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Samstag, 17. August 2019

Filmempfehlung (1)

Diesmal soll das Augenmerk auf einen bemerkenswerten südkoreanischen Monumentalfilm aus dem Jahre 2017 gelenkt werden. Mit "Namhanseong" oder "The Fortress" (auch die deutsche Synchronisation läuft unter diesem Titel) ist nämlich eine bewegende, feinfühlige Aufarbeitung eines Grundthemas des Menschen gelungen, der immer wieder zwischen kurzfristigem, zählbarem, irdischem und irdisch gedachtem Nutzen und dem Ewigen wählen muß, das zwar nicht immer das bedeutet, was "Erfolg" oder "physisches Leben", aber dafür wirkliches Leben. Wie sehr das kein fiktiver, idealisierter Wert ohne Substanz ist, erlebt man leider erst dann, wenn es zu spät ist. 

Damit wird deutlich, daß der Mensch aus ganz anderen, geistigen Gefilden lebt als die bloß physische Welt es zu tun scheint. Brechen diese Ewigkeitswerte ein, in denen aber die Welt selbst verankert ist, bricht auch das physische Leben zu einem Leben der Unfreiheit, Würdelosigkeit und des bloß viehischen, ja sklavischen Vegetierens. Nur in der Treue zum Ewigen bleibt ein Mensch wie ein Volk schöpferisch und hat eine Zukunft. Und dieses Ewige ist in den höchsten Organen eines Staates fundiert. Sie müssen es einem Volk sichern. Tun sie das nicht, ordnen und regieren sie die Staatsangelegenheiten nur nach irdischem Nutzen, bricht auch der innere Geist eines Volkes, und es wird niedrig, bestenfalls noch technizistisch.

Worum geht es konkret? Um ein historisches Ereignis, das sich im Jahre 1637 fünfundzwanzig Kilometer nördlich von Seoul in Südkorea abgespielt hat. Ein koreanischer König der Joseon-Dynastie, dessen Reich in der chinesischen Ming-Dynastie als überspannenden Kaiser- und Reichsbogen eingegliedert war, hat sich angesichts des Vormarsches mächtiger, einbrechender Heere der Mandschu (Mandschurei), die ganz China bedrohen, mit seinem Hofstaat und 13.600 Soldaten in die Festung Namhanseon zurückgezogen. Die ist gut ausgebaut, aber diesmal dauert die geschlossene Belagerung besonders lang, auch durch den extrem harten Winter 1936/37.  Die Lage wird immer bedrohlicher. Die Lebensmittel gehen aus, die Kälte macht den Soldaten das Leben zur (kalten) Hölle. 

Nur eine Hoffnung besteht noch: Daß chinesische Ming-Heere aus dem Süden anrücken und den Belagerungsring brechen, wie vereinbart, wie versprochen. Aber die Verstärkung kommt nicht, letztlich durch menschliche Niedrigkeit und Verrat, und die Mandschu-Heere lassen sich Zeit, um einen vernichtenden, technisch überlegenen Eroberungsschlag vorzubereiten. In dieser Bedrohungslage machen sie immer wieder Angebote an die Eingeschlossenen, denen gemäß eine Unterwerfung unter den mandschurischen Khan (Kaiser) eine sofortige Beendigung der Belagerung nach sich zöge, deren Ausgang andererseits immer gewisser zu werden scheint, zumindest wächst die Angst: Vernichtung aller in der Festung Eingeschlossenen und völlige Unterwerfung des übrigen Volkes.

In den Ratssitzungen brechen immer wieder Diskussionen aus, was zu tun sei. Es bilden sich bald zwei Lager, deren eines, rund um einen Minister, der thematisch gewiß die Hauptfiguren des Films darstellt, lieber sterben möchte als die Ehre aufzugeben, also dem chinesischen Kaiser wie der eigenen Freiheit und den eigenen Göttern untreu zu werden, um sich der Fremdherrschaft - mit anderen Göttern! - zu unterwerfen. Der Rettungsplan des Ministers, der einen tapferen Schmied mit einer Botschaft an die (hoffentlich) nicht mehr weit entfernten Entsatzheere losgeschickt hat, schlägt fehl, aber noch ehe das gewiß wird entscheidet sich der König, dem Vorschlag eines Beraters zuzustimmen, und dem Mandschu-Kaiser seine Unterwerfung anzubieten. 

Die dieser unter auferlegten erniedrigenden Bedingungen auch akzeptiert, und den Sturm auf die Festung abbrechen läßt, sodaß tatsächlich viele überleben. Aber wie ...! Die Unterwerfungszeremonie macht schließlich allen klar, daß dieses nunmehr gewonnene Leben gar kein Leben mehr ist. Daß sie das Feuer, das Leben erst zu Leben macht, mit dieser Untreue, mit diesem niedrigen Pragmatismus ausgelöscht haben. Das Volk wird vielleicht weiterleben, aber es wird nie mehr es selbst sein. Eine Zukunft im "Frieden" kann es nur geben, wenn die Vergangenheit ausgelöscht wird und nicht mehr wirkmächtig existiert. 

Als der König sein Haupt vor dem neuen Herrscher zu Boden beugt, neunmal, wie verlangt, wird schlagartig allen bewußt, was sie nun verloren haben. Der Minister, der der Zeremonie sowieso fernbleibt, begeht gleichzeitig Sepuko, den zeremoniellen Selbstmord durch das Schwert. Der Hof kehrt anschließend in den Palast zurück, aber der ist leer, ohne Leben, ein nacktes Gebäude. Die Höflinge haben ihr physisches Leben gewonnen, aber um den Preis des Lebens selbst, ja um den Preis des ganzen Staates.

Hinkünftig dürften sie zwar noch Regierung spielen, aber "sein"? Und das Volk kann spielen, als ob es noch einen König hätte. Aber es hat gar keinen mehr. Nicht zufällig schließt sich das Tor, als alle in den leeren Königspalast eingetreten sind. Das organische, von- und mit- und ineinander lebende Ganze ist zerstört, fortan existieren nur noch Stücke. Regierung. Volk. Was zu geschehen hat, sagen sowieso die Mandschu.

Mit dem König, der an sich denkt anstatt an sein Amt, der an die "überzeugenden Argumente" glaubt, das Leben des Volkes sei ohne seine Ehre rettenswert, bricht alles. Die moderne Welt kennt keine Zuverlässigkeit, sie kennt nur Pragmatismen, Situationsethik. Wie in einem Nachspann erzählt wird, halten die Manschu nicht einmal Wort. 500.000 Koreaner werden damals bald darauf in die Sklaverei geführt. Das Königsopfer ist nämlich in jeder Hinsicht wertlos.

Morgen Teil 2) Eine Metapher auf unsere Zeit