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Samstag, 25. Mai 2019

Wer rechnet schon mit Pornofilmen

Auch der VdZ gehörte zu jenen, die der Name Grundig von Kindheit an begleitet hatte. Der Radio in der Küche war zwar von Minerva, einem österreichischen Hersteller (den es schon lange nicht mehr gibt), aber Grundig-Geräte waren der Inbegriff von Qualität und waren das, was sie darstellten, selbst. Auch der erste Videorecorder (in er Mitte der 1980er Jahre angeschafft) mit seinem "Video 2000" war von Grundig. Und er hat sich furchtbar geärgert, als sich das VHS-System nicht nur nicht durchsetzte, sondern Video 2000 vom Markt verschwand.

Der Grund dafür beschreibt die Veränderungen, die sich damals in der Wirtschaft vollzogen. Und es sind Veränderungen, die der VdZ haßt, das sagt er ehrlicherweise gleich dazu. Hier siegte der Kapitalismus über die Freie Wirtschaft, löschte letztere aus. Und er tat es über die verhaßte "Globalisierung", in der die Skrupelloseren, Wurzelloseren über die Guten siegten und nach wie vor siegen. Grundigs Videoprojekt scheiterte (und mit ihm auch das Unternehmen), weil die Japaner mit ihren durch internationale Fabriken in Massen billig produzierten, technisch dem Grundig-System unterlegenen Systemen den Weltmarkt überschwemmten, und mit der Marktmacht bei Abspiel- und Aufnahmegeräten dann auch die Videofilmproduktion selbst in die Hand bekamen.

Aber selbst, wenn Sony oder Hitachi (sagen wir einmal) technisch "besser" gewesen wären, was hätte es bedeutet? Grundig hätte irgendwann gewiß neue Entwicklungen auf den Markt gebracht. Jedes Wirtschaften braucht eben das Miteinander von Kunden und Herstellern, von Unternehmern und Käufern. Und ein Unternehmer war Max Grundig gewiß. 

Wenn es im Film heißt, er habe später "seinen Instinkt" verloren, so ist das recht sicher eine Lüge oder einfach so dahingesagt. Denn was spätestens ab den 1970er-Jahren bei uns passierte, war nicht der Siegeszug einer überlegenen Unternehmenskultur, die eine andere, alte ablöste. Es war der Siegeszug eines technizistischen, depersonalisierten, entwurzelten Wirtschaftens, in dem die brutaleren Geldproduzenten die verwurzelte Wirtschaft auszuhungern begannen. Indem sie für Massenproduktion taugliche Teilbereiche abfischte, ohne die aber auch ein Unternehmen, das sich an ganz anderen Standards orientierte, nicht überleben konnte. 

Und vor allem aber, indem sie ohne ethische Bedenken den Markt mit Pornos und Western überschwemmte. DAMIT hat man Grundig ausgestochen. Denn für "Fick die Rübenuschi - 6. Teil" brauchte keiner Grundig-Qualität. Das hat sich Max Grundig gar nicht vorstellen, nur - überrascht - zur Kenntnis nehmen können. Ein schöpferischer Geist denkt eben nicht an das Ungeistige. Das tut nur der Ungeist.

Daß unsere Kultur derartig depraviert werden konnte, konnten schöpferische Menschen gar nicht denken, und schon gar nicht davon profitieren. Wie von der Konsumgier, ausgelöst durch den westlichen Sozialstaat und dem Prinzip, daß den Menschen mehr Geld zur Verfügung steht, als ihrem Stand, ihrem Charakter entspricht. Solcherart entwurzelt, waren es auch ihre Kaufentscheidungen. Der Grundstein für die "Globalisierung" war gelegt. Der Rückschlag für die Arbeitnehmer furchtbar. Für die Unternehmer sowieso. Ab den 1980ern, allerspätestens, war nicht mehr das schöpferische (und das ist patriarchales) Unternehmertum gefragt, sondern die Ablaufoptimierung, die kein Ganzes mehr im Blick hatte, sondern die Wirtschaft der Güter auseinander nahm und den Warenmarkt umschichtete.

Bis 1984 konnte Grundig, gehalten vom treuen Konsumverhalten der Deutschen, noch bestehen. Gegen alle weltweite Konkurrenz hatte Grundig bei Farbfernsehern einen Markanteil von 30 Prozent im eigenen Land. Obwohl die international gesehen hohen Herstellungskosten kaum noch von den Erlösen gedeckt werden konnten, zu sehr haben fernöstliche Billigprodukte die Preise ruiniert. Weil die Kunden längst in eine Richtung geschoben worden waren, daß Produkte nur so aussehen mußten wie das, was zu sein sie vorgaben. (Die Folgen sind unter anderem kurze Lebensdauern und rasende Produktzyklen, denn zaubern können auch Billighersteller nicht, sie holen ihr Geld nur anders und für anderes).

Aber dann war das Ende der Fahnenstange erreicht. Für die Jugend zählte das Althergebrachte immer weniger, sie war längst zum brutalen Rechner und Käufer von Schein geworden und dazu (unter anderem von einem Schulsystem, das aus Steuern bezahlt wurde, die Unternehmen wie Grundig erarbeitet hatten) erzogen worden. Noch einmal versuchte Grundig sein Unternehmen zu retten, indem er von der Politik verlangte, was deren Aufgabe gewesen wäre: Video 2000 von der EU-Behörde als europäischen Standard festzuschreiben, und einer geplanten Allianz europäischer Hersteller damit überleben zu helfen. Das Vorhaben gelang nicht, weil die übrigen europäischen Hersteller lieber japanische Billig-VHS-Geräte kauften und auf die Gerätegehäuse ihre Namen aufdruckten. (Da kann man fast davon getröstet sein, daß es heute, 35 Jahre später, keinen europäischen Videohersteller mehr gibt.)

Der aus ganz armen Verhältnissen stammende Max Grundig, der das Unternehmen 1930 als kleinen Radioladen begonnen und durch geschicktes und innovatives Handeln (erste Diktiergeräte, erste Radios nach dem Krieg, erste Tonbandgeräte, erste Farbfernseher ...) von Deutschland aus groß gemacht hatte, verkauft 1984 das von ihm aufgebaute Lebenswerk an Philips. Das aber nur am Markennamen und dessen Marktanteil interessiert ist, nicht an den Produkten. Und bald wird die Produktion in Deutschland bis auf Reste auch eingestellt. Aus einem Arbeitgeber für 40.000 Menschen war ein kleiner Restbetrieb mit 1.500 Leuten geworden, der noch jene Nischen bediente, die halt vom Markt dort weit draußen übriggeblieben waren. Die neuen Besitzer weisen den längst zum Milliardär gewordenen Max Grundig aus dem Haus. Der Firmengründer betritt das von ihm 54 zuvor gegründete Unternehmen nie mehr. Das stürzte ihn erst in eine tiefe Lebenskrise gefühlter Nutzlosigkeit. 

Aber noch einmal kann er sich zu aktivem Tun aufraffen, und er baut mit eigenem Geld das Hotel "Bühler Höhe" im Schwarzwald zu einem Märchenschloß um. Als er fertig ist und wieder den Schreibtisch räumen muß, erholt er sich nicht mehr. Zwei Monate später, am 8. Dezember 1989, stirbt er. Zu dieser Zeit stehen die Fabrikhallen von Grundig nicht mehr. Mitte der 1990er Jahre ist Grundig-Philips pleite. Die Erben leben in gigantischem Reichtum völlig zurückgezogen. Es gibt den Namen Grundig zwar noch, aber die fünf Nachfolgefirmen, die seinen Ruf nützen, lassen in Asien produzieren. Ihre Produkte haben mit Max Grundig nichts mehr zu tun.

In der Umgebung der modernen Umbrüche ist Max Grundig ein Fremder geworden. Ein Fremder. Nicht ein "Instinktloser". Denn sein Instinkt war auf Vernunft und Verwurzeltheit begründet und daran geeicht. Diesen Schluß wagt der VdZ ohne Vorbehalt zu ziehen, denn es war eine allgemeine Entwicklung. Der Unternehmer wurde vom Manager abgelöst, Unternehmen wurden zu technizistischen Ablaufapparaturen, Produkte zu fragmentierten Einzeltechniken, zu universalen Funktionsabstraktionen ohne Bezug zu regionalen Kultureigenheiten. Man hat Grundig vorgeworfen, keinen Nachfolger, keine Manager aufgebaut zu haben. Aber der Fürther hatte ein gestörtes Verhältnis zu Managern. Sie seien die neuen Wirtschaftsverbrecher, meinte er einmal sogar. In seinem Unternehmen hatte nicht einmal die Gewerkschaft eine Chance. Seine Mitarbeiter brauchten sie nicht.

Aber die Zeit lief aus dem Ruder und damit gegen ihn. Auf das Insgesamt eines Produktes als gestalthafter Teil einer Lebensführung folgte ein nur noch "mehr" (von immer weniger), ein auch dem tugendlosen erreichbares "Rascher", weil verfügbarer durch isolierte Befriedigungsmomente. Die natürlich alle "Nachteile" eines Produkts mehr und mehr ausmerzen konnten. Die Produkte, die in den 1970er Jahren aufkamen schlossen ganze Bereiche von Lebenskultur zunehmend aus.

Wie sehr das Leben für uns alle dadurch verarmte, fiel vorerst niemandem auf. Man ließ sich gerne bestechen und ignorierte, wie viel man dabei verlor, ablegte, ausschloß. Nicht zufällig stieg damit die Menge des Mülls. Nicht, weil es so viele Produkte mehr gab. Sondern, weil diese Produkte außerhalb ihrer knappen Funktionen gar nicht mehr in unsere Lebenswelt integrierbar sind. Und damit meint der VdZ nicht, daß man aus einem Grundig-Fernseher nach dessen Hinscheiden (und das dauerte Jahrzehnte) auch eine Seifenkiste bauen konnte.







*060319*