Wir bringen hier ein
Radio-Gespräch mit E. Michael Jones vom Oktober 2009, in dem er die enorme
Umfassendheit der Reflexion zeigt. Er behandelt darin die Tatsache, daß der
"Nußknacker" in weiten Teilen der USA seit gut hundert Jahren zu
einer der Weihnachtstraditionen gehört. Wie läßt sich das erklären? Wie läßt
sich erklären, daß so viele Amerikaner in diesem so traditionellen Ballett eine
künstlerische Darbietung suchen, verbunden mit dem Fest der
"Irdischwerdung des Himmels"?
Die Antwort ist
leichter, als es scheint: Es geht in beidem um die verlorene Welt. Es geht um
die verlorene Kindheit, und um die Sehnsucht nach dem goldenen Kulturzeitalter,
das unsere Kultur bis zur Reformation (und definitiv in der französischen
Revolution) einmal war. Somit wird diese sehr läßliche Sünde der Nostalgie zur
Flucht in die Sehnsucht nach einer verlorenen Welt, die besagt, daß die heutige
Welt nicht die beste aller möglichen Welten ist. Daß wir die vielmehr schon
(fast) einmal hatten, als die alte katholische Welt. Die gezielt durch einen
Materialismus zerstört wurde, der aus der Schwäche stammt, die man nicht
überwindet. Sodaß man den Spatz in der Hand der Taube auf dem Dach vorzieht,
weil er die Mühe erspart, die Menschsein immer auch bedeutet. Sünde ist ja
letztlich immer ein Versuch, sich anzueignen, was einem nicht (oder noch nicht)
zusteht, egal aus welchen Gründen. Was als Lebensstil freilich dazu führt, daß
auch der Glaube an die Taube auf dem Dach (die anzustreben alleine schon weit
mehr Gewinn bedeuten würde) verschwindet.
Erst so läßt sich
verstehen, was sich in Europa als Kultur seit dem 15. Jahrhundert abspielte,
und sich im 19. Jahrhundert perfektionierte. Wo es aus den politischen und
philosophischen Umbrüchen heraus zu konkreten kulturellen Revolutionen kam, die
sich natürlich auch im Ballett (sinnbildlich für alles) zeigten. Der Tanz
(generell) begann sich zu verändern. Er zeigte immer mehr kein Wesensbild mehr,
das in der Bewegung, in der Choreographie (das gilt sogar für den einfachen
Gesellschaftstanz) aus dem Ewigen durch ein Fenster hereinblitzte. Ballett als
"Kunst der Hofschranzen und Eliten" wurde verpönt. Also kamen die
französischen Ballettmeister nach der Französischen Revolution nach Rußland.
Denn der russische Hof hatte noch die Kraft, stilbildend zu wirken, was eine
der Hauptaufgaben eines Hofes ist. Umgekehrt, verließen die russischen
"modernen" Ballettmeister Rußland und revolutionierten die
Ballettbühnen des Westens (vor allem in Paris). Ihnen folgten nach dem
kommunistischen Umsturz, der wie in Frankreich die Hochkultur ablehnte und
verfolgte, die traditionellen Ballettmeister, ja ganze Ensembles, und flohen in
den Westen, vor allem in die USA.
Ohne
transzendenten Sinn bleibt nur Langeweile
Mit dem Vordringen
der marxistischen, materialistischen Ideen aber gab es auch im Westen permanent
Versuche, das Ballett im "Modern Dance" zu revolutionieren, und zwar durch
die Einführung des Zufälligen, nicht Sinnorientierten. Nicht mehr Geist war
der Ausgangspunkt, sondern wie in der Evolutionslehre vorgezeichnet war
Geist nur eine Folge der Materie. Einen Schub erhielt diese Richtung nach
dem Zweiten Weltkrieg. Dieser nun folgende Subjektivismus war das Merkmal, das den
Tanz in den 1950ern, 1960ern kennzeichnete.
Aber was anfänglich
noch interessant" war, weil es das eigene Verhältnis zur Tradition
umspielte, wurde in sich bald langweilig. Und überall wurde man dieser
ekstatischen, subjektivistischen Tanzformen überdrüssig. Der Enthusiasmus der
Kunst ist eben nicht ekstatisch. Er ist eine Erfülltheit mit dem Heiligen, mit
und in Gott (en-theo/thu-siastisch), der in gewissem Sinn in der Kunst
"inkarniert".
Aber immerhin hat es
etwas bewirkt: Als Gegenreaktion stand bald die Sehnsucht nach der alten Welt
auf - symbolisch wie im Nußknacker. Im Transzendenten, dem Guten, Schönen,
Sinnorientierten (Wahren), wenigstens für einige Stunden als wärmender Traum
und Angeschmack auf den Himmel. Das steht hinter der Beliebtheit von
"Nußknacker"-Aufführungen in den USA. Daß diese nostalgische Haltung
im Grunde das ist, was man als Kleinbürgerlichkeit bezeichnet, steht auf einem
anderen Blatt Papier. Verständlich ist es allemal.
Dahinter steht
nämlich das Generalproblem der Korrumpierung der Kunst, mit der wir es seit 150
Jahren zu tun haben, und die ihre entscheidende Wende mit der Wende zum
Subjektivismus fand (Impressionismus!). Nun zählte nicht mehr die objektive
Welt der Gestalten, nun zählte das Empfundene, und zwar das im Künstler
Empfundene.
In dem die Schönheit
- in der Existenz und Wesen objektiv zusammenfallen - zu einem bloß subjektiv
empfundenen Geschmacksurteil erniedrigt wird. Damit zog in einer der vielen
Reaktionen darauf, in denen sich das verlorene Ganze in seine Teile auflöste,
der Hyperrealismus ein. Oder die Abstrakte, wo das allseits empfundene Fehlende
durch eine in einfachsten Grundformen zu findende absolute Wesen (auch das also
eine Suche nach dem Ewigen, wenn auch erfolglos) ersetzt werden sollte. Aber in
allen diesen Extremen ist jeweils eines der beiden - Existenz und Wesen -
überbetont.
Daraus ergibt sich
keine gestalthafte, ganzheitliche Ordnung, die auch den ganzen Menschen in
allen Dimensionen umfaßt hätte. Der mehr ist als die Summe der Teile. Die
Welt zerfiel im 19. Jahrhundert immer mehr in diese Teile, in Funktionen (als die man
die Welt immer mehr zu sehen begann), das Ganze (das die Teile aus sich
heraustreibt) begann zu entschwinden. Damit verlor alles und in allen
Lebensbereichen (auch in der Religion, im Kult) seine nährende Lebensklammer.
Die Ekstase des immer mehr seine Isoliertheit begreifenden Individuums wurde
zum letzten konsumablen Rest immer kleiner gewordener
"Ganzheiten".
Die heute im
Gegenüber irgendeines Bildschirms fast restlos verschwunden sind, und in den
Cyber-Welten ihre vielleicht finale Form - als vollständig lebensleere
Nicht-Gestalt - annehmen.
Dieses Revolutionäre
war in der Politik motiviert, die (im Grunde bereits ab der Renaissance, die
erstmals als Strömung den logos zugunsten eines rationalen Konstrukts
ablehnte, endgültig in der Aufklärung und im totalitären Absolutismus des
19. Jahrhunderts) die Gesellschaft und die Lebensweise gezielt zu verändern
begann. Denn mit deren Veränderung hin zum Revolutionären war jede
Wesensordnung ein schweres Ärgernis.
Also mußte auch
die Künderin dieser göttlichen, geistigen, der Welt vorausgehenden Ordnung
revolutioniert werden, die Kunst.
Denn natürlich ist
eine desorientierte Gesellschaft auch an desorientierter Kunst (die dann gar
keine mehr ist) interessiert, es spiegelt sie und nichts fordert heraus und
würde so ins Gewissen rufen, worin man dem Sein gegenüber versagt. Denn die
"Empörungskunst" ist ja eine lächerliche Schimäre. Sie funktioniert
nur, soweit und solange sie noch kulturelle, soziale Substanz vorfindet. Dann
fällt sie dorthin, wo sie herkommt: Ins Nichts, in die Langeweile. Denn was ist
an einem irdischen Menschen interessant, der nicht zum Fenster einer
transzendenten Idee wird, sondern mir nur meine eigene Lächerlichkeit
vorspiegelt? Mit Verlaub ... nichts.
Nun, wo Kunst also
nichts Sichtbares, im Gestalthaften erkennbar über sich Hinausweisendes mehr war,
mußte Sinn, logos, Geist künstlich und ersatzweise aufgepfropft werden.
Denn daß etwas fehlte, fühlte man, und fühlten vor allem die Künstler. Also
suchte man es, und damit - sowie mit den Irrtümern der Philosophie, die immer
mehr Ideologien wurden - kam die Konzeptkunst. In ihr hat das Artefakt gar
keine Bedeutung mehr. Es gibt keinen Geist, sagt der heutige Mensch, es gibt
nur noch Ideologie.
Dahinter stehen
freilich zwei bemerkenswerte Tatsachen: Die eine ist, daß es stimmt, daß der Mensch
nur sieht, was in seinem Geist vorgebildet ist. Man sieht nicht "mit den
Augen", sondern nur "durch" sie. Wenn es aber keinen absoluten
Geist (Gott, das Sein an sich) mehr gibt, von dem alles ausgeht und auf den
alles hinläuft, Geist (lebendige Idee) zur rationalen Willkürkomposition wird,
Leben nur noch an subjektiv empfundenem "Glück" (als
"Erfüllungsreiz" und "Trieberfüllung") gebunden gesehen
wird, hängt alles davon ab, daß der Betrachter dieses Konzept kennt, und ihm
gemäß schaut.
Das zeigt aber zum
anderen einen umfassenden Haß auf das Sein, das zum "Gestell"
erniedrigt wird, das über Nutzen hinaus keinen Sinn hat. Und damit wächst der
Haß auf eine objektive Seinsordnung, die es zu erfüllen gäbe, weil darin Glück
als Geglücktheit läge. Sodaß das Bildhafte, das Seiende, seiner Grundlagen
(Teilhabe am Sein) entblößt wird - und zur weltimmanenten technischen
Nutzanwendung führt, wie in der Pornographie.
Morgen Teil 2)
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