In diesem Vortrag, gehalten 2019 in 
Australien, geht Jordan Peterson auf die Tatsache ein, daß es im Leben 
der meisten älteren Menschen, die auf ihr Leben blicken, weniger das 
Problem gibt, was sie FALSCH gemacht haben. Sie bereuen viel mehr das, 
was sie NICHT gemacht haben. Das Bewußtsein, so Peterson, scheint sich 
also vor allem mit dem zu befassen, was es an Möglichkeiten gibt, die 
nicht realisiert wurden.
Nachdem
 der Kanadier aber Evolutionist ist, und das auch sein Menschenbild 
prägt, das kein absolutes "Ich" kennt, als Idee, die auf einen Ort 
bezogen durch Selbsttranszendenz ihr Wesen in vorliegendes Material 
hinein wirklicht, rollt er auch diese Frage rein technisch auf. Für die 
ihm eine letzte, eine absolute Begründung, die ja sogar eine Pflicht 
ergäbe, natürlich fehlt: Es fehlt der logos, der Sinn. Der sich wie beim
 Liberalismus eben als grundlegend postuliert, aus dem Lust- und 
Unlust-Gefühl als maßgeblicher Richtlinie gespeist wird. Daraus, so der 
Liberalismus, ergibt sich dann ein gesellschaftlich ausgewogenes Ganzes,
 das durch die Kräfte der Selbstdurchsetzung gesteuert wird.
Heil
 kommt deshalb aus der pragmatisch begründeten Pflicht, sich "egoistisch"
 durchzusetzen. Und darum geht es Peterson letztlich auch in allen 
seinen Lebensratschlägen, die ihn so berühmt gemacht haben. Er will 
einen Weg zeigen, wie diese Kräfte des Egoismus ein dennoch stimmiges 
Ganzes ergeben, in dem auch soziale Gedanken pragmatischen Wert für das 
Individuum haben. 
Auf
 dem Weg zu einem erfüllten Leben der Selbstverwirklichung geht es also 
darum, zu sehen, was für Möglichkeiten man hat. Um dann Wege zu suchen, 
dies umzusetzen. Ein hoffnungsloses Unterfangen, wir greifen gleich in 
der Kritik vor. Denn es ist NICHT die Möglichkeit, die unser Leben 
definiert, sondern es ist zuerst der Anruf aus dem Begegnenden, den wir 
beantworten müssen. Selbst, wenn es dabei um wenig Lustvolles geht, und 
selbst wenn wir gar nicht wissen, wozu das gut sein soll. Diese 
Hineingeborgenheit in die Vorsehung Gottes also fehlt Peterson, und sie 
macht alles, was er sagt, letztlich zu einer Teestundenplauderei, bei 
der man sich am Schluß fragt, was er denn nun gesagt hat, und was davon 
wirklich bleibt.
Kann
 man etwas von ihm mitnehmen? Vielleicht. Vielleicht in den Bereichen, 
wo er ungeplant und oft im Nebeneffekt zu denselben Wegen anleitet, die 
die Logotherapie beschreiten würde. Wo es darum geht, sich das Geräusch 
im Kopf Stück für Stück vorzunehmen und auf seinen Wirklichkeitsgehalt 
zu foltern. Sich zu fragen, ob man das, was man im Kopf an 
Herumgeisterei antrifft, all die Worte, Sätze, "Gewißheiten", 
Wahrheiten, ob man die denn wirklich "glaubt". Ob man die wirklich für 
wahr hält. Und ob sie einer Wirklichkeitsprüfung standhalten. 
Denn
 die meisten Menschen, ja zuzeiten alle, fallen in eine Gewohnheit, in 
der sie das innere Plappern, das sie irrtümlich für "Gedanken" halten, 
für Realität halten. Weil sie es nämlich so wollen. Warum? Weil die 
Begegnung mit der Wirklichkeit immer auch etwas Schmerzliches hat, zu dem
 man sich überwinden muß. Diese Überwindung "leichter" zu machen kann 
man als eine der Intentionen Petersons sehen, wenn man ihm und seinen 
Lebensratschlägen wohl will. In denen er dieser Selbstüberwindung 
rationale Argumente liefern möchte, die es einem erleichtern sollen, ihr 
beizutreten, sich dazu zu entschließen. Das hat gewiß manchen 
pragmatischen Wert, sich zu fragen, ob man die innere Sperre, das zu 
machen, von dem man weiß, daß es richtig wäre, nicht aus den und jenen 
Gründen überwinden sollte, weil das Ergebnis des Handelns im anderen 
Fall doch nicht gerade befriedigend wäre. Also hätte es doch Sinn, auch 
ein gewisses Risiko einzugehen, das Risiko der Selbstüberschreitung, das
 immer ein Hinausgehen in ein Unbekanntes ist?
Das
 ist auch das Wesen der archetypischen Muster, die sich in der 
Dramaturgie praktisch aller Kunstwerke (Peterson hat ja auch viele Filme
 besprochen) wiederfinden. Wo es im Abklang des ersten Aktes 
(Exposition) darum geht, dem leichteren, scheinbar naheliegenderen, 
konventionellen Weg zu folgen - wir vereinfachen -, um dann zwar erst 
dessen Erfolg zu erleben. Aber auch zu erleben, daß in diesem Erfolg ein
 schwerer Pferdefuß enthalten ist, der dazu angelegt ist, einem genau 
das, was man vermeiden wollte, erst recht anzutun: Einem das Leben aus 
der Hand zu nehmen. Es kommt zur Katastrophe (dramaturgisch gesehen), 
und in dieser Katastrophe, dieser Nacht, streckt sich einem nur Eines 
entgegen: Das Dunkel, das Nicht-Sichtbare, das nur vom Wort begleitet 
ist: Es ist das Richtige. In dieser Peripetie (Umwendung) nun 
entschließt sich der durch das üble Schicksal "gezwungene" Mensch zu 
diesem Schritt ins Unbekannte, nur geleitet vom Wahren (als Richtigen, 
als Guten), und sieht, daß dieses tatsächlich zu einem Erfolg führt, den
 er zwar von Anfang an wollte, zu dem er sich aber nicht entschließen 
hatte können. 
Das
 ist, in einer Nußschale, der Kern jeder Dramaturgie, weil es der Kern 
der individuellen Geschichte ist. Ein geglücktes Leben (was nicht heißt,
 daß es ein Leben voller Lustgefühle ist!) bedeutet sohin, sich diese 
Entschlossenheit zum Schritt ins Richtige, ins Gute, aber im Ausgang 
nicht Gekannte (!), auch nicht Sichere, gewissermaßen "anzutrainieren". 
So daß es zur Haltung (des Mutes) wird. Darin kann man dann auch von 
Tugend sprechen, als dieser Haltung zum Guten, zum Wahren - und das 
heißt vor allem: Zum Schönen als dessen Gestalt, aber auch als Gefüge, 
als Ordnung, innerhalb deren jedes Teil, das man in Händen hält, ein 
harmonisches, ein ästhetisches Beziehungsgefüge hat. Die Schönheit einer
 Melodie ergibt sich NUR aus diesen Beziehungen, nicht aus der Tatsache 
einzelner Töne! Diese im eigentlichen Sinn "Beziehungsarbeit" aber, die 
haben wir selbst zu leisten. Und das ist es, was wir dann "sittlich" 
nennen können. 
Solcherart
 können wir von einem guten, richtigen, wahrhaftigen Handeln erst (beziehungsweise
auch) in dem Moment sprechen, wo das, was wir tun im Rahmen einer 
Melodie "gut klingt". 
Wenn
 etwas an Petersons Ausführungen "gut klingt", dann immer dort, wo es 
sich mit dieser absoluten, wesensgemäßen Sicht des Menschen deckt. Aber 
es wäre fatal zu meinen, er könnte es auch wirklich begründen. Das kann 
er nur im Rahmen einer relativistischen Sicht, einer liberalen Sicht, wo
 auch seine philosophische Kritik (die im Falle des Postmodernismus 
sogar ziemlich zutreffend ist) ihre Zutreffendheit hat, aber immer nur 
daran orientiert ist, wo etwas persönlich "schmerzt", also Unlustgefühle
 produziert. Das sieht man am besten, wenn man die Sache, deretwegen 
Peterson überhaupt so in die Kritik kam - der Frage nach einer 
gegenderten, "sensiblen" und "variabilitäts-gerechten" Sprache, die in 
Kanada per Gesetz verordnet wurde. 
Die Peterson nur in 
subjektiver Unlust verankern kann, sich nicht aufdiktieren lassen zu 
wollen, wie er zu sprechen habe. Um dann bei anderer Gelegenheit zu 
zeigen, daß er gar keine in der Sache selbst gegründeten Argumente dafür
 hat! Man lasse sich da nicht täuschen, was immer auch über "biologische
 Fakten" zur Geschlechterfrage redet, wird der Gender-Frage nicht 
gerecht. Denn neben biologischer Vorgeprägtheit ab dem Zeitpunkt der 
Zeugung (soweit läßt es sich biologisch noch feststellen), ist das, 
was den Menschen zum Menschen macht, die Selbstüberschreitung auf eine 
Idee hin! Das heißt, daß es sehr wohl ein soziales Gerüst, ein soziales 
Gerüst zur Geschlechterfrage (Mann und Frau-Polarität) gibt, das in 
einer Kultur real und präsent sein muß, das sogar einen normativen, 
imperativen, ja autoritativen Wert haben muß. Weil sich sonst der Mensch
 prinzipiell selbst verfehlt, der sich nicht erreicht, indem er "auf 
sich" starrt, sondern in dem er gerade nicht auf sich starrt, sondern 
sich an eine sachliche, konkrete Aufgabe hingibt.
Morgen Teil 2)
*040719*
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