Leider ist die in der Antike weithin und lange Jahrhunderte berühmte Statue der Phryne aus der Hand des Praxiteles, der sich wie so zahllos viele unsterblich in die Frau verliebt hatte, irgendwann zerstört worden. Von ihr weiß man also nur noch aus der Überlieferung, denn nach ihrer Entstehung im 4. Jahrhundert v. Chr. war man jahrhundertelang aus der ganzen Welt nach Athen gereist, um dieses Wunder der Schönheit zu sehen. Die angebliche Kopie, die im Vatikan steht, ist alles andere als eine solche, wie kompetente Kunsthistoriker bewiesen haben.
Als ich dann im Netz nach hierher übertragbaren Bildern suchte, um dem Leser einen Eindruck zu vermitteln, wie diese im 4. Jahrhundert v. Chr. vielleicht berühmteste Hetäre (=Gefährtin) des antiken Griechenland ausgesehen haben könnte, mußte ich passen.
Zu sehr haben sich auch Künstler der vergangenen Jahrhunderte daran abgemüht, und zu sehr sind sie regelmäßig Schönheitsidealen zum Opfer gefallen, die so zeitgebunden, zu offenkundig "libertin" sind, also weniger erotischen als sexuellen Vorstellungen entsprungen sind, und zu sehr weichen sie damit voneinander ab, daß ich eine Abbildung zur Illustration einzufügen nicht für vertretbar hielt.
Der Leser möge sich also selbst ein Bild von einer Frau machen, die so schön ist, daß ihr eine ganze Kultur zu Füßen liegt, die sich nicht mit billigen und flüchtigen Internetbildchen abgibt, sondern deren Vorstellungswelt realitätssatt ist, und nie den Eros verloren hat wie die technisch heruntergebrochenen Masturbationsvorlagen, zu denen Frauen und deren Bilder heute verkommen sind. Sodaß ich behaupte, daß eine wirklich erotische, gar eine geistreiche Frau schon dermaßen selten ist, daß man sie fast schon heilig halten muß.
So, wie es die alten Griechen vor allem taten, sieht man vom moralistischen Sparta ab. Denn die Erotik ist eine Kulturleistung, also Lebenssteigerung, und keine biologisch-sexuelle Frage einer Befriedigungstechnik, die nur auf Erschöpfung hinzielt und eine stumpfe Schlaffheit will, in der es gar keinen Frieden als Enpunkt gibt, sondern nur Tod.
Die Hetäre der griechischen Antike war eine Frau der Bildung, des geistvollen Gesprächs, und es ist also keineswegs Zufall, daß sie sich der besten Gesellschaft aus angesehenen Bürgern, Künstlern oder Philosophen erfreuten. Man kann sie also mit der japanischen Geisha (und in etwas schwächerer Form deren chinesischen Pendant) vergleichen.
Vom Zyniker Diogenes wird sogar erzählt, daß er von der Hetäre Lais lange Jahre ausgehalten wurde, die ihn auch ganz tief liebte. Sodaß ihr dessen allgemeine Verachtung (und Zyniker waren wegen ihrer Weltverneinung sowieso verachtet) nicht kümmerte. Andere angesehene Persönlichkeiten haben sich ganze Lebensepochen lang ihren Gefährtinnen gewidmet, und viele ein Vermögen für sie ausgegeben. Der großartige Briefverkehr des in meinen Augen (sieht man von Homer ab) herrlichsten griechischen Dichters, des "Urvaters aller Komödien" Menander, mit dessen Hetäre, ist durch den Römer Terenz (oder war es Plautus?) überliefert.
Phryne war der Legende nach eine blutjunge Kapernpflückerin, als sie "entdeckt" und zur Priesterin der Göttin Aphrodite wurde. Und die Göttinnen der Liebe, Fruchtbarkeit, also des Wohlstands spielten in der Antike eine immense Rolle. Tempelprostitution war als Dienst an diesen Göttinnen weit verbreitet. Phryne war wie die bekanntesten, "besten" (und wie man anspielungsreich liest "kenntnisreichsten") Hetären geistreich, witzig, aber vor allem von einer Schönheit der körperlichen Erscheinung, die jeden Mann bis zur völligen Auflösung verzückt haben muß. Keiner, der sich nicht sofort in sie verliebte, kaum hatte er sie gesehen, wird erzählt.
Das Mädchen wußte offenbar mit seinen Reizen umzugehen. So wird erzählt, daß sie einmal mitten in einer Versammlung griechischer Soldaten ihr Kleidchen abgestreift, und zum Baden ins Meer gestiegen sei. Als sie wieder aus dem Wasser kam und das Salzwasser aus ihrem Haar streifte, habe sich nach einem Moment allgemeiner Sprachlosigkeit ein wahrer Sturm der Begeisterung und Verzückung erhoben.
Rasch stieg sie zu Ruhm und Reichtum auf, wie so manche ihrer Kolleginnen. Denn weil die Frau sonst an Herd und Familie gebunden und das Leben mit ihr eher "gewöhnlich" und unaufregend war, suchten viele Männer Anregung im käuflichen Gewerbe. Versilbert wurde das auch noch durch den Nimbus des priesterlichen Dienstes, den die Göttin Aphrodite verlangte, der landauf landab Tempel, Kulte und Festtage gewidmet waren.
Denn man sagt bekanntlich, daß das Griechentum eine Kultur der Schönheit gewesen ist, und wer die Bau- und Kunstdenkmäler sieht, wer Homer und Pindar kennt, und Plato und Aristoteles, diese Väter des Denkens der Menschen, zu schätzen gelernt hat, möchte das auch sofort glauben.
Anders als im römischen Kulturkreis (der in Wahrheit ja seine kulturellen Höhen den Griechen verdankt, die oft regelrecht primitiv nachgeahmt wurden, weil oft genug ohne Geschmack, Geist und Gefühl) der sich sogar von den Griechen her legitimiert (über Troja und Aeneis) zeigt sich dem Besucher noch heute eine Asthetik, die ob ihres Zusammensiels von Wahrheit, Wort, Eros und Maß mit Ehrfurcht und Staunen erfüllt. Selbst wenn man die Griechen auch schon auf älrtere Kulturquellen zurückführen muß, von denen sie sich genährt haben.
Wenn auch unser Bild der Antike meist doch recht verzerrt ist. Dem besseren Kenner der Materie ist es aber kein Wunder, daß eben dieses 4. Jahrhundert einerseits der Hetären, anderseits der hohen Philosophie wegen berühmt und geschichtsbekannt wird. Beides hat miteinander zu tun. Nicht, weil die Hetären die Philosophen ernährten, in die sie sich massenhaft verliebten, oder ein Praxiteles seine Bildhauerei an ihrem Eros nährte, sondern weil die Philosophie immer ein Rekonstruktionsversuch einer Welt ist, die es nicht mehr gibt. Die also bereits verfallen ist, und deren Lebensgenuß und -schönheit nur noch ein letztes Aufstöbern zusammenhanglos herumstehender Artefakte an sich schon recht leerer Lagerhallen der Vergangenheit ist.
Wer das heutige vertrocknete, versteppte, manchmal fast wüstenhafte Griechenland ansieht sieht aber ganz gewiß auch die Folgen einer Lebensweise, die gar nicht anders enden kann. Weil die Griechen letztlich denn doch der unaubleiblichen Konsequenz eines "behübschten", in unserem Rückblick verklärten, romantisierten Lasters erlegen sind. Dem nur manche häßlichen Seiten unserer eigenen Geschichte erspart blieben, weil es z. B. manche Geschlechtskrankheiten nicht gab, die Europa in der Neuzeit so schwer gebeutelt haben.
Wie groß Phrynes Reichtum gewesen sein muß kann man der Legende entnehmen, dergemäß sie nach der Zerstörung der Mauern ihrer Heimatstadt Theben durch Alexander den Großen der Stadtverwaltung angeboten hat, die Stadtbefestigung auf ihre Kosten wieder herstellen zu lassen! Mit nur einer Bedingung: Es müsse am Bauwerk eine Inschrift angebracht werden, die da zu verlauteten habe:
Alexander hat die Mauern zerstört, Phryne hat sie wieder aufgebaut
Woraufhin die Stadt dankend abgelehnt hat. Das war denn offenbar doch zuviel an Ehrlosigkeit. Ob der Philosoph Xenokrates es aber deshalb bereut hat, von ihr verführt worden zu sein, ist nicht überliefert. Wir nehmen an - eher nicht.
Immerhin, trotz aller Leichtigkeit der Sitten, die sehr spezifisch "griechisch" war, sah man das Gewerbe der Schönen auch im alten Griechenland schon als unehrenhaft. Obwohl generell die greichischen Frauen in der gesamten Antike und schon seit den Zeiten der Ethrusker - vermtulich auch die ein ursprünglich griechisches bzw. ionisches Volk mit einer matriarchalen Gesellschaft, und die ist prakltisch wesenhaft unsittlich - "berühmt" für ihre Freizügkeit und Liebeskünste. Sodaß eine Hetäre, eine Kurtisane nahezu tugendhaft gewirkt haben muß, vergleicht man sie mit den Sitten der durchschnittlichen Griechen.
Und so, wie auch heute die Hochglanzzuckerpüppchen ein unendlich kleiner Teil einer gigantischen Masse an Frauen sind, die es nicht einmal annähernd zu solchem Ruhm und Reichtum bringen, wie er ihnen da in den Schaufenstern vor Augen getanzt wird, ist auch den allermeisten Hetären ein Alter in Verachtung, Armut und Elend sicher gewesen. Kaum war nämlich ihre Schönheit, die sie in der Regel auch viel zu freigiebig und undiffernziert verkauft hatten, verblüht war, folgte einer Phase des ständig fortschreitenden Abstiegs der "Dienstleistungen" weil der Publikumsschicht, die immer weniger Wert auf geistige Anregung legte, schließlich ein eher wenig erstrebenswertes Alter. In dem sie von den vielen "ehrbaren" Damen des Bürgertums täglich wieder und ausgiebig bespuckt und verspottet wurden. Geschichtsbekannt und überliefert wurden ja eher die seltenen Ausnahmen, die man dann für berichtenswert hielt.
Und sie hatten es gewiß oft njcht leicht, denn der Neid ist ein alter Kumpan des Generalfachs der Ehrenwerten, wie man so schön sagt. Am ehesten kann man vielleicht eine Hetäre nämlich mit einem durchaus modernen Frauenbild verglichen werden. (In mehrerer Hinsicht, füge ich hinzu.) Sie führte ein gewissermaßen selbstbestimmtes Leben, war (manchmal sogar hoch) gebildet, und auch damit in Männerrunden gerne gesehen.
Und sie war manchmal wohlhabend oder sogar sehr reich. Von manchen wird berichtet, daß sie es als spätere Gattinnen zu respektablen Stellungen gebracht haben, darunter die eine oder andere Königin war (wie die von Syrakus.)
So wurde Phryne auch von vermutlich sehr ehrenwerten Damen vor den Areopag der Stadt bestellt, und dann der Gottlosigkeit bezichtigt. Was im alten Griechenland ein todeswürdiges Verbrechen war. Und das könnte schon gestimmt haben, denn rasch wird wohl eine Dame dieses Erwerbszweiges auch zum Zyniker, der von der Gutheit der Bürger und ihrer Götter eher wenig hält. Somit befand sie sich in fast aussichtsloser Lage.
Doch genau aus der hat sie einer der ihr Verfallenen herausgeholt, der (aber nicht nur seiner Laster wegen bekannte Rechtsanwalt Hyperides, der sich wie alle anderen Männer unsterbilich in sie verliebt hatte. Und er steigerte sich in diesem Gefühlsrausch zu einem wahren Rhetorikfeuerwerk, wie berichtet wird, das er zum Ende mit einer Geste krönte, die die Geschichte überliefert und Künstler der abendländischen Geschichte bis ins 20. Jahrhundert hinein inspiriert hat. (Den zeitgenössischen Maler von heute, der auch nur den Namen kennt, wird an wohl mit der Lupe suchen müssen.)
Er stellt Phryne in die Mitte der Versammlung und - die einen sagen, er habe es absichtlich getan, die anderen, er habe es geschickt so gehalten, als sei es eher ein Mißgeschick, das dem Eifer zuzuschreiben wäre - lüftete ihr duftiges Sommerkleidchen (es war Mode bei den Damen, sich mit so dünnen Kleidchen zu drapieren, daß sie eigentlich als nackt bezeichnet werden mußten; eine Mode, die sich ebenfalls in der Geschichte oft und oft wiederholt hat), auf daß ihre angeblich unfaßbar schönen Brüste sichtbar wurden. Wolle man wirklich so ein Geschöpf dem Tode und dem Fra der Würmer übergeben, rief er? Dann schwieg er.
Schlagartig war es mucksmäuschenstill im Raum geworden. Die Richter waren völlig von der Rolle, und dermaßen verzaubert, daß sie zu keiner vernünftigen Reaktion mehr fähig waren. Von dem, was sich ihre Augen bot völlig verwirrt, folgten sie dem Betreiben des Anwalts, die junge Frau freizusprechen.
Wie sehr die Richter sich ihres Versagens, vor allem wohl aber der Gewalt der Schönheit über sie und überhaupt über den Menschen bewußt geworden waren zeigt, daß unmittelbar darauf ein Gesetz erlassen wurde. Demnach war es hinkünftig jedem Angeklagten untersagt, bei der Beratung der Richter und der anschließenden Festlegung des Urteils im Gerichtsraum auch nur anwesend zu sein. Und wenn mich nicht alles träuscht, so ist das noch heute ein übliches Vorgehen, das wir also recht wahrscheinlich einer Rechtstradition verdanken, die auf die schöne Phryne aus dem Griechenland des 4. vorchristlichen Jahrhunderts zurückgeht.
Die gezeigt hatte, daß die Gewalt der Schönheit jedes Rechtssystem niederwerfen kann, weshalb sich auch das Recht vor ihrer gestalterischen Kraft zu schützen hat.
Erstellung 26. April 2022 - Ein Beitrag zur