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Sonntag, 27. November 2016

Wucherer und Sodomiten

Im 11. Jhd. erstmals artikuliert, im 12. bekräftigt, war die Haltung der Kirche bis ins 15. Jhd. hinein hinsichtlich Zinsnahme - "Wucher" - ganz eindeutig, allseits bekannt und akzeptiert: Sie war nicht nur verboten, sondern per Exkommunikation als Todsünde gebrandmarkt, die bei einer Beichte nicht vergeben werden konnte, sondern erst die Rückkehr zuhr Kirche brauchte. Samt einer Wiedergutmachung des angerichteten Schadens, also der Rückgabe der angenommenen Zinsen.

Es gab nur ganz wenige Ausnahmen. Etwa die, daß es erlaubt war, eine Art "Strafzahlung" zu vereinbaren, sollte ein Schuldner das ihm geliehene Geld nicht pünktlich zurückzahlen, und dem Gläubiger damit ein Schaden entstehen. Aber damit hatte man doch wieder eine Tür aufgetan, die geschickte Kaufleute und Bankiers mit viel sophistischem Geschick zu nützen verstanden. Denn man konnte einen Wechsel schon so ausstellen, Bedingungen schon so vereinbaren - zum Beispiel in anderen Währungen, oder an anderen Orten - daß er nicht pünktlich bezahlt werden KONNTE. Die Konstruktionen der Bankiers in Florenz oder Mailand und Siena wurden immer phantasievoller.

Das ewig gleiche Schema

Wie immer war die Entwicklung der Wirtschaft auch in Oberitalien im selben Schema verlaufen: Erst war da die Produktion, die immer arbeitsteiliger wurde, dann der Handel, damit die Konkurrenz von Gebieten mit unterschiedlichen Bedingungen, damit unmenschlich niedrige Löhne die man nur noch als "Kosten" betrachtete (also Wirtschaft nicht mehr vom Blickwinkel des Gemeinwohls her verstand, sondern als Veranstaltung zur individuellen Bereicherung), damit eine Verarmung breiter Bevölkerungssschichten, Arbeitslosigkeit und Unproduktivität, schließlich der Handel mit Geld.

Beginnend mit Ausleihen an Fürsten, die ihre Kriege und ihren Lebenswandel finanzieren mußten, damit die Solidarität der Macht mit ihren Interessen, und endend in Ausleihen an die armen Schlucker, die nur noch mit Krediten überleben konnten und die man selbst produziert hatte und die mit staatlicher Macht niedergehalten wurden, was man mit Schutz des Eigentums begründete. Selbst Hungerrevolten konnte man so bekämpfen. Oder wie im Fall Siena, wo die Arbeiter aus Protest auszogen und nach Florenz gingen, um dort Arbeit zu niedrigen Löhnen anzunehmen. Siena ist danach aus dem Konzert der Großen ausgeschieden. Geblieben sind Familien wie die Medici, reiche Häuser bis heute.*

Geld verdrängte in ganz Europa den alten, feudalen Adel, der noch mit dem Volk eine Einheit gebildet hatte, aber nun verarmte und jeden Einfluß verlor, und die Stadt mit ihrem neuen Patriziertum aus Beamten und Reichen unterwarf sich das Land, das ihm nur noch billige Grundstoffe liefern sollte, um sie veredelt teuer zurückzukaufen. Dem stand ein Fürst gegenüber, der sich das einfache, verarmte Volk mit fallweisen "Wohltaten" gewogen hielt. Nur die Kirche stand noch an der Seite der Menschen und bot mit ihrem Besitz, den Arbeitsmöglichkeiten sowie Sozialeinrichtungen, aber natürlich vor allem mit ihren Lehren, wichtigen Gegenpol. Was sich erst mit der Reformation änderte, der der sittliche Verfall des Klerus den Weg bereitet hatte und den der Kapitalismus eiskalt ausnützte.**

Wucher ist der Sodomie gleich

Das Hauptargument der Kirche war, daß Zinsnahme contra naturam war, also: gegen die Natur. Geld war an sich steril, es konnte also aus sich heraus auch keine Vermehrung nach sich ziehen. Dante stellt dieser Auffassung gemäß auch den Wucherer in dieselbe Hölle wie den Blasphemiker und - den Sodomiten, den Homosexuellen. Beide machten ein Naturelement steril, beide stahlen dem Volk die Zukunft. Der Unterschied ist bei Dante nur so dargestellt, daß der Sodomist pausenlos in Bewegung ist, weil sein Begehren kein Ziel findet, keinen telos hat, also nie zur Befriedigung findet. 

Der Geldleiher als Wucherer hingegen ist statisch, vollkommen unbeweglich. Er sitzt hinter seinem Tisch und nimmt dem Volk dadurch seine Zukunft, als der "Gottes Enkelkind" (wie die Industrie genannt wurde; "Gottes Kind" war die Natur) die Zukunft durch die Zinsbelastung raubt, die ja zusätzliche Arbeit erfordert bzw. deren Frucht vom Arbeitenden ableitet. Geld an sich hat eben keinen Wert, es hat nur Wert durch Arbeit, durch menschliches Tun. Ohne das gibt es praktisch keine Sachwerte, jedes Haus, jedes Grundstück, jedes Stück Gold hat nur Wert in Bezug auf diese Leistung.

Entsprechend schwer waren beide Vergehen, Sodomie und Wucher, zu gewichten. Sie waren nicht nur Diebstahl, sondern Gewalt an der Gesellschaft. Denn auch der Zins entzieht einer Gesellschaft Gemeinwohl und leitet es in die Taschen einiger weniger. Wucher ist deshalb immer eine direkte Ursache eines mittelfristigen Zusammenbruchs einer Volkswirtschaft, wie E. Michael Jones in "Barren Metal" zu zeigen versucht.

Das große Problem waren aber nun Bevölkerungskreise, die diesen Moralcodex der Kirche nicht anerkannten. Das wußte man aber nicht, wenn man mit ihnrn zu tun hatte. Es sei denn - man kennzeichnete sie. Weil sich von der Antike herauf im gesamten Mittelmeerraum vor allem Juden als Geldleiher etabliert hatten, die sogar im Sklavenhandel ungebrochen aktiv geblieben waren, ja teilweise von Kaisern und Königen bewußt und bewußt deshalb nach Europa geholt worden waren, war damit auch Wucher und Jude bald zu einem Synonym geworden. Das Zinsverbot galt ja sogar für die Muslime. Nicht aber für Juden. Also begann man von ihnen zu verlangen, daß sie ein Kennzeichnen trugen - der Judenstern wurde sehr gebräuchlich. Und er wurde ernstgenommen.

Bernhard v. S.
Der Heilige Bernhard von Siena kam 1419 das erste mal in die Lombardei, dem Zentrum des europäischen Frühkapitalismus, und predigte dort, zwei Jahre von einer der reichen Städte nach der anderen und bis hinauf in die heutige Schweiz ziehend. 

So kam er auch nach Padua, und beklagte in seiner dortigen Predigt speziell die zu große Nähe, die sich zwischen Juden und Christen gebildet hatte, sodaß sogar die Kennzeichnung mangelhaft geworden war. Das brachte aber Christen in ernste Gefahren, predigte er. Zumal er sich bei seiner Reise in die Lombardei intensiv mit deren Wirtschaft auseinandergesetzt hatte. Und zu dem Schluß gekommen war, daß der Wucher die häufigen Krisen bewirkte. 

In Siena gab es schwere Probleme, weil sich die weithin berühmten schönen Frauen verschmäht fanden - weil die Homosexualität so verbreitet war. Auch hier stellte Bernhard die deutlichen Zusammenhänge dieser beiden Phänomene fest: Wucher und Sodomie. "Erfolgreiches Geldmachen" führt zu Gier, Stolz, Eitelkeit und Geiz, und das ist der charakterliche Boden für sexuelle Sterilität.

Dabei berief sich die Zinsnahme u. a. auf die Praxis der (späten, hoch kapitalistischen) Antike, die zwar ursprünglich auch den Zins abgelehnt hatte, aber in der Praxis vom Zins bis ins Mark durchdrungen war. Auch das römische Reich war steril geworden.

Viele bekehrten sich, in Perugia gar 17 Geldverleiher auf einmal, und leisteten die entsprechende Gutmachung und Buße. Seine Predigergabe war bald weithin gerühmt. Als Bernhard das erste mal nach Mailand kam, drängte ihn ein Mann, er müsse schärfstens auch gegen den Wucher in der Stadt predigen, der weit verbreitet (und dabei extrem geschickt durch komplizierte Geldprodukte getarnt) war. Bernhard zog Erkundigungen über ihn ein. Es war ein Geldverleiher. Der auf diese Weise hoffte, daß er seine Konkurrenz aus dem Feld stechen konnte.





*Eine erst heuer durchgeführte Untersuchung der Vermögensstrukturen in Florenz erbrachte das erstaunliche Ergebnis, daß sich die wohlhabenden Schichten dieser Stadt 2016 zum allergrößten Teil auf einige dieser spätmittelalterlichen Familien zurückführten.

**E. M. Jones vertritt die Ansicht, daß ein klarer Zusammenhang zwischen der Pest im 14. Jhd. und dem daraufhin einsetzenden geistigen wie sittlichen Verfall des Klerus besteht. Weil sich die Pest überall dort am verheerendsten auswirkt, wo Menschen auf engstem Raum leben, traf es vor allem die Städte - und die Klöster. Ganze Städte, aber auch ganze Klöster wurden entvölkert. Als Folge senkte man die Eintrittskriterien und erleichterte die Ordensregeln, nahm oft "jeden". Das wirkte sich innerhalb weniger Jahrzehnte verheerend aus, und drang über den einfachen Klerus bis zum Papst.





*111016*