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Sonntag, 19. Mai 2019

Der Stoff, aus dem Demokratie gemacht ist (1)

Aus gegebenem Anlaß einer der seltenen aktuellen Einschübe:

Was ist Neues an dem, was sich aus dem "Ibiza-"Video ergibt, das angeblich skandalös und angeblich erhellend ist, das wie ein Erdbeben Österreich und die Schlagzeilen bestimmt? Und zum Rücktritt von H. C. Strache samt seinem Adlatus, John Gudenus jun., und zur Auflösung der Regierung durch den Kanzler Sebastian Kurz am 18. Mai 2019, nur etliche Stunden nach der Veröffentlichung des genannten Videos durch die deutschen Zeitungen Spiegel und Süddeutsche Zeitung führte.

Fast muß man sagen, daß diese Falle - die ganz offen als solche einbekannt wird, sogar Süddeutsche und Spiegel sprechen davon - gar nicht wirklich funktioniert hat. Was Strache da im Suff von sich gibt, ist irrelevant einerseits, und anderseits einfach das, was jede Partei in einer Demokratie unserer Spielart überlegt und anstrebt. Die sich privat finanziert, und auch die Herrschaft über die Vierte Gewalt, die Presse braucht. Jede andere Partei möge sofort vor Gottes Angesicht treten und bekennen, daß sie nicht GENAU SO denkt. Und handelt.

Was Bundespräsident Alexander van der Bellen bei seiner abschließenden Stellungnahme am Samstagabend um halb neun Uhr sagte, daß "die Österreicher nicht so sind", stimmt deshalb einfach nicht.* Wer in der Liga "Staatsführung" der Politik spielt, muß nahezu so denken und handeln, wie es sich im Video darstellt. Er muß über Medien mit Einfluß nachdenken, über Finanzierung, usw., denn es ist naiv so zu tun, als wären die Medien unabhängig von der Politik. Gerade die Kronen Zeitung lebt (auch) von Staatszuschüssen, und in ihrem Ableger heute von Anzeigen, als verdeckte Finanzierung durch die Politik - natürlich ohne Gegenleistung ... Daß in der Politik überhaupt nach etwas anderen als alltäglichen Maßstäben gedacht und gehandelt wird, zeigt alleine die Entstehung und Veröffentlichung dieses (für sich gesehen unsäglichen, gewiß) Videos. Noch etwas: Dieser Mann, der bei jeder Gelegenheit die "Freiheit der Abtreibung" verlangt hat - dem Gesetz nach immer noch Mord, bitte schön! lediglich straffrei gestellt - wagt es glatt zu sagen, daß er nicht dulde, daß den Menschen gegenüber "kein Respekt" entgegengebracht würde. Was soll man da noch sagen?

Und genau derselbe Alexander van der Bellen kündigt dann an, daß die Justiz einzuschalten sei, um alles zu prüfen und gegebenenfalls zu ahnden. Dann darf man sich somit umso mehr wundern, daß er die gesetzeswidrige und von langer Hand mit höchster Präzision - auch in seinen zeitlichen Zusammenhängen - geplante Investigation lobt, also gar nicht damit meint.

Das tut immerhin noch Sebastian Kurz in seiner Stellungnahme, in der er Neuwahlen ankündigt. Und sich dabei, übrigens, auf eine Weise festlegt, die nur auf ein Wiederaufleben einer großen Koalition aus ÖVP und SPÖ hinauslaufen kann.

Heinz Christian Strache hat sich aber auch als das gezeigt, was er ist, und immer war, da ist nichts Neues zu erfahren. Sein bislang größtes Format zeigte er dabei noch in seiner Rücktrittserklärung. Der VdZ hat auf diesen Seiten immer und aus genau diesen Gründen gehörigen Abstand zu ihm gehalten. Diese persönlich-sittliche, geistige Schwäche alleine hat garantiert, daß unter diesem Mann keine wirkliche Korrektur möglich ist. Der Leser möge die bisherigen Stellungnahmen an diesem Ort nachlesen.

Dennoch ist der Grundfehler, daß die Tatsache, daß etwas zu denken und darüber zu sprechen, zwei verschiedene Dinge sind. Es gibt gute Gründe, Tagebücher und intime Aufzeichnungen und Gespräche verborgen zu halten. Sie sind etwas völlig anderes, neutrales Vorfeld, Spielwiese zu dem, was dann geschieht. Insofern ist das Video nicht durch seine Inhalte ein "Sittenbild" Österreichs, als das es apostrophiert wird. WAS das Sittenbild ist, ergibt sich daraus, daß diese Falle aufgebaut und nun so verwertet wurde. DAS sagt aus, wie es in dieser Demokratie zugeht. Wenn van der Bellen sagt, daß das Video ein Beweis sei, daß die Vierte Gewalt "funktioniere", dann läßt einen das ziemlich sprachlos zurück.

Gehören zur Vierten Gewalt also auch Recherchen und Methoden, die außerhalb des gesetzlichen Rahmens laufen? Heiligt plötzlich doch der Zweck die Mittel, oder zumindest dann, wenn es einem in den Kram paßt? Und der Umstand, daß das Video erst zwei Jahre (und paßgenau vor den EU-Wahlen) lanciert wurde, daß also in Ruhe abgewartet wurde, bis sich die ÖVP-FPÖ-Koalition etabliert hat, so daß der Knall umso lauter wird, spricht nicht gerade für den Edelmut des vorgegebenen Motivs, Schaden von Österreich abzuwenden. (Die Kronen Zeitung IST übrigens mittlerweile zur Hälfte verkauft, das nur nebenbei.)

Hier wurde nicht recherchiert, hier wurde inszeniert. Man hat nichts "aufgedeckt", man hat nur diskreditiert.

Oder, wie es Boris Reitschuster auf Tichys Einblick formuliert:, der den Fall Strache sogar einen furchterregenden Damm- und ethisch verwerflichen Tabubruch im Journalismus nennt: [...] ich bin felsenfest überzeugt: Sehr, sehr viele Gespräche von Politikern wären, sollten sie an die Öffentlichkeit kommen und entsprechend zugespitzt geschnitten werden, geeignet, ihren Ruf massiv zu beschädigen. Ein Ruhmesblatt in der Geschichte ist dieser Journalismus sicher nicht, im Gegenteil, er ist eine massive Beschädigung unserer demokratischen Kultur.

Und wer die 4.500 "spontanen" Demonstranten vor dem Bundeskanzleramt sah, mit ihren Transparenten "Strache Nazi" oder "Neuwahlen", die seltsamerweise in die Fernsehkameras eine verblüffend gleichlautende Begrifflichkeit ablieferte, wer dazu die gezeigte Aggressivität sah, während die "spontanen" ohrenbetäubenden Musikkakophonien abliefen, dem könnte sogar ziemlich Angst und Bange werden. Diese Leute haben jedes Gefühl für Moral verloren, und fordern genau das - Moral. Welche? Ihre? Na danke, so eine Hölle kriegen wir auch um weniger Geld.

Und schon zu später Stunde brachten die Medien die Meldung des burgendländischen Landeshauptmannes Doskozil (SPÖ), der seit Jahren - sehr erfolgreich (wie er selber sagt) - mit der FPÖ in Koalition das kleine Bundesland regiert. Nun sei alles aber neu zu überlegen. Ach ja? Ist nicht diese bestens funktionierende Koalition der SPÖ mit der FPÖ seit je Plänen, die FPÖ auf den Mistplatz zu schieben, um endlich mit der ÖVP auf Bundesebene wieder ins Bett zu hüpfen, im Wege? Und könnten somit die Aussagen von Kurz, mit der FPÖ sei einfach nicht zu koalieren, seltsam konterkarieren? Betrüblich, denn inmitten dieser unsäglichen SPÖ-Gesichter stach Doskozil in seiner Vernunftbereitschaft bislang völlig heraus.

Dennoch bleibt ein nüchternes Fazit. Politik kann keine Aufgabe von Emporkömmlingen sein. Sie kann kein Karriereweg sein, auf dem jemand "etwas werden" will. Das Ergebnis ist, was man nun sieht. Schon gar in einer "Demokratie", die die Strukturen, die Institutionen in den Hintergrund gedrängt hat und alles auf die sittliche Qualität der Proponenten anlegt. Jeder Mensch ist ein Sünder, jeder hat seine Schwächen. Politik kann darauf niemals aufgebaut werden. Das hat zu dem Fehler verleitet, angebotene Macht anzunehmen. Solche Bewegungen - das macht die Bundes-AfD vielleicht besser - haben unleugbar eine Korrekturfunktion. Ob sie jedoch taugen, Regierungsverantwortung anzunehmen, darf hinterfragt werden. Parteiendemokratie führt zwangsläufig - aus der Eigendynamik, die neu ins Spiel kommt - zu einem Filz von Korruption und Kalkül. Sich zur Partei zu machen ist also mehr als eine ästhetische Frage.

Und genau diese Schwäche hat Heinz Christian Strache dazu gebracht, die Ideen, die er zu vertreten vorgab, bis auf die Knochen zu desavouieren. Von Gudenus, dem Generalsekretär der FPÖ, wollen wir gar nicht reden. Jungspunde in einer Staatsform, die auf sittlich-charakterliche Qualität aufbaut, als Repräsentanten zu wählen ist an sich schon eine geistige Verirrung, und sie kommt aus demselben Prinzip: Der Verlagerung von öffentlicher Repräsentanz auf "Leistung", nicht auf ein Amt, eine Struktur, die von der Person, die sie inne hat unabhängig ist und eine Gestalt (als Potenz) in sich trägt. In einer Monarchie - als Gegenbeispiel - regiert die Monarchie, der Repräsentant ist nebensächlich. Während der Sockel aus Ideen und Tagesfragen - in Räten, Beratungsgremien etc. - nur bis an ihre Schwelle reicht, und das Versagen von Menschen keine Staatskrise auslösen kann.

Nur über eines sollte man sich nicht täuschen: Die Menschen wissen längst, wie es in der Politik zugeht. Was Strache hier sachlich "offenbart" ist nichts sonst als eine Offenbarung üblicher Praxis, die nur einen Vorteil hat: Die etablierten Parteien haben mehr Einfluß auf die Medien, und somit kommt vieles nicht so ans Tageslicht, wie hier. Oder warum glaubt der Leser gibt es zum Beispiel derzeit den Untersuchungsausschuß über die Vorgänge rund um den Kauf der Abfangjäger vor 15 Jahren?

Der entscheidende Schritt war, über diese Hintergründe offen und dermaßen naiv zu sprechen und zu riskieren, daß sie den intimen Raum verläßt. Denn hier geht es tatsächlich um zwei verschiedene Dinge: Verborgenes Aufdecken ist eine eigene, neue Qualität. Sogar Die Welt äußerst sich in diesem Sinne durchaus kritisch zur Affaire und schreibt, daß so ein Vorgehen stets typisch für Geheimdienstarbeit war.

Aber das Aufdecken "geheimer Gedanken" ist peinlich, gewiß, es ist kompromittierend, gewiß. Aber aus eigener Erfahrung (auch dem VdZ wurden intime Aufzeichnungen in großem Umfang entwendet und öffentlich gemacht) kann man sagen, daß die Hoffnung, nun würde sich "die volle Wahrheit" offenbaren, nicht begründet ist, wenn man meinte, das Geheimnis, das jede Person ist (und in dem er alleine vor Gott steht, immer) aufzubrechen, würde mehr "Wahrheit" bringen. Person heißt "Selbstordnung", und darauf kommt es an, dort, im Bezug auf den Ort, die Aufgabe eines Menschen, entscheidet sich Moral und Handlungsqualität. Und wie Alkohol dieses Ordnungsvermögen angreifen kann, wissen wir wohl alle. Inhalte, Material an sich darf nie ausreichend für ein Urteil sein, denn es ist omni-vok oder multi-vok.

Wer es anders interpretiert als der Besitzer oder Urheber dieses Materials es im Normalzustand tut, das heißt an seinem generellen Lebensort, hat entweder keine Ahnung vom Menschen, oder will ihm Böses tun. Denn es ist das bewußte Herbeiführen einer Situation der Schizoidität, die das Opfer in eine ausweglose Enge treibt, weil ihm aufgrund der okkupierten Finalform von Handlungsurteil - Sprache - jede Möglichkeit nimmt, sein Selbst aufrecht zu halten, wenn er nicht zu einer Selbststärke gelangt, in der er am Vor-Gewußten des Wissens festhält. Deshalb kann man mit voller Berechtigung sagen, daß das, was sich hier zeigt, klar mit Dämonie zu tun hat, denn so eine Situation ist tatsächlich Hölle*. Allerdings ... auf beiden Seiten. Auch in der Selbstauflösung und -preisgabe.

Und damit sind wir wieder bei der Anfangsthese gelandet. Denn Dämonie ist der Stoff, aus dem unsere Form der Demokratie gemacht ist, egal von welcher Seite man sie ansieht. Wer damit nicht umgehen kann, sollte die Finger davon lassen. Denn wer sich mit dem Teufel ins Bett legt, wacht in der Hölle auf. Deshalb kann Politik nie - wie es heute aber üblich ist! - über "Leistung", also Funktion, Technik bewegt werden. Denn diese Integrität hat nur das Personsganze, und das ist immer auf den Ort bezogen, also auf Stand, aus dem alleine Auftrag hervorgeht. Weil Politik eine Frage des Amts und der Strukturen ist. Wo immer Menschen antreten, zu "verändern" - wenn es sich nicht auf das Reinigen bezieht, also das Re-formieren, das Herstellen des früheren, besseren Zustands, was aber alleine schon Emporkömmlinge ausschließt - ist ihr Scheitern vorprogrammiert.





*Wenn, dann muß man in anderen Fällen sagen: SO ist Österreich nicht. So wollen es nur sehr viele machen: Zur Exzeß-Disco. Aber solch ein Event hat dieser selbe Bundespräsident natürlich immer unterstützt, der gestern doch glatt wagte, das Wort "Heimat" in den Mund zu nehmen.




*180519*