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Dienstag, 14. Mai 2019

Gottes eigenes Volk (2)

Teil 2) Ein historischer Zwischenschritt



Exkurs - Zu den Plänen des Kaisers Julian II. (Apostata, also der Abgefallene), Kaiser ab 360, wo er von den Soldaten im Donauraum zum Kaiser ausgerufen wurde, bis 363, gehörte, das persische Reich ein für allemal zu besiegen. Seit langen Jahrhunderten war es Gegenspieler Roms gewesen, ständiger Hort von Unruhe, Kriegen und Zerstörungen im Osten des Reiches. So gehörte es zu Julians Vision ein wieder erstarktes römisches Reich, zu der auch die Wiedererstarkung des alten Götterglaubens gehörte. Das Land zeigte längst ernsthafte Auflösungserscheinungen, die Kultur, die Gesellschaft zerfiel, die Religiosität, die Sitten waren weggebrochen. Und Julian (und nicht nur er) führten das auch auf das Christentum zurück, das den Römern die Verbindung mit ihren Wurzeln abgeschnitten hatten. Damit war Rom des Schutzes und des Segens der Götter verlustig gegangen. Deshalb war es so am Boden. Schon 351 sagte Julian deshalb dem Christentum ab (deshalb sein Beiname).

Julian schaffte die Staatsreligion Christentum (die es seit Konstantin war) wieder ab, drängte geschickt die Christen aus allen Positionen, schürte antichristliche Ressentiments (die teilweise zu gewalttätigen Übergriffen führten, auch wenn Julian offiziell nie eine Christenverfolgung gestartet hatte), und verordnete die Wiedereinsetzung der alten römischen und vor allem griechischen Götter. Kulte, die zwischenzeitlich durch den aus dem Vorderen Orient eingedrungenen Mithras-Kult, einer Art "Charismatik" des Heidentums, aufgepeppt waren. In dem die Kulte wie in der gegenwärtigen "Charismatik" vordergründig erlebensorientiert wurden. Aus einem Mithraskult ging man wie aus einem freikirchlichen oder "katholischen" Erweckungsgottesdient der Charismatik - emotional erhoben, euphorisiert. Da bekam man noch etwas für sein Geld.

Persien war in diesen Jahren aber wieder einmal stark geworden und bedrohte die Ostgebiete, namentlich das Euphratgebiet. Um den Erzfeind zu bekämpfen, brauchte Julian die Versorgungswege durch Palästina und Syrien. Dazu brauchte er die Juden, die er sich auf geschickte Weise geneigt machte. Zu denen er ohnehin gewisse Sympathien pflegte, denn für ihn waren sie dem alten Glauben treu geblieben, während die Christen eben abgefallene Juden waren.

Eine Wende in der Judenpolitik Roms begann. Aus gehaßten Revolutionären wurden gesuchte Verbündete. Julian bot den Juden weitreichende Rechte an, womit er sich deren eingeschworene Treue sicherte. Im Gegenzug verlangten die Juden, daß er den Tempel in Jerusalem wieder aufbaute, Herz- und Kernstück der jüdischen Religion überhaupt. Denn ohne Entsühnung, ohne Versöhnung mit Gott, ohne Kult - keine Religion. Und über die Bezogenheit der Juden zum Realen haben wir ja schon gesprochen. Und eine der ältesten Kulte ist die des Sündenbocks, der Entsühnung vor Gott, des Kerns also jeder Religion.** Von diesen Jahren wird berichtet, daß die Juden dazu auch zu Menschenopfern griffen.

Julian sagte zu. Und holte 363 aus England den größten Baumeister des Reiches, Alippius, der in Jerusalem den Bau eines neuen Tempels organisieren sollte. Was dann geschah, ist in mehreren Quellen beschrieben. Denn schon bei den Grabarbeiten zum Fundament kam es zu Erdbeben und übernatürlichen Erscheinungen. Als man aber den ersten Stein zur Fundierung des Baus in die Grube senkte, schossen plötzlich aus dem Boden Flammen heraus, die alle töteten, die am Platz waren. Einige Frauen versuchten sich zu retten, und flohen in eine nahe christliche Kapelle. Kaum aber hatten sie die betreten und verschlossen, erschien an der Tür ein brennendes Kreuz, das den gesamten Innenraum in Flammen aufgehen ließ. Alle kamen um. Panik ergriff die jüdischen Arbeiter und Baumeister, und sie flohen. Seither wurde nie wieder versucht, in Jerusalem einen neuen jüdischen Tempel zu errichten.

Auch wenn die Pläne dazu nie ganz aufgegeben wurden und bis heute bestehen. Denn für die Juden ist eines der Merkmale des Anbruchs des messianischen Reiches, die Ankunft des Erlösers, die Wiedererrichtung des Tempels in Jerusalem und damit die Wiederbelebung ihrer Religion, die seit dem Jahre 70 n. Chr. keinen Kult mehr hat. Und diesem Anbruch einer neuen Zeit soll nachgeholfen.


Morgen Teil 3) Wie man durch Rasse ein Volk erfindet



**Wie kann man sich das vorstellen? Wie "funktioniert" die Idee der stellvertretenden Sühne? Warum überhaupt Sühne? Wo immer der Mensch sündigt, verstößt er gegen die Ordnung der Welt, die wiederum in der Ordnung, dem Plan Gottes gegründet ist. Jede Sünde ist somit auch ein Verstoß gegen Gott selbst, nicht nur gegen die Welt (und die sozialen Gefüge etc.). Um mit Gott bzw. der Ordnung wieder versöhnt zu werden, braucht es ein Opfer, das an Schwere und Schmerz dem der Welt bzw. Gott zugefügtem Schmerz entspricht, ja übertrifft. So kann man hoffen, daß Gott die Ordnung als wiederhergestellt betrachtet. Durch Sühne, durch Sühnopfer. Dieser Gedanke steckt auch hinter aller Idee von "Strafe". Durch Gott, aber auch durch menschliche, weltliche, gesellschaftliche Organisationen. Besonders im Zwischenmenschlichen wird es für jeden erfahrbar: Wer einem etwas antut, muß diese Untat durch eine adäquate Gegenleistung wieder ausgleichen. Mit einem Aufgeld, einem Überschuß an Opfer, um die soziale Ordnung, das Gefüge das man beschädigt hat, gnädig zu stimmen, diese Wiedergutmachung auch anzunehmen. 

Es ist eine freie Tat, niemals eine bloße oder gar technische "Gegenrechnung", wie in der Magie. Und im Fall der Juden war ein im Zugangstor zum Inneren Tempel aufgehängter Faden der Gradmesser der Versöhnung durch Gott selbst: Färbte er sich nach den Opfern rot, war das Sühneopfer von Gott angenommen. Blieb er weiß, dann nicht. Dann mußte man wohl nächstes Jahr - das Sühnopfer wurde einmal im Jahr, zu Pessah, abgehalten - mehr opfern. Auf jeden Fall aber vorerst damit rechnen, daß das nächste Jahr Rückschläge und Strafen aller Art bringen würde, weil Gott noch zürnte. Schoeman berichtet, daß sich nach dem Tod Christi auf Golgotha die rund 40 Jahre bis zur Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahre 70 der Faden NICHT MEHR rot färbte.