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Samstag, 11. Mai 2019

Ein Akt der Konterrevolution (1)

Wir bringen hier ein Radio-Gespräch mit E. Michael Jones vom Oktober 2009, in dem er die enorme Umfassendheit der Reflexion zeigt. Er behandelt darin die Tatsache, daß der "Nußknacker" in weiten Teilen der USA seit gut hundert Jahren zu einer der Weihnachtstraditionen gehört. Wie läßt sich das erklären? Wie läßt sich erklären, daß so viele Amerikaner in diesem so traditionellen Ballett eine künstlerische Darbietung suchen, verbunden mit dem Fest der "Irdischwerdung des Himmels"?

Die Antwort ist leichter, als es scheint: Es geht in beidem um die verlorene Welt. Es geht um die verlorene Kindheit, und um die Sehnsucht nach dem goldenen Kulturzeitalter, das unsere Kultur bis zur Reformation (und definitiv in der französischen Revolution) einmal war. Somit wird diese sehr läßliche Sünde der Nostalgie zur Flucht in die Sehnsucht nach einer verlorenen Welt, die besagt, daß die heutige Welt nicht die beste aller möglichen Welten ist. Daß wir die vielmehr schon (fast) einmal hatten, als die alte katholische Welt. Die gezielt durch einen Materialismus zerstört wurde, der aus der Schwäche stammt, die man nicht überwindet. Sodaß man den Spatz in der Hand der Taube auf dem Dach vorzieht, weil er die Mühe erspart, die Menschsein immer auch bedeutet. Sünde ist ja letztlich immer ein Versuch, sich anzueignen, was einem nicht (oder noch nicht) zusteht, egal aus welchen Gründen. Was als Lebensstil freilich dazu führt, daß auch der Glaube an die Taube auf dem Dach (die anzustreben alleine schon weit mehr Gewinn bedeuten würde) verschwindet.

Erst so läßt sich verstehen, was sich in Europa als Kultur seit dem 15. Jahrhundert abspielte, und sich im 19. Jahrhundert perfektionierte. Wo es aus den politischen und philosophischen Umbrüchen heraus zu konkreten kulturellen Revolutionen kam, die sich natürlich auch im Ballett (sinnbildlich für alles) zeigten. Der Tanz (generell) begann sich zu verändern. Er zeigte immer mehr kein Wesensbild mehr, das in der Bewegung, in der Choreographie (das gilt sogar für den einfachen Gesellschaftstanz) aus dem Ewigen durch ein Fenster hereinblitzte. Ballett als "Kunst der Hofschranzen und Eliten" wurde verpönt. Also kamen die französischen Ballettmeister nach der Französischen Revolution nach Rußland. Denn der russische Hof hatte noch die Kraft, stilbildend zu wirken, was eine der Hauptaufgaben eines Hofes ist. Umgekehrt, verließen die russischen "modernen" Ballettmeister Rußland und revolutionierten die Ballettbühnen des Westens (vor allem in Paris). Ihnen folgten nach dem kommunistischen Umsturz, der wie in Frankreich die Hochkultur ablehnte und verfolgte, die traditionellen Ballettmeister, ja ganze Ensembles, und flohen in den Westen, vor allem in die USA.

Ohne transzendenten Sinn bleibt nur Langeweile

Mit dem Vordringen der marxistischen, materialistischen Ideen aber gab es auch im Westen permanent Versuche, das Ballett im "Modern Dance" zu revolutionieren, und zwar durch die Einführung des Zufälligen, nicht Sinnorientierten. Nicht mehr Geist war der Ausgangspunkt, sondern wie in der Evolutionslehre vorgezeichnet war Geist nur eine Folge der Materie. Einen Schub erhielt diese Richtung nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser nun folgende Subjektivismus war das Merkmal, das den Tanz in den 1950ern, 1960ern kennzeichnete. 

Aber was anfänglich noch interessant" war, weil es das eigene Verhältnis zur Tradition umspielte, wurde in sich bald langweilig. Und überall wurde man dieser ekstatischen, subjektivistischen Tanzformen überdrüssig. Der Enthusiasmus der Kunst ist eben nicht ekstatisch. Er ist eine Erfülltheit mit dem Heiligen, mit und in Gott (en-theo/thu-siastisch), der in gewissem Sinn in der Kunst "inkarniert".

Aber immerhin hat es etwas bewirkt: Als Gegenreaktion stand bald die Sehnsucht nach der alten Welt auf - symbolisch wie im Nußknacker. Im Transzendenten, dem Guten, Schönen, Sinnorientierten (Wahren), wenigstens für einige Stunden als wärmender Traum und Angeschmack auf den Himmel. Das steht hinter der Beliebtheit von "Nußknacker"-Aufführungen in den USA. Daß diese nostalgische Haltung im Grunde das ist, was man als Kleinbürgerlichkeit bezeichnet, steht auf einem anderen Blatt Papier. Verständlich ist es allemal.

Dahinter steht nämlich das Generalproblem der Korrumpierung der Kunst, mit der wir es seit 150 Jahren zu tun haben, und die ihre entscheidende Wende mit der Wende zum Subjektivismus fand (Impressionismus!). Nun zählte nicht mehr die objektive Welt der Gestalten, nun zählte das Empfundene, und zwar das im Künstler Empfundene.

In dem die Schönheit - in der Existenz und Wesen objektiv zusammenfallen - zu einem bloß subjektiv empfundenen Geschmacksurteil erniedrigt wird. Damit zog in einer der vielen Reaktionen darauf, in denen sich das verlorene Ganze in seine Teile auflöste, der Hyperrealismus ein. Oder die Abstrakte, wo das allseits empfundene Fehlende durch eine in einfachsten Grundformen zu findende absolute Wesen (auch das also eine Suche nach dem Ewigen, wenn auch erfolglos) ersetzt werden sollte. Aber in allen diesen Extremen ist jeweils eines der beiden - Existenz und Wesen - überbetont. 

Daraus ergibt sich keine gestalthafte, ganzheitliche Ordnung, die auch den ganzen Menschen in allen Dimensionen umfaßt hätte. Der mehr ist als die Summe der Teile. Die Welt zerfiel im 19. Jahrhundert immer mehr in diese Teile, in Funktionen (als die man die Welt immer mehr zu sehen begann), das Ganze (das die Teile aus sich heraustreibt) begann zu entschwinden. Damit verlor alles und in allen Lebensbereichen (auch in der Religion, im Kult) seine nährende Lebensklammer. Die Ekstase des immer mehr seine Isoliertheit begreifenden Individuums wurde zum letzten konsumablen Rest immer kleiner gewordener "Ganzheiten". 

Die heute im Gegenüber irgendeines Bildschirms fast restlos verschwunden sind, und in den Cyber-Welten ihre vielleicht finale Form - als vollständig lebensleere Nicht-Gestalt - annehmen.

Dieses Revolutionäre war in der Politik motiviert, die (im Grunde bereits ab der Renaissance, die erstmals als Strömung den logos zugunsten eines rationalen Konstrukts ablehnte, endgültig in der Aufklärung und im totalitären Absolutismus des 19. Jahrhunderts) die Gesellschaft und die Lebensweise gezielt zu verändern begann. Denn mit deren Veränderung hin zum Revolutionären war jede Wesensordnung ein schweres Ärgernis. 

Also mußte auch die Künderin dieser göttlichen, geistigen, der Welt vorausgehenden Ordnung revolutioniert werden, die Kunst. 

Denn natürlich ist eine desorientierte Gesellschaft auch an desorientierter Kunst (die dann gar keine mehr ist) interessiert, es spiegelt sie und nichts fordert heraus und würde so ins Gewissen rufen, worin man dem Sein gegenüber versagt. Denn die "Empörungskunst" ist ja eine lächerliche Schimäre. Sie funktioniert nur, soweit und solange sie noch kulturelle, soziale Substanz vorfindet. Dann fällt sie dorthin, wo sie herkommt: Ins Nichts, in die Langeweile. Denn was ist an einem irdischen Menschen interessant, der nicht zum Fenster einer transzendenten Idee wird, sondern mir nur meine eigene Lächerlichkeit vorspiegelt? Mit Verlaub ... nichts.

Nun, wo Kunst also nichts Sichtbares, im Gestalthaften erkennbar über sich Hinausweisendes mehr war, mußte Sinn, logos, Geist künstlich und ersatzweise aufgepfropft werden. Denn daß etwas fehlte, fühlte man, und fühlten vor allem die Künstler. Also suchte man es, und damit - sowie mit den Irrtümern der Philosophie, die immer mehr Ideologien wurden - kam die Konzeptkunst. In ihr hat das Artefakt gar keine Bedeutung mehr. Es gibt keinen Geist, sagt der heutige Mensch, es gibt nur noch Ideologie.

Dahinter stehen freilich zwei bemerkenswerte Tatsachen: Die eine ist, daß es stimmt, daß der Mensch nur sieht, was in seinem Geist vorgebildet ist. Man sieht nicht "mit den Augen", sondern nur "durch" sie. Wenn es aber keinen absoluten Geist (Gott, das Sein an sich) mehr gibt, von dem alles ausgeht und auf den alles hinläuft, Geist (lebendige Idee) zur rationalen Willkürkomposition wird, Leben nur noch an subjektiv empfundenem "Glück" (als "Erfüllungsreiz" und "Trieberfüllung") gebunden gesehen wird, hängt alles davon ab, daß der Betrachter dieses Konzept kennt, und ihm gemäß schaut.

Das zeigt aber zum anderen einen umfassenden Haß auf das Sein, das zum "Gestell" erniedrigt wird, das über Nutzen hinaus keinen Sinn hat. Und damit wächst der Haß auf eine objektive Seinsordnung, die es zu erfüllen gäbe, weil darin Glück als Geglücktheit läge. Sodaß das Bildhafte, das Seiende, seiner Grundlagen (Teilhabe am Sein) entblößt wird - und zur weltimmanenten technischen Nutzanwendung führt, wie in der Pornographie.


 Morgen Teil 2)





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