Als die beiden Unternehmerpersönlichkeiten Hugo Stinnes und August Thyssen - typische Figuren der Zwischenkriegszeit - in die Rhein-Westfälische-Elektrizitätsgesellschaft (die RWE, die bis heute besteht) einstiegen, ging es dort aufwärts. Zwar behielten die klug eingebundenen Ruhrgemeinden die Aktienmehrheit, aber dreinreden ließen sich Stinnes und Thyssen nicht. Sondern vermehrten mit ungeheurem Instinkt der Gesellschaft und ihr privates Vermögen. Dabei waren beide höchst verschieden. Stinnes war ein hochgewachsener, dünner, puritanischer Patriarch, der mit seiner großen schlanken Frau (die 101 Jahre alt wurde) sieben Kinder in die Welt setzte. Thyssen war ein feister Katholik, der üppige Weiber und derbe Witze bevorzugte. Aber in puncto Geschäfte waren sie beide ähnlich konsequent.
Da kam es schon vor, daß zu einer Vorstandssitzung mit der Aufforderung geladen wurde, Butterbrote mitzunehmen, damit mit dem Mittagessen keine Zeit verschwendet würde. Genau so energisch waren sie, wenn es um offizielle Agenden ging. Ein Jahresgeschäftsbericht samt verkündetem Dividendenbeschluß und Entlastung der Geschäftsführung wurde da schon in einer Minute abgehandelt, um "gleich zum Frühstück, zu dem geladen wird", überzugehen. Sie bauten das Stromnetz auf und immer gewaltiger aus, Umsätze und Gewinne schossen durch die Decke, das sollte bloßen Aktionären gefälligst reichen.
Hugo Stinnes |
Das machte ihn binnen weniger Jahre zum besitzreichsten Mann Deutschlands, ja fast Europas, und sein extrem verschachtelt konstruiertes Unternehmensimperium zum größten Konzern, nein: Trust (der ganze Wirtschaftsbereiche in der Hand hatte), den Deutschland je gesehen hatte. Stinnes war der Prototyp des Inflationsgewinnlers der Nachkriegszeit, und bei der Bevölkerung und der Linken zutiefst verhaßt. "Stinnes kauft ganz Deutschland," hieß es.
August Thyssen |
Entsprechend hatte August Thyssen zu tun, seine Betriebe, die alle dezentral geführt und erst kurz vor seinem Tod 1926 in eine gemeinsame Holding überführt wurden, nach der Scheidung von seiner Frau zu retten. Er überschreib die Betriebe seinen vier Kindern, schloß sie aber von der Geschäftsführung aus.
Kennzeichnend für ihn war, daß er weitgehend seiner ursprünglichen Kernkompetenz treu blieb, und die war Eisen und Stahl. Nur insoweit hatte ihn die RWE bzw. Energie, auch in Form von Kohlebergwerken, interessiert.
Sein Konzern, der einer der größten Stahlkonzerne in Europa geworden war und sämtliche Produktionselemente der Eisenverarbeitung einschloß, ging schließlich in einer Vereinigte Stahlbetriebe AG auf. Diese wurden 1945 aufgrund der Verflechtungen mit Nazi-Deutschland aufgelöst - und neu gegründet. Seine Betriebe bestehen im Grund auch heute noch, und zwar in der Thyssen-Krupp AG.
Ganz anders war Stinnes zu seinem Imperium gekommen, bei dem man ihm vorwarf, ganz Deutschland in einen Trust verwandeln zu wollen. Die Produktion kam nach 1919/20 überall zum Erliegen, und nirgendwo war Kapital, außer ... bei Stinnes. Er hatte sich stets auf den internationalen Handel egal welcher Art und Branche konzentriert, und war für sein Organisationstalent bekannt. Also hatte er immer Diversität verfolgt, und sein Konzern war dementsprechend ein riesiger Gemischtwarenhandel. Stinnes hatte einfach überall seine Finger drin, und hatte vor allem eines: ausländisches Kapital. So kam er nach und nach auch in den Besitz von Rohstoffbetrieben (Bergwerke, Ölförderanlagen) mit vielfachen internationalen Verflechtungen. Also begann er sich auch mehr und mehr für internationale Politik zu interessieren, war dabei deutschnational und ein vehementer Anti-Kommunist, was er sich auch etwas kosten ließ.
Vor einer tieferen Verflechtung in die Politik bewahrte ihn aber die von ihm verfochtene Priorität eines totalen Wirtschaftsliberalismus, in dem er immer den Vorrang der Wirtschaft vor der Politik propagiert hatte. Er hatte deshalb auch kein Problem, sich mit den Gewerkschaften zu einigen, was die Linke noch wütender machte.
Sein Konzern war aber so verflochten, seine Konstruktionen mit Krediten und Anlagewerten so komplex und fragil, daß ihn seine Erben nach Ende nicht halten konnten. Nach Stinnes Tod 1926, der mit dem Ende der Inflationszeiten zusammenfiel, zerfiel auch sein Imperium rasch. Nichts davon ist geblieben. Außer der Frage, ob Hugo Stinnes, dem einmal schon halb Deutschland "gehört" hatte, prototypisch für Finanzkapitalismus überhaupt je reale "Werte" zu schaffen in der Lage, sondern einfach nur "clever" war.
*111016*