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Mittwoch, 28. August 2019

Vom Wesen des Guten Handelns (1)

In diesem Vortrag, gehalten 2019 in Australien, geht Jordan Peterson auf die Tatsache ein, daß es im Leben der meisten älteren Menschen, die auf ihr Leben blicken, weniger das Problem gibt, was sie FALSCH gemacht haben. Sie bereuen viel mehr das, was sie NICHT gemacht haben. Das Bewußtsein, so Peterson, scheint sich also vor allem mit dem zu befassen, was es an Möglichkeiten gibt, die nicht realisiert wurden.

Nachdem der Kanadier aber Evolutionist ist, und das auch sein Menschenbild prägt, das kein absolutes "Ich" kennt, als Idee, die auf einen Ort bezogen durch Selbsttranszendenz ihr Wesen in vorliegendes Material hinein wirklicht, rollt er auch diese Frage rein technisch auf. Für die ihm eine letzte, eine absolute Begründung, die ja sogar eine Pflicht ergäbe, natürlich fehlt: Es fehlt der logos, der Sinn. Der sich wie beim Liberalismus eben als grundlegend postuliert, aus dem Lust- und Unlust-Gefühl als maßgeblicher Richtlinie gespeist wird. Daraus, so der Liberalismus, ergibt sich dann ein gesellschaftlich ausgewogenes Ganzes, das durch die Kräfte der Selbstdurchsetzung gesteuert wird.

Heil kommt deshalb aus der pragmatisch begründeten Pflicht, sich "egoistisch" durchzusetzen. Und darum geht es Peterson letztlich auch in allen seinen Lebensratschlägen, die ihn so berühmt gemacht haben. Er will einen Weg zeigen, wie diese Kräfte des Egoismus ein dennoch stimmiges Ganzes ergeben, in dem auch soziale Gedanken pragmatischen Wert für das Individuum haben. 

Auf dem Weg zu einem erfüllten Leben der Selbstverwirklichung geht es also darum, zu sehen, was für Möglichkeiten man hat. Um dann Wege zu suchen, dies umzusetzen. Ein hoffnungsloses Unterfangen, wir greifen gleich in der Kritik vor. Denn es ist NICHT die Möglichkeit, die unser Leben definiert, sondern es ist zuerst der Anruf aus dem Begegnenden, den wir beantworten müssen. Selbst, wenn es dabei um wenig Lustvolles geht, und selbst wenn wir gar nicht wissen, wozu das gut sein soll. Diese Hineingeborgenheit in die Vorsehung Gottes also fehlt Peterson, und sie macht alles, was er sagt, letztlich zu einer Teestundenplauderei, bei der man sich am Schluß fragt, was er denn nun gesagt hat, und was davon wirklich bleibt.

Kann man etwas von ihm mitnehmen? Vielleicht. Vielleicht in den Bereichen, wo er ungeplant und oft im Nebeneffekt zu denselben Wegen anleitet, die die Logotherapie beschreiten würde. Wo es darum geht, sich das Geräusch im Kopf Stück für Stück vorzunehmen und auf seinen Wirklichkeitsgehalt zu foltern. Sich zu fragen, ob man das, was man im Kopf an Herumgeisterei antrifft, all die Worte, Sätze, "Gewißheiten", Wahrheiten, ob man die denn wirklich "glaubt". Ob man die wirklich für wahr hält. Und ob sie einer Wirklichkeitsprüfung standhalten. 

Denn die meisten Menschen, ja zuzeiten alle, fallen in eine Gewohnheit, in der sie das innere Plappern, das sie irrtümlich für "Gedanken" halten, für Realität halten. Weil sie es nämlich so wollen. Warum? Weil die Begegnung mit der Wirklichkeit immer auch etwas Schmerzliches hat, zu dem man sich überwinden muß. Diese Überwindung "leichter" zu machen kann man als eine der Intentionen Petersons sehen, wenn man ihm und seinen Lebensratschlägen wohl will. In denen er dieser Selbstüberwindung rationale Argumente liefern möchte, die es einem erleichtern sollen, ihr beizutreten, sich dazu zu entschließen. Das hat gewiß manchen pragmatischen Wert, sich zu fragen, ob man die innere Sperre, das zu machen, von dem man weiß, daß es richtig wäre, nicht aus den und jenen Gründen überwinden sollte, weil das Ergebnis des Handelns im anderen Fall doch nicht gerade befriedigend wäre. Also hätte es doch Sinn, auch ein gewisses Risiko einzugehen, das Risiko der Selbstüberschreitung, das immer ein Hinausgehen in ein Unbekanntes ist?

Das ist auch das Wesen der archetypischen Muster, die sich in der Dramaturgie praktisch aller Kunstwerke (Peterson hat ja auch viele Filme besprochen) wiederfinden. Wo es im Abklang des ersten Aktes (Exposition) darum geht, dem leichteren, scheinbar naheliegenderen, konventionellen Weg zu folgen - wir vereinfachen -, um dann zwar erst dessen Erfolg zu erleben. Aber auch zu erleben, daß in diesem Erfolg ein schwerer Pferdefuß enthalten ist, der dazu angelegt ist, einem genau das, was man vermeiden wollte, erst recht anzutun: Einem das Leben aus der Hand zu nehmen. Es kommt zur Katastrophe (dramaturgisch gesehen), und in dieser Katastrophe, dieser Nacht, streckt sich einem nur Eines entgegen: Das Dunkel, das Nicht-Sichtbare, das nur vom Wort begleitet ist: Es ist das Richtige. In dieser Peripetie (Umwendung) nun entschließt sich der durch das üble Schicksal "gezwungene" Mensch zu diesem Schritt ins Unbekannte, nur geleitet vom Wahren (als Richtigen, als Guten), und sieht, daß dieses tatsächlich zu einem Erfolg führt, den er zwar von Anfang an wollte, zu dem er sich aber nicht entschließen hatte können. 

Das ist, in einer Nußschale, der Kern jeder Dramaturgie, weil es der Kern der individuellen Geschichte ist. Ein geglücktes Leben (was nicht heißt, daß es ein Leben voller Lustgefühle ist!) bedeutet sohin, sich diese Entschlossenheit zum Schritt ins Richtige, ins Gute, aber im Ausgang nicht Gekannte (!), auch nicht Sichere, gewissermaßen "anzutrainieren". So daß es zur Haltung (des Mutes) wird. Darin kann man dann auch von Tugend sprechen, als dieser Haltung zum Guten, zum Wahren - und das heißt vor allem: Zum Schönen als dessen Gestalt, aber auch als Gefüge, als Ordnung, innerhalb deren jedes Teil, das man in Händen hält, ein harmonisches, ein ästhetisches Beziehungsgefüge hat. Die Schönheit einer Melodie ergibt sich NUR aus diesen Beziehungen, nicht aus der Tatsache einzelner Töne! Diese im eigentlichen Sinn "Beziehungsarbeit" aber, die haben wir selbst zu leisten. Und das ist es, was wir dann "sittlich" nennen können. 

Solcherart können wir von einem guten, richtigen, wahrhaftigen Handeln erst (beziehungsweise auch) in dem Moment sprechen, wo das, was wir tun im Rahmen einer Melodie "gut klingt".

Wenn etwas an Petersons Ausführungen "gut klingt", dann immer dort, wo es sich mit dieser absoluten, wesensgemäßen Sicht des Menschen deckt. Aber es wäre fatal zu meinen, er könnte es auch wirklich begründen. Das kann er nur im Rahmen einer relativistischen Sicht, einer liberalen Sicht, wo auch seine philosophische Kritik (die im Falle des Postmodernismus sogar ziemlich zutreffend ist) ihre Zutreffendheit hat, aber immer nur daran orientiert ist, wo etwas persönlich "schmerzt", also Unlustgefühle produziert. Das sieht man am besten, wenn man die Sache, deretwegen Peterson überhaupt so in die Kritik kam - der Frage nach einer gegenderten, "sensiblen" und "variabilitäts-gerechten" Sprache, die in Kanada per Gesetz verordnet wurde. 

Die Peterson nur in subjektiver Unlust verankern kann, sich nicht aufdiktieren lassen zu wollen, wie er zu sprechen habe. Um dann bei anderer Gelegenheit zu zeigen, daß er gar keine in der Sache selbst gegründeten Argumente dafür hat! Man lasse sich da nicht täuschen, was immer auch über "biologische Fakten" zur Geschlechterfrage redet, wird der Gender-Frage nicht gerecht. Denn neben biologischer Vorgeprägtheit ab dem Zeitpunkt der Zeugung (soweit läßt es sich biologisch noch feststellen), ist das, was den Menschen zum Menschen macht, die Selbstüberschreitung auf eine Idee hin! Das heißt, daß es sehr wohl ein soziales Gerüst, ein soziales Gerüst zur Geschlechterfrage (Mann und Frau-Polarität) gibt, das in einer Kultur real und präsent sein muß, das sogar einen normativen, imperativen, ja autoritativen Wert haben muß. Weil sich sonst der Mensch prinzipiell selbst verfehlt, der sich nicht erreicht, indem er "auf sich" starrt, sondern in dem er gerade nicht auf sich starrt, sondern sich an eine sachliche, konkrete Aufgabe hingibt.

Morgen Teil 2)