Ausblick und Zukunft. Was folgt einer mißbrauchten Uhr? - 1667, also mehr als einhundert Jahre nach dieser glücklichen Epoche, wird John Milton seine sarkastische, zynische Bilanz ziehen. In "Paradies lost - Das verlorene Paradies" bleibt nur noch ein nihilistisches Fazit, weil die Versuche eines Ersatzkozepts sämtlich gescheitert sind. 1660 war gerade Cromwells Utopie vom "Gutmensch als einzig legitimem Führer" gescheitert, als nächster Anlauf im Ringen um den besseren Staat, der seit Heinrich VIII. gebildet werden mußte, denn - England hatte etwas dafür aufgegeben.
Das Paradies auf Erden, sozusagen, das England bis Heinrich VIII. "Reformen" hatte man zerstört, um ein noch besseres zu gründen. Aber wie weit war man dafür gekommen? Multon "mußte" also die metaphysische Fundierung der Menschheit entkräften, denn die Vergangenheit stand als Zeuge gegen die Gegenwart auf. England war bereits tief gespalten, und zwei Drittel seiner Menschen kämpften mit dem nackten Überleben, die Macht war in den Händen von immer Wenigeren konzentriert die sie einsetzten, um sich noch besser abzusichern, ja in die Ewigkeit zu retten. Die neue Theologie einer "anglikanischen", autokephalen Kirche, die den Umbrüchen nachgeliefert worden und - was war das nun erst für ein Paradoxon - Ausdruck tiefsten Hasses auf das Christentum war, war nicht mehr als die Bemäntelung vorausgegangener Todsünde, die ein Volk ins größte Unglück gestürzt, aber mit einem goldbestickten Scheinmantel winkender Weltmacht umgeben hatte.
Es fehlt also ein Wort zum weiteren Schicksal Englands, wie es der Zeit der Tudors folgte. Dessen glückliche, vielleicht glücklichste Phase der Geschichte nur zwei Generationen dauert. Zu wenige Widerstände, zu harmonischer Wohlstand lassen Begehrlichkeiten und Keckheiten aufstehen, die sich nach innen zu wenden beginnen. Schon für Heinrich VIII. enthielt die perfekte Welt, über die er herrschte, eigentlich alles, was er brauchte.
Aber sein Plan, endlich einmal "alles gut" zu machen, um nach einer unbewerteten, bald vergessen sein sollenden Zwischenzeit unbelastet eine perfekte Zukunft zu errichten, war nicht aufgegangen. Die Konfisktion der Kirchengüter, die in einer Zerstörungswut sondergleichen endete, der unschätzbare Kulturgüter zum Opofer fielen - fortan war England übersät mit Ruinen seiner Glahzzeit - hatte keine Sanierung des königlichen Hushalts bewirkt. Die Überschuldung der Könige war so groß wie noch nie, und sie brauchten so sehr wie noch nie Geld. Zu hoch war auch der Preis gewesen, den Heinrich gezahlt hatte, um sich eine Elite der Zustimmung zu schaffen.
Er stand aber nicht nur gegen Rom auf (das er in seinen Mißständen durchaus kompetent kritisierte, Heinrich war auch ein bemerkenswert scharfsinniger Theologe), sondern versuchte einen Fluch abzuwenden. Durch eine Flucht in ein maßloses Leben. Dabei wäre er zuerst sogar mit privatem Glück gesegnet gewesen. Die Liebe zu seiner spanischen Frau war tief und echt. Aber ihr wurde das Zeichen von oben verwehrt - und das waren Kinder. In ihnen erst kann der dynastische Anspruch verfleischlicht, kann der konkrete König zur Inkarnation des Ewigen, Bleibenden werden, und damit seinem Haus (biblisch-jüdisch) metaphysische Gründung bestätigen.
Er, mit dem bekannten autokratischen Charakter, der einer Kindheit in Wohlstand und Fülle folgt, muß es als tief demütigend empfunden haben, daß ihn Gott (real gegenwärtig in der Kirche) nicht frei ließ. Sondern ihm seine Abhängigkeit, seine Unterordnung unter die göttliche Gnade täglich neu vor Augen führte. Denn seine Herrschaft würde ohne leibliche Nachkommen keine Zukunft haben.
Denn in den leiblichen Nachkommen senkt sich die göttliche Legitimation gewissermaßen in die aktuale, reale, konkrete eigene Präsenz herab. Nichts vergöttlicht den Herrscher so als die Erhöhung der Leiblichkeit zur Höhe Gottes, der auch aus sich selbst ewig bleibt. Das verleiht den leiblichen Nachkommen eine fast mythische, theologische Dimension des Eritis sicut Deus.
Wir haben über die Problematik der leiblichen Nachkommen vor kurzem gehandelt Sie vereint sich bei Heinrich auf unglücklichste Weise mit dessen Charakterschatten, und sucht absolute Legitimation der höchst Persönlichen. Heinrich ist in diesem immer dramatischeren Hoffen auf eien "bessere" zukunft, die alles Vergangene rechtfertigen würde, schwer überschuldet. Fast ausweglos von Krediten, dazu auch noch vom Parlament beschnitten, sein Land über Steuern privat zu gebrauchen, legt sich mit anderen Ländern an.
Er führt unnötige Kriege, die er sich dann auch nicht leisten kann, und die Hoffnungen au fBeite unerfüllt lasen. Also reift der Plan, auf ein Vermögen zuzugreifen, das gewissermaßen auf den Tafeln und Tischen seines Lebens angerichtet ist. Das Unglück eines ganzen Kontinents nimmt seinen Lauf, denn der Untergang des Abendlandes hat in England seinen konkreten politischen Ursprung.
Der Staat wird in England von einer Einheit des Gemeinwohls zu einer Apparatur der Politik und der Mächtigen, das heißt des Geldes. Die sich rasch ihre Theoretiker heranziehen. Hobbes, Locke und Newton, in denen sich die alte Wahrheit, daß die Physik einer Zeit Grammatik ihrer Wirtschaft ist, die selbst wiederum Diener der Politik wird. Den Rhein hinauf bildet sich eine Achse, die Europa aus den Angeln heben wird.
Vorerst aber ist es der Erwerbsfleiß der Niederländer, die einer geradezu explodierenden europäischen Wirtschaft mit einer gigantischen Handelsflotte die Infrastruktur bieten, und im Gewürzhandel mit Fernost und sogar mit seinen Niederlassungen in Nordamerika (Neu Amsterdam!) Dort ist das Geld, das die englsichen Könige so dringend brauchen. In den bald 17.000 holländischen Schiffen, denen 3.000 Schiffe aller übrigen Länder Europas zusammen gegenüberstehen, gehört die wirtschaftliche Zukunft den Niederlanden.
Vorrangiger Kontrahend bleibt dennoch Frankreich, es wird erstes Ziel der Rache Englands, weil die Insel ihren Selbsthaß des Sündensumpfes ableitet, denn die Strategie blieb dieselbe: Raub. Getrieben vom haßerfüllten Ehrgeiz eines Herrschergeschlechts, das das Abendland im 13. Jahrhundert (gegen die Süddeutschen, gegen die Salier) "verloren" hatte - den Welfen. Verloren um den Preis Zweiteilung von Staat und Kirche, den die Staufer als Abstandsgeld für ihre Macht gezahlt haben.
Was Gott nicht schenkt, verlockt zum Raub zur illegitimen Aneignung. Die posthoc durch eine veränderte Theologie ins Recht gesetzt wird, und in deren Interesse auch das Recht Europas miten im Atlantik endet. Die Neue Weltordnung, die errichtet weden soll, duldet keine Beschränkung mehr. Nur Raub verhieß den notwendigen Reichtum, und der winkte nur im Westen bzw. außerhalb Europas Landmasse.
Über den Kanal im Osten lag die bindende Herkunft, dorthin wandte sich der Haß auf den Kontinent, den man forthin auf andere Weise in die Gewalt bekommen wollte - und bekam. Mit einer Philosophie, die den das eigene Gewissen immer neu beunruhigende Osten von den Wurzeln her untergrub. Dazu nahm England alle Allianzen wahr, die sich in Gleichgesinnten boten, allen voran die Juden.
Und in einer fatalen Symbiose von Staatsmaschinerie und mythischer Legitimation, in dem es das Urbild des Zentralismus für einen ganzen Kontinent abgab. Dem kaum eine andere Wahl blieb als nachund nach dieselben Mittel anzuwenden, wollte es bestehen. Aber der legimistische Blick Englands richtete sich nach dem Westen, über den Atlantik, dort lag in die Zukunft des Erdballs. Vom Randgebiet der zivilisierten Welt wird England so zum Taktgeber der Moderne, weil es das Zentrum der Macht in die Neue Welt verlegte, die es auf ewig zu beherrschen meinte.
Und war es je anders gewesen? Denn hier haben wir es mit einem fundamentalen Lebensgesetz zu tun. Es sind nämlich immer die Ränder, es sind die äußersten Grenzlinien, von denen sich jene Impulse spannen, die sich mit dem Zentrum korrespondieren. So die notwendige weil wesenhafte Lebensdynamik aufladen, die sogar zur Revolution anwächst, wenn das Zentrum nicht auf der Hut bleibt, und der Hund vom Schwanz her zu wedeln beginnt, weil das momenthafte des Extrems zum Schlag des Herzens wird.
Diese Polarität alles Lebendigen in seinem Pulsieren zwischen äußerstem Rand zum innerstem Kern, wird uns deshalb noch beschäftigen. Weil es das Kraftwerk ist, aus dessen Hitze die Energie der Existenz freigesetzt wird.
Erstellung 3. Mai 2022 - Ein Beitrag zur