf eine Weise auch
in unsere Welt hereinragen. Dann muß es also eine Struktur in den Dingen
haben bzw. auf diese verweisen, in denen wir diese Wahrheit auch
erfahren, gewissermaßen "testen" können. Dann muß das Dinghafte, das
Faktische unserer Lebenswolke, auch von dieser Wahrheit so weit abgehen
können, daß es sogar im schlimmsten Fall zugrunde geht. (Wer ein
Katzenjunges im Marianengraben im Pazifik aufziehen möchte, wird an der
Wahrheit der Dinge scheitern.)
Deshalb
liegt z. B. diese Wahrheit über den Sex - zumindest muß man es als
Möglichkeit sehen - nicht einfach außerhalb unserer Erfahrungswelt, ist
einfach nur ein positivistisch erfundenes Gesetz, sondern es liegt an
uns, daß wir diese innere Struktur dieses Dinges nicht (mehr)
wahrnehmen. Wir haben uns blind machen lassen, oder/und wie in den
meisten Fällen auch selbst blind gemacht. Wir "wollen es nicht sehen",
das heißt, wir wollen es nicht zur Kenntnis nehmen. Wenn wir (wie es bei
der Sexualität heute der Fall ist) uns zu sehr an dieses Verhalten (im
sexuellen Genußakt, der vielleicht zur Gewohnheit wurde, zur Haltung,
zum "Habitus") gebunden haben, davon nicht lassen wollen.
Hätten
wir die Freiheit, diesen Akt und alles was dabei passiert und sich an
Gefühlen abspielt abstrahiert zu betrachten, würden wir plötzlich Dinge
feststellen, die eindeutig auf die Wahrheit dieser Aussage - Sex und
Ehe sind untrennbar - hinweisen. Sie bestätigen. Ja sie unter Umständen
erweitern.
So daß
wir über die Sinnesdaten auch mehr und mehr zum "Sinn" kommen - eine
keineswegs zufällige Wortgleichheit, weil alle Dinge der Welt quer durch
alle Ebenen reichen, also vom rein "Materiellen" bis zum "geistigen
Sinn" (als "auf etwas zu", logos sohin) sich immer dieselbe
Struktur zeigt, nur jeweils auf einer anderen Ebene, in einer anderen
Gestalt, aber immer in derselben Art der Beziehung zur Welt.
Ähnlich
ist es bei der damit zusammenhängenden Frage der Verhütung. Auch die
Verhütung ist so sehr wahr, daß sie einen sinnlichen Abdruck hinterläßt,
Sinnesdaten, die darauf zurückgehen und auf diese Wahrheit verweisen.
Nur sind wir so blind, daß wir diese tiefe Wahrheit des Dinges (Sex und
Verhütung) nicht mehr wahrnehmen. Auch wenn wir sie nicht nur im
Innersten fühlen (Wahrheit ist deshalb immer ein Erhellen von etwas
Vorhandenem), sondern daß ein Verstoß gegen diese Wahrheit auch konkrete
Schäden an unserem Leib (in dem Fall) hinterläßt.
Es
ist deshalb auch eine Aussage über den Stand einer Zeit, die Höhe einer
Kultur, wieweit sie die tiefere Wahrheit über die Welt und den Menschen
in ihren Institutionen (zu denen auch die Moral gehört) zum Ausdruck
bringt. Wieweit sie also durch die durch Institutionalisierungen,
Gebräuche, Tänze, Musik, öffentliche Atmosphäre etc. etc. gelegten
Schienen die Menschen zur wahren Wahrnehmung (und damit zur Erfüllung
der Dinge, nicht zu deren Zerstörung) führen.
Es
ist deshalb eine Aussage über unsere Zeit, daß diese Wahrheiten, die
den Menschen äußerst direkt, also schwer betreffen, weil sie seinen Leib
betreffen, also sein konkretes Dasein in der Welt, von den Menschen
heute kaum noch wahrgenommen werden. So wenig, daß sie sie für unwahr
(oder bestenfalls "moralistische Höchstleistung") halten. Bei der
Sexualität umso einfacher erkennbar, als wir in der Folge der "sexuellen
Befreiung" in einer Zügellosigkeit leben, in der unser Denken und
Handeln von einer mittlerweile weit verbreiteten Haltung ganz schwer
getrübt wird. So sehr, daß die Aussagen der meisten Menschen über "Sex"
(etc.) völlig irrelevant und falsch sind. Obwohl sie doch "dasselbe"
erleben wie der, der Sexualität und Ehe* nicht auseinanderreißt.
Damit
begeben wir uns der Fähigkeit, Erscheinungen im Sozialen, im
Zwischenmenschlichen, aber auch in ganzen sozialen Gefügen, auf ihre
wahren Ursachen zurückzuführen. Damit berauben wir uns der Fähigkeit,
richtig zu urteilen und richtig zu handeln.
Und
kommen zu einer annähernden Beleuchtung des Satzes (und damit dem Anlaß
dieses Eintrags, der von Leser R erbeten wurde), daß nur Sittlichkeit auch Kultur hervorbringen kann.
*Von Ehe zu sprechen hat schon begrifflich nur dann Sinn, wenn diese Ehe auch als unauflöslich gedacht wird.
*240618*