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Sonntag, 11. August 2019

Die subversive Psychologie

An diesen Ausführungen von Raffael Bonelli, einem bekannten und als Referenten vielgefragten Wiener Psychiater, läßt sich etwas erkennen. NICHT, wie sein Thema verkündet, "am Narzißmus", sondern am Wesen der Psychologie heutigen Zuschnitts, wie sie in der Post-Freudianischen Tradition steht und sich nolens volens desselben Menschenbildes bedient. Das aber keinen Anhaltspunkt des Absoluten, des Guten bietet. Diese Kriterien sind nahezu zufällig, entsprechend ist auch die Bedeutung im Rahmen einer Pathologisierung hochgespielt und zufällig.

Wir verweisen an diesem Punkt auf einen aktuelleren Vortrag desselben Mannes (über den Flirt). In dem er im letzten Drittel auf einen springenden Punkt kommt, den man nämlich als den eigentlichen Geburtshelfer der Psychoanalyse bezeichnen muß: Die Machtwünsche des Psychologen selbst. Die darin kulminieren, daß zehn Prozent aller Psychologen das eine oder andere Problem mit (sexuellem) Mißbrauch hatten oder haben, den sie ihren "Patienten" angedeihen lassen.  

Wo liegt das Problem aber der Psychologie dieses Zuschnitts, sohin der Psychoanalyse? Es liegt in einer De-Konstruierung des Menschen, der auf Mechanismen reduziert wird, so wie man die Zwischenmenschlichkeit auf Mechanismen reduziert. Im Aufdecken dieser Mechanismen soll nun die Heilung liegen. Was noch gut klänge, wäre das in der Konstellation "Arzt - Patient" folgenlos zu bewerkstelligen. Denn selbstverständlich richtet sich diese Aufklärung nach dem tiefsten Weltbild des "Arztes", das ohne Autoritätsverhältnis niemals auskommt. Der Patient übernimmt immer, auch im medizinischen Sinn, die "gesunde Gestalt" vom Arzt.

Damit wird aber die Gestalt eines Menschen aufgelöst. Nur an ihr aber ließe sich überhaupt so etwas wie Heilung erzielen: In der Selbsttranszendierung darauf hin. Und damit sind wir beim einzigen objektiven Kriterium, dessen sich die Psychologie als Seelenkenntnis bedienen dürfte und darf: Dem Ort, der Aufgabe, der Stellung eines Menschen. Deren Integrität gilt es zu wahren, zu behüten, herzustellen, und im Alltag durchzusetzen. Denn das Leben ist ein Theater der Gestalten, NICHT eines der inneren Antriebe. Diese mögen die Fähigkeit, eine Gestalt zu repräsentieren, zu "spielen", beschädigen, gewiß, und das tun sie auch, gewiß. Aber Anhaltepunkt in der Stellung der Menschen zueinander muß immer diese objektiv vorhandene, strukturelle Verortung stehen.

Entsprechend reduziert sich jedes "psychologische Problem" auf eine Schuldfrage. Nur danach kann geurteilt werden, und nur danach wird Gott urteilen: Ob jemand seine Aufgaben treu und sachzentriert erfüllt hat. Und zwar TROTZ aller seelischen Landschaften, die er in sich trägt, und die bei jedem, wirklich jedem defiziös sind. Somit bleibt der Anschluß jeder seelischen Problematik ausschließlich in der Wahrheit definierbar und bestimmt.

Jedes, wirklich jedes der von Bonelli hier als Kriterium für "Narzißmus als Persönlichkeitsstörung" (bzw. psychische Erkrankung) läßt sich deshalb auf eine Schuldfrage reduzieren, ja ist nur eine solche. Mehr noch, jedes dieser Kriterien hat in anderer Form als durchaus berechtigte innerseelische Reaktion eine völlig andersartige Begründung und Entstehungsgeschichte, ja kann sogar unter Umständen wirklichen Wert bedeuten.

Das hat gerade in einer Gesellschaft seine enorme Bedeutung, die - wie heute - keine Strukturen mehr bietet, also nicht mehr von Gestalten ausgeht, um die es geht, sondern alles auf "persönliche Fähigkeiten" und Dispositionen zurückführt. Das führt zu einer kollektiven Verunsicherung, in der niemand mehr Ruhe und Sicherheit gewinnen kann, niemand mehr mit deren normaler Form aufwächst, sondern jeder und ständig um eine Position kämpfen muß. Und als Trophäe jeden Tag am Abend bestenfalls eine täglich wieder und wieder zu gewinnende Gestalt in Händen hält. Aber anstatt davon ausgehend weiterzuschreiten, muß er am nächsten Tag erneut dieselbe Sisyphos-Arbeit beginnen. 

Das führt zu einem Kollektivklima nicht nur des Neides, sondern einer autistischen Ignoranz des jeweils anderen ALS GESTALT. Bemerkt, rezipiert wird nur noch nach dem Leid-Lust-Schema. Deshalb hat die Psychologie diese Bedeutung erhalten, die sie heute hat, weil sie das perfekte Instrument ist, Gestalt aufzulösen, so wie sie entstanden ist oder wo sie dabei ist zu entstehen. 

Persönlichkeit kann zum einen nie ohne den Begriff der Heiligkeit gesehen werden. Das trägt sogar die freudianische Psychoanalyse als verborgenen Anspruch in sich. Zum zweiten aber geht sie - wie die Heiligkeit - von einer Bereitschaft zur sachlichen Erfüllung einer Aufgabe einher, die der ORT, also die Gestalt in sich trägt. Seelische Strukturen, egal wie man sie bewertet, müssen also immer "von oben her" gesehen werden, vom Ort, vom Stand, von der Aufgabe her, niemals "von unten her", also von einer egal wie gearteten "seelischen Gesundheit". Die es in dieser Form gar nicht gibt, sondern die eben immer nur in einem Dialog mit der realen Lebensaufgabe, dem Ort gesehen werden kann. 

Deshalb kann sich auch ein psychologisches ("therapeutisches") Gespräch nur an dieser sachlichen Anforderung ausrichten. Dieses geht aber heute von einer Auflösung der seelischen Strukturen aus, die ihren Optimalzustand in einem distanzierten, sogar spielhaften Verhältnis zu diesen Aufgaben zu finden vorgibt, in dem die Gestalt keine Rolle mehr spielt, sondern sich alles in einem lockeren Plauderton erledigt. Ein Plauderton, wie er im letzten aber nur im Verhältnis zu einem möglich und zulässig ist: Zu Gott selbst. Was Freud aber gemacht hat, und worin ihm die Psychologie seither mit wehenden Fahnen gefolgt ist, ist die Besetzung dieser Stelle durch - den Psychiater, Psychoanalytiker, Psychotherapeuten. 

Es gibt deshalb keine Psychologie, die quasi Hilfwissenschaft zur Beichte ist, auf die sogar auch verzichtet werden kann, geht es um "Gesundheit". Gesundheit, als Rückgriff auf Heiligkeit, ist kein Parallelzustand, der ohne Lösung der Schuldfrage möglich ist. (Weshalb auch so viele Heilungen durch Jesus selbst mit den Worten beginnen: "Deine Sünden sind Dir vergeben.") Darin irrt die Psychologie grundsätzlich, darin irrt Bonelli, und darin irrt unsere Zeit. Zugleich liegt darin der Grund für die Popularität dieser Scheinwissenschaft, die schon in ihrer Methodik verrät, daß sie von Seele gar keine Ahnung hat - weil sich letztlich als Naturwissenschaft auffaßt. Man kann Geist nicht mit biologischen Methoden "erforschen". Dazu braucht es vor allem anderen einmal die Dimension der Wahrheit, die auch mehr ist als "Richtigkeiten".

Sonst bleibt nur ihre Entschuldungs-Simulation. Die sich in der Psychologie ein Instrument der Auflösung von Rezeption und Urteil geschaffen hat, wie es sich in der Vita Sigmund Freuds problemlos nachweisen läßt. Die ohne Konfrontation mit der Schuldfrage (aus unsittlichen Haltungen Freuds selbst) zur Auflösung des Gewissens durch Auflösung der Bezugspunkte von Schuld - die sachlich-objektiv im Ort liegen, an dem man steht, also in der Gestalt und deren Erfüllungskriterien - gelangen will.

Und darin liegt auch ihr "Geschäftspotential", ihre Popularität in der Gegenwart. Ob die Psychologie heutigen Zuschnitts deshalb überhaupt sonst einen anderen Wert hat, denn den als Geschäftsmodell, als Instrument einer bestimmten sozialen Schichte, mit dem sie Macht über andere gewinnen können, darf mit Recht stark bezweifelt werden. Denn Schuld ist nicht "ein" psychologisches Problem - schon gar: neben anderen - sondern es ist die Grundproblematik, auf der Gesundheit als Projektion aus Heiligkeitsvorstellungen heraus aufruht. Der Mensch sucht nämlich gar nicht "Gesundheit", sondern "Heiligkeit", auch wenn er das nicht "weiß" oder "wissen will".

Die Psychologie aber muß als das bezeichnet werden, was sie ist: Subversion. Mit einem Erkenntnisgewinn, der sich in der Kategorie befindet, die sich zwischen Lächerlichkeit und banalen "na ned nana"-Gewißheiten bewegt.

Das, wonach sich aber ein Mensch wirklich ausrichtet, was also jede subjektive, im letzten aber Geheimnis bleibende Grammatik mitbestimmt, erschließt sich nur als dieser Sphäre zugehöriges Symbol, damit erst aus der Anthropologie, der Metaphysik, also der Sinndimension des Menschseins überhaupt. Darum herum bewegen sich alle menschlich-psychischen Probleme, wenn man es so bezeichnen will, und daran richten sie sich auch aus.  Aber diese Dimension der Wahrheit kennt die Psychologie gar nicht, ja darf sie gar nicht kennen, so oft sie diesen Begriff auch verwendet: Er ist dort undefiniert, undefinierbar und schwammig, versinkt bestenfalls irgendwo in "Ehrlichkeit". 

Ohne zu sehen, daß es keinem Menschen möglich ist, weder sich selbst gegenüber wie anderen gegenüber, "die Wahrheit" über jemanden zu kennen. Das ist Gott vorbehalten, der Mensch ist zu sehr Geheimnis. Auch ... der Narziß. Der ja genau das nicht glauben will.*

Ohne diese damit auch theologische Dimension der Wahrheit, die personal ist, die also ein aktives, wechselseitiges wie (nicht zuletzt über die Gnade, ohne die kein Seiendes bestehen kann) wechselwirkendes Gespräch jedes Menschen, jeder Seele ist, kann es eine Seelenkenntnis also gar nicht geben, die über das typisch liberalistische, objektiv weitgehend bedeutungslose "Lust-Leid-Schema" evolutionistischer Weltverkennung hinausgeht und damit irgendetwas wenigstens wert sein will. Erst dort liegt dann der Schlüssel zu dem, was ansonsten nur vorgetäuscht wird: Freiheit. Denn Freiheit ist eine Frage des Heiligen, nicht des "Gesunden".







*Nur eine Ausnahme sei mit Vorbehalten angeführt: Die Logotherapie. Die streng genommen aber weder Psychologie noch Therapie ist, sondern lediglich zum Schritt zur Offenheit der Wahrheit gegenüber helfen kann, der aber letztlich inhaltlich undefiniert bleibt. Im letzten bleibt jeder Mensch ein Geheimnis, das nur Gott als das Absolute Wissen kennt.