Die Anregung können wir sofort aufgreifen, denn sie wirkt mehr als glaubwürdig: Auf der Seite "Bauer Willi" findet sich neben vielem weiterem Interessantem eine Replik auf die Behauptung, daß es weit weniger Insekten gibt als früher, und daß das mit dem Einsatz von Pestiziden und Herbiziden zu tun hätte. Es hat auch nichts mit Klima- und Biotopveränderungen zu tun, die nächste Behauptung. Auch das hat man in den Jahren 1989 bis 2016 untersucht, ohne Zusammenhänge zu finden.
Stattdessen stellt der Naturschutzbund NABU eine eigene und recht handfeste Erzählung aus der Realität der Bauern auf. Die durch die nämlichen Studien stark gestützt werden. Denn natürlich gibt es weniger Insekten (wenn auch mehr Vielfalt, übrigens), aber die Ursachen sind ganz anderer Natur: Sie liegen in der Umstrukturierung der Landwirtschaft, und vor allem im Verlust der früher zahlreichen kleinbäuerlichen Betriebe. Denn durch die "Umstrukturierungen" vor allem im Lebensmittelhandel haben in den letzten 40 bis 50 Jahren hunderttausende Betriebe aufgegeben.
Betrachtet man die Zusammenhänge genauer und mit ausreichender Sach- wie Ortskenntnis (des Landstreifens bei Krefeld, auf den sich die nämliche und aufsehenerregende Studie bezieht), dann ergeben sich ganz andere Aussagen als kolportiert wird. Denn es gibt weniger Insekten, WEIL
- die Naturschutzgebiete, in denen die Insektendaten erhoben wurden, heute dicht von intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen umgeben sind. Damit werden sie von deren Effekten stärker mitberührt als früher. Durch Nährstoffeintrag, aber auch durch Übergreifen von Pestiziden aus dem Ackerbau.
- sehr viele viehhaltende Klein- und Mittelbetriebe nicht mehr existieren. Diese haben noch 1989 im betreffenden Gebiet 60 Hektar Weideland bewirtschaftet, heute ist es gerade noch ein Hektar. Das hat gravierende Auswirkungen, denn nun gibt es keine Kuhfladen mehr. Eine Kuhflade aber ist Nährort für 2-300 Gramm Insekten. 1989 wurden 25 bis 30 Hektar Weideland regelmäßig beweidet. Die dadurch entstandene Insektenmasse kann man hochrechnen. Heute wird nichts mehr beweidet. Damit fehlen schon aus diesem Grund locker 30 bis 54 Tonnen Insektenmasse. Pro Jahr.
- auch Äcker sind typische Insektenbiotope, viel reichhaltiger als Grünflächen. Im Beobachtungszeitraum wurden 12 Hektar Ackerfläche in Grünland umgewidmet.
- der völlig veränderte Umgang mit Gülle. Die hygienischen Anforderungen sind so gestiegen, daß es heute Misthaufen wie früher nicht mehr gibt, und Güllebehälter werden heute abgedeckt. Auch dies waren Brut- und Nährstätten für gewaltige Insektenmassen, die es heute nicht mehr gibt.
- die Umwandlung von Weideland in Grünland. Zwar wurde auch 1989 ein Teil der Grünflächen für die Grasaufbringung und nicht als Weideland genutzt, heute aber ausschließlich. Diese Flächen werden heute drei- bis viermal gemäht. Jede Mahd aber nimmt einen Großteil der Insekten mit oder stört ihre Entwicklung. Daraus ergibt sich ein enormer Insektenverlust.
- 1989 wurden umfangreiche Flächen rund um das Naturschutzgebiet (in dem für die Insekten-Studie gemessen wurde) von Niederwald bewachsen. Nicht nur daß dort große Mengen Nährstoffe (durch Blätter etc.) anfielen, sondern diese Büsche und niedrigen Bäume haben auch viele kleine Feuchträume am Boden bewahrt. Heute sind diese Niederwälder verschwunden und mit ihnen der Lebensraum für viele Insekten.
- der Rückgang des Gemüseanbaus in der unmittelbaren Umgebung. Die Gemüseäcker, die es heute nicht mehr gibt, weil sie großteils in Grünland umgewidmet wurden, waren früher Anziehungspunkt für viele Schädlingsinsekten, und die wiederum lockten viele weitere Insekten an. Dazu kamen Schmetterlinge und Falter.
- die Verbote der Düngung von Grünland. Das hat nicht nur das Fehlen von Gülle bewirkt, sondern auch den Auftrag von Kalk betroffen. Damit versauern die Böden und viele Pflanzen (etwa Kleearten) gibt es nun nicht mehr. Dazu kommen Bodeneinträge durch Bakterien, die ebenfalls fehlen. Also haben etwa Hummeln oder Bienen keine Nahrung mehr und verschwinden.
- die Studie hat nicht berücksichtigt, ob und in welchem Maß Wanderinsekten (etwa Schmetterlingsarten, die sogar aus dem Mittelmeerraum kommen) in den nämlichen Jahren die Messung der Biomasse beeinflußt haben. Denn diese Wanderungen sind für eine Region gesehen nicht regelmäßig und vorhersehbar. 2018 etwa war sie im betreffenden Gebiet sehr stark.
- die Studie berücksichtigt nicht, ob und wieweit das Auftreten von starken Schädlingsjahren Einfluß auf die gemessene Insektenmasse genommen hat. So war 1989/90 ein extrem milder Winter, der die Schädlingsinsekten stark vermehren half, daß die Ernten teilweise vernichtet wurden. Das ergibt natürlich einen hohen Masseeintrag in den Meßbehältern. Daraufhin (!) hat man in den landwirtschaftlichen Betrieben mit dem gezielten Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln begonnen. Was natürlich die festzustellende Insektenmasse in den kommenden Jahren immer mehr reduziert hat.
- damit in Zusammenhang steht auch die Auswirkung der Umstellung auf Monokulturen und der Einsatz von Insektiziden darin. Seit 1990 sind 20% der Ackerflächen auf Monokulturen umgestellt worden. Diese werden früher im Jahr auf Schädlingsbefall kontrolliert, ja früher tolerierte man sogar gewisse Schädlinge, weil sie in kleinen Mengen ertragsfördernd wirkten. Heute nicht mehr.
- durch diese fehlenden Faktoren (Äcker) stabilisiert sich in den Naturschutzgebieten der Insektenbestand aus Räubern und Beutetieren auf niedrigem Niveau. Früher häufiger aufgetretene Masseninvasionen etwa, die eine Reaktion innerhalb des Gebiets brachten, fallen weg. Auch ist dadurch die Artenvielfalt im Naturschutzgebiet gestiegen, weil bestimmte Pflanzen stärkende Einflüsse von außen nicht mehr bestehen. Deshalb gibt es heute im Naturschutzgebiet, auf das sich die Studie bezieht, zwar weniger Insektenmasse, aber eine größere Vielfalt.
- eng mit den Insekten hängen aber auch die Vögelbestände zusammen. Wo es keine Kuhfladen mehr gibt, gibt es deshalb nicht nur weniger Insekten, sondern auch keine Schwalben mehr. Insgesamt ist also zu erkennen, daß die Zusammenhänge in der Natur und zwischen ihr und menschlichem Verhalten bzw. der Landwirtschaft sehr vielfältig und komplex sind. Zu komplex, als sie einfach auf einzelne Ursachen wie "Einsatz von Insektiziden" zu schieben. Deren Verbot wird keine einzige Schwalbe zurückbringen.
Weit gravierender ist die Umstrukturierung der Betriebe, und hier vor allem der Wegfall der kleineren Betriebe mit Viehhaltung und Weidewirtschaft. Während die bestehenden Betriebe mit immer mehr Auflagen, Ge- und Verboten belastet werden. Der Druck drängt kleine Betriebe noch weiter zurück, während er die bestehenbleibenden zu weiterem Wachstum und veränderter Bewirtschaftsmethode zwingt. Deshalb ist es auch kein Rezept, nach "mehr Ökolandbau" zu rufen. Denn um rentabel zu werden, um die Versorgung zu leisten, die die Bevölkerung braucht, müssen auch diese Betriebe größer werden. Auch im Ökolandbau lassen sich größere, makellose Produkte, wie sie benötigt werden, nur durch Monokulturen erzeugen. Und ohne Pflanzenschutz kommt auch der Öko-Landbau nicht aus. Also wird auch er nicht unbedingt die Insektenmasse fördern.
Nachsatz: Es ist also genau das, was in Österreich beim EU-Beitritt 1994/95 den Bauern eingeredet wurde, und die haben nichts gemerkt. Daß hunderttausende Kleinbetriebe aufgeben werden müssen. Auch die Fetzenschädel der Funktionärskirche haben den Bauern damals eingeredet, der VdZ war vielfach Zeuge (und niedergebügelt in seinem Widerspruch), wie wunderbar eine solche Zukunft würde. Außerdem hat Raiffeisen gerne Kredite zur "Modernisierung" und Konzentration auf viel größere Betriebe bereitgestellt. Diese "Umstrukturierung" hat nicht nur eine ganze Lebensweise auf den Kopf gestellt und verändert, und zwar für eine ganze Bevölkerungsgruppe, sondern auch - wie man sieht - große Auswirkungen auf unsere weitere Mit- und Umwelt.
Na, was glaubt der Leser, wie froh diese Pruntzer, die dafür verantwortlich sind, heute über den "Klimaschutz" sind. Wie viele sich mit dieser Trottelei aus ihrer Verantwortung stehlen können! Und wie viele genau derselben, die damals wie im Beispiel die Zerstörung der Landwirtschaft durch Umbau auf Industriebetriebe propagiert haben, heute mit Plakaten in der Hand "Für Umweltschutz und Klimarettung sofort!" demonstrieren.
*150319*