Dem gerade zum Papst Johannes XXIII. gewählten Kardinal Roncalli stand Konrad Adenauer sehr distanziert gegenüber. Seiner "menschlichen Art", die ihn in der Weltpresse so beliebt machten, konnte der deutsche Kanzler nichts abgewinnen. Es sei für einen Papst unpassend, wird er zitiert, der habe vielmehr politisch* zu denken, das entspräche seiner Stellung und seiner Aufgabe. Als Adenauer nach dem Besuch beim Papst 1960 auch noch hört, daß Roncalli Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil "aus dem Gefühl der Eingebung heraus" einberufen habe, wird er noch zurückhaltender. So berufe man kein Konzil ein, sagte er, das enorme politische Auswirkungen habe. Noch kritischer wurde er, als er die Veränderungen in der Kirche wahrnahm, die schon zu Zeiten des Konzils einsetzten. Auf den "Verbands- und Vereinskatholizismus" eine Modernisierungswelle zu setzen, würde unabsehbare Folgen der Auflösung haben.**
Die gesellschaftspolitischen Folgen der Art des Roncalli-Pontifikats hat Adenauer (und viele mit ihm) ebenfalls richtig vorhergesehen. Schon 1962 gewinnt in Italien die Kommunistische Partei eine
Million zusätzlicher Stimmen, und auch in Deutschland, Frankreich und
einigen anderen Ländern verlieren die
christlich-demokratischen/-sozialen Parteien deutlich Stimmen an die
Sozialisten, die durch allfällige Sympathien für den Papst aus genuin antikatholischem Milieu nicht wettgemacht werden. Adenauer gibt dem Papst
Mitschuld für die gesellschaftlichen Entwicklungen, nicht nur in Deutschland, der auf eine Annäherung an die Sozialisten und Kommunisten
setzte, ohne die höchst problematischen und mit dem Katholizismus
unvereinbaren, dabei prinzipiellen Punkte ihrer Parteiprogramme
anzusprechen. Ludwig Erhard wird ihm später zustimmen. Natürlich müsse man dem Einzelmenschen Sympathie entgegenbringen, aber das könnte doch niemals für die Doktrin gelten!***
Es gehe da um eine schwere Beschädigung des katholischen Milieus, meinte er. Die politischen Folgen seien desaströs. So würde den Sozialisten Tür und Tor geöffnet, um im katholischen Milieu unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Stimmen zu fischen, vor allem aber die geistige Identität der Menschen aufgelöst, von denen man niemals verlangen könne, daß sie große philosophische Debatten führen und geistige Unterschiede erkennen. Deshalb brauchen sie Identifikationspunkte und -figuren. Man kann die Rolle der Kirche und den Glauben selbst nicht ohne kulturelle Bedingungen sehen.
"Wie ich gesagt habe - er denkt nicht politisch, und das geht einfach nicht. Man kann die Kirche mit ihrer enormen gesellschaftlichen Bedeutung nicht aus dem Gefühl leiten."
*"Politisch Denken" heißt nicht, ständig irgendwelche "Aussagen zur Politik" zu machen (denn die ist Aufgabe der Laien und Politiker, NICHT des Klerus), sondern das eigene Tun und Sagen und Dasein im Rahmen eines Netzes gesellschaftspolitischer Wirkungen, Konstellationen und Gegebenheiten zu sehen. Deshalb ist etwa Papst Franziskus ebenfalls KEIN politischer Denker, handelt aber ständig DIREKT politisch, und tappt dementsprechend von einem Desaster ins nächste.
**Er wird später bestätigt werden; schon 1973 äußert sich Kardinal Frings
erschrocken über das, was er, der selbst so "konzilsbegeistert" gewesen
war, nun beobachtete.
***In dieser Hinsicht muß man klare Verbindungen zwischen der 68er-Revolution und dem Zweiten Vatikanum ziehen. Nicht nur in den USA stammten die Umbrüche von Jungen vorwiegend aus dem ehedem katholischen Milieu. Die ausdrückliche Aufweichung des "Katholischen", die man dem Zweiten Vatikanum ohne jeden Zweifel zuschreiben muß (was sich schon in den Formulierungen vieler Konzilstexte ausdrückt), und die auch der VdZ ganz genau so erlebt hat, hatte eine wahre Explosion der Identität der Menschen zur Folge. Die nun neue Haltepunkte suchten und durch die Selbstverweigerung der Kirche der Verwirrung regelrecht in die Arme getrieben wurden. Francis Wheen spricht in seinem bemerkenswerten Buch über die 1970er sogar von den "Strange days indeed" - einem Ausbruch von Verrücktheiten, der bis in die hohe Politik reichte.
*051016*