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Mittwoch, 9. November 2016

Genauer Ausdruck des Zeitgeistes

Recht viele Erklärungsmöglichkeiten bleiben nicht, versucht man, die Karriere der deutschen Bundeskanzlerin, den Charakter der Person dahinter zu verstehen. Bei Angela Merkel ist nicht viel greifbar, was sei eigentlich wirklich ist, wofür sie wirklich steht, was sie wirklich denkt und vertritt. Die Verfasser der Biographie über "Das erste Leben der Angela M.", Ralf Georg Reuth und Günther Lachmann, tun sich schwer dabei, nicht als Erklärung eine erschreckende Herzenskälte zu diagnostizieren, die ein Mensch haben muß, der sich nie so richtig festlegt, um dann doch abzuwarten, wohin sich die Barkeneigt, um dann auf der richtigen Seite zu stehen - und einfach zu "beerben", was fällt. Das sie zwr einerseits angestrebt hat, anderseits aber nie so, daß es auffiel. Also unterschätzte man sie überall, sah sie als ungefährlich, sah sie nicht als Konkurrenten, der gar die Kälte hatte, zum gegebenen Zeitpunkt gezielt und rasch zuzuschlagen.

Nicht anders hat sie auch ihr Leben vor dem kometenhaften Aufstieg in der Politik verbracht. Bis ihr die sich überstürzenden Ereignisse in der DDR der Jahre des Zusammenbruchs und der Wiedervereinigung, 1989 und 1990, die Dinge fast von selbst in die Hände spielten. Man konnte sie nciht richtig einschätzen, sie war nicht aufgefallen - außer durch "Brauchbarkeit", außer durch ihr "einfach da" sein. Und sie war dann scheinbar auch "einfach da", als die westliche Politik und Medieinlandschaft Leute suchte und brauchte, die genau das waren: Nicht allzu auffällig gewesen, damit nicht belastet und nicht gefährdet abgeschossen zu werden. Sie konnte nicht, wie so manche andere, die sie zurückließ, die aus dem Spiel fielen, für eine Haltung gekreuzigt werde, die sich nachträglich als falsch herausstellte, sie hatte sich in dieser Beziehung durch eine Position nie so recht angreifbar gemacht, die man auch als halbherzige Nicht-Position durchgehen lassen konnte.

Wobei man dazu neigen könnte, ihre Zurückhaltung - sie war einerseits als schüchtern, anderseits als doch auch recht selbstbewußt bekannt - als tiefe Kälte auszulegen. (Zumalen man vor allen jenen nur wieder und wieder warnen muß, die Moral und Menschlichkeit ins Schaufenster stellen.) Berechnendheit war es auf jeden Fall, die sie wie ein Schatten auftreten ließ, der sich allen nützlich machte, um schließlich jenen Moment abzuwarte, in dem ihr einstiger Förderer, dem sie alles verdankt, über sich selbstl stürzte. Das ist mit so gut wie allen ihren Mentoren passiert. Was sie mit Helmut Kohl anstellte war überhaupt ein Gipfelpunkt an Abgebrühtheit.

Auch wenn der Wegfall ihrer Konkurrenten, die sie nie als solchen gesehen hatten, ihr "da sein" wenn es darauf ankam, gar nicht so zufällig war, wie es für jene aussah, wie Kohl, die sie einfach unterschätzt hatten. Es war keineswegs einfach NUR alles im Zufallsraster so gefallen, daß Merkel es nur aufzulesen brauchte. Die Charakteristik der Physikerin, die kühl und nüchtern die Welt als Mechanismus zu erkennen und zu handhaben versteht? Man sollte es annehmen.

Reuth und Lachmann schließen in ihrem Buch so:

"Es gehört wohl zu dem politischen Urerlebnis der Angela Merkel, daß im Zuge dieser friedlichen Revolution innerhalb kürzester Zeit nichts mehr galt, was bislang gegolten hatte. Alles für das sie und andere Reformkommunisten [denn Merkel hatte sich in einem Punkt doch und kontinuierlich verfolgbar positioniert: sie wollte nie das westliche System, sondern immer eine DDR mit einem Kommunismus mit "menschlichem Antlitz", und hatte bis zuletzt an diesem Ziel festgehalten; Anm.] aus den Reihen der Intelligenzija einmal gestanden und für das sie sich engagiert hatten, war nicht nur obsolet, sondern ins genaue Gegenteil verkehrt worden. [Dieser Zug setzt sich bei Merkel bis zum heutigen Tag fort: Wenn etwas nicht erreichbar erscheint, wenn sie an etwas zu scheitern droht, schlägt ihre "Meinung" blitzartig auf das Erreichbare um; Anm.]

Statt demokratischem Sozialismus war nun Kapitalismus angesagt. Statt Zweistaatlichkeit nationale Einheit. Statt Mitgliedschaft beim RGW und Warschauer Pakt Zugehörigkeit zu EU und NATO. Wer eine solche Wendung mitmacht - für den können politische Inhalte nicht im Mittelpunkt stellen. Für den geht es um Karriere und Macht. Für den ist Macht Selbstzweck."

Merkel, deren Lebensverlauf staunen macht, wie sehr Zeitumstände einem Menschen in die Hände spielen können, hat die CDU tiefgreifend umgebaut, meinen die Autoren. Die CDU ist zu einem "Abnickverein" verkommen, dessen inhatlliche Positionen weit weit von ihren einstigen Wertelandschaften entfernt liegen. Ein innerparteilicher inhaltlicher Diskurs findet nicht mehr statt. Aber diese Sprachlosigkeit ist es, was sie deutschlandweit "eint". Weit und breit ist keine Person mehr zu sehen, die neben ihr Profil entwickeln hätte können, das man als kanzlerwürdig sehen könnte. Aber immerhin hat hier Merkel doch gewisse inhaltliche Konsequenz bewiesen - denn sie hat auf dieselbe Art, wie sie aufgestiegen ist - scheinbar zurückhaltend, scheinbar harmlos, scheinbar nur zuwartend - alle Weichen für jenen demokratischen Sozialismus gestellt, der als die einzige wirkliche Position ihrer Zeit VOR dem Umschwenken auf  "christ-demokratische Ideale" festzumachen ist.

Ihr sind dabei Charakterzüge zugute gekommen, die man tatsächlich so sehen muß, wie Kissinger sie einmal über sie ausgesagt hat: Sie ist der perfekte Ausdruck des Zeitgeistes. Wie Merkels Charakter zu sein scheint trifft exakt die Art, wie große Teile der heutigen Bevölkerung sind. Man könnte sie mit einem Satz so beschreiben:  

Unmännliche Verschwommenheit und Formverzicht wird zum Paradigma dessen, was als Liebe akzeptiert wird, Urteilsfestigkeit ist bestenfalls der reaktiven Notwendigkeit einer ultimo ratio geschuldet. 

Nicht wirklich schöpferisch, sondern vorsichtig, bis sie sicher sind, auf der richtigen Seite zu stehen, um mit dieser Macht im Rücken (die als einzigen Punkt der Akzeptanz zu sehen eine immanente Entwicklung demokratischer Gesellschaften ist, wie Tocqaueville so brillant analysiert) nun eben jenes "Profil" des Zeitgeists zu zeigen. Nicht mutig, aber abe reinem gewissen Druckpuntk des Rückstaus dafür überbordend tollkühn, um denn doch eine radikale Änderung herbeizuführen, die die Fundamente erschüttert. Tatkraft wird der Gegenwart zur Simulation, zum positivistischen Radikalumsturz. Sie verbirgt diese Willkür, diese zufällige, rationalistisch abgesicherte "Alternativlosigkeit" aber als Ergebnis einer exakten Rechenaufgabe, die aus der Begrenztheit des Rationalistischen heraus tatsächlich "Rationalität" vorzutäuschen vermag. Die Wucht und Durchsetzungsstarrheit entstammt der mathematisch belegten "Alternativlosigkeit", über der freilich immer die dunkle Wolke der Verdammnis schwebt, die andernfalls droht. Das hat es Merkel möglich gemacht, Maßnahmen* durchzusetzen, die in ihrer Reichweite und Folgentiefe Deutschland bis in seine Grundfesten umgebaut hat - und kaum jemand hat es vorerst gemerkt!

Politik ist deshalb fast überall zu einem bloßen Reagieren geworden, zu einer Abwehr von Katastrophen. Weil auch Merkel eines ganz sicher nicht kennt, ja weil Merkel nur deshalb aufgestiegen ist, weil sie hautnah und immer weider erlebt hat, daß schöpferisches Tun und Handeln immer eine Gratwanderung bedeutet, die auch ein Scheitern möglich macht. Das wird Angela Merkel, die Volker Pispers treffend so charakterisierte: "Mir nach, ich folge Euch!", vermeintlich nie passieren.

Und doch wird sie genau daran scheitern.



*Nur einige dieser extrem tiefgreifenden, langfristig und kaum noch jemals korrigierbaren politischen Entscheidungen, die die Regentschaft von Merkel sachlich zu einer wahren Katastrophe für Deutschland machen, seien angeführt: ESM, Abschaffung der Wehrpflicht, Familienpolitik (meinen die Autoren der nämlichen Biographie; der VdZ übernimmt diesen Punkt, den er nicht aus Augenschein bewerten kann), die Energiewende, und nicht zuletzt der Bevölkerungsaustausch durch Zuwanderung. Einige weitere Entscheidungen (etwa das TTIP) sind bereits eingeleitet.





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