Das Interessanteste dieses Vortrages des Historikers Karlheinz Weißmann (dessen Buch über den Nationalsozialismus wieder einmal empfohlen werden soll) kommt gleich zu Beginn. Wenn er sechs historische Zitate vorträgt, deren Urheber wie so oft überraschen. Aber ein wunderbares Beispiel dafür geben, auf welchem moralischen, geistigen Konsens diese unsere Gegenwart aufgebaut worden war. Ein Konsens, eine Gemeinsamkeit der grundlegenden Haltungen, die eine demokratische Auseinandersetzung überhaupt erst sinnvoll machen.
Weil sie Demokratie niemals als Machtkampf von Denkweisen begreifen und begriffen haben, die der gerade per Volksentscheid herrschenden Mehrheit die Möglichkeit gibt, Entscheidungen zu treffen, die außerhalb eines von allen (!) mitgetragenen Konsens über Lebensweise und Haltungen liegen. Josef Pieper weist ja einmal darauf hin, daß unsere Demokratien sich auf einem gefährlichen Weg befinden. Wo die Diskursgemeinschaft sich zu einer Gewaltgesellschaft entwickelt hat, wo jeweils die einen über die anderen herrschen und sich auch gegen die Haltungen der Minderheiten hinwegsetzen zu können meinen. Dies hat heute zur aktuell massivsten Gefahr geführt, die bereits so gewöhnlich wurde - Stichwort: "frog boiling"* - daß wir sie gar nicht mehr als Außergewöhnlichkeit bemerken: Wo eine Gruppe die andere mundtot macht, und es niemandem mehr auffällt, daß es sich hier um eine strukturelle Verschiebung der Gewaltlegitimation handelt, in der eine neue Privilegiertenschichte entstanden ist, die mehr darf als andere. Und im besonderen die Legitimation an sich reißt, sämtliche Meinungslandschaften und -ebenen zu kontrollieren.
Die sachlichen Grundlagen, auf die die Zitate verweisen, haben heute unverändert Gültigkeit, sie sind im Absoluten verankert. Verändert hat sich nicht die Sache somit, sondern das Irrationale, die emotionale Haltung dazu. Die heute als skandalös sieht, was vor gar nicht so langer Zeit allgemeiner Konsens der Geister aller Richtungen war. Die vor allem aber eines einte: Die Verwurzelung in Geschichte und Substanz des Lebens des Volkes, dem sie entstammen. Darunter sind nicht wenige Personen, die in der Zeit des Nationalsozialismus selbst verfolgt worden waren - und dennoch heute als "rechtsradikal = nationalsozialistisch" verunglimpft werden. Von Menschen, die nicht die geringste Ahnung haben, was dieser überhaupt bedeutet und wie er sich konkret darstellte.
Aus dieser Unkenntnis heraus ist es nur ein kleiner Schritt, eben dieselben Wege der Nazis zu beschreiten und sich "dennoch" davon verbal zu distanzieren! Das ist das große Gefahrenmoment der Gegenwart, in der ausgerechnet jene Kreise mit dem Totschlagargument "Rechts/Nazi" flink bei der Hand sind, die exakt die gleichen Wege wie diese beschreiten, um - wie diese - die Welt zu retten und ihrer Utopie zugeformt "besser" zu machen. Wir stehen aber kurz davor, genau dort zu landen, wo wir angeblich "nie mehr wieder" sein sollten. Die Korpora sind dieselben, nur die Etiketten sind vertauscht. Und mehr als begriffsleere Etiketten bietet der gegenwärtige Diskurs ja auch nicht mehr.
Weißmann kann sich - wie wohl viele von uns - aber noch daran erinnern, wie vor wenigen Jahrzehnten das oft kontroversielle Spektrum der Weltanschauungen und Haltungen zu keinerlei Entzweiung dahingehend geführt hatten, daß man nicht mehr "miteinander redete". Vielmehr herrschte ein Klima des "Dauerdisputs", ob an den Küchentischen oder bei Klassenfahrten. Man wußte, wer wie dachte, und das war es dann auch schon. Der alltägliche Lebensvollzug war davon kaum betroffen.
Das ist heute anders. Heute sieht sich sogar die eine Gruppe dazu berechtigt, ja verpflichtet, "erziehend" auf die andere einzuwirken. Denn wer nicht an ihren Auffassungen teilhat, der hat gar kein Recht mehr, in dieser Gesellschaft zu leben, geschweige denn seine Meinung zu vertreten oder sie so zu bilden, daß sie nicht der gesollten Ansicht entspricht. Es wird unter das Diktum der Soll-Moral, der political correctness gestellt, die keine abweichende Haltung mehr zuläßt - auch mit Gewalt, ja mit Hilfe entsprechender Gesetze. Etwas, was vor dreißig, vierzig Jahren undenkbar gewesen wäre.
Das hat interessanterweise in breiten Teilen der Bevölkerung dazu geführt, daß viele Menschen das Gefühl haben, "daß etwas nicht mehr stimmt". 41 Prozent der Deutschen sehen das Umfragen gemäß auch tatsächlich als "neu" und meinen, daß es etwas mit political correctness zu tun hat.
Betrachtet man diese genau, so stellt sie sich als andere Form des marxistischen Kampfes um die Gesellschaftsherrschaft dar. Dabei hat man sich der Minderheiten bedient, die das Vehikel sind, um die Mehrheitshaltungen zu verändern und zu zerstören. Denn im "Dienste" dieser Minderheiten und deren "Benachteiligungen" ist auch Gewalt legitim, und die von dieser Gewalt Betroffenen werden mundtot gemacht. Das revolutionäre Grundkonzept ist alt und gleichgeblieben: Über eine "vorübergehende" Phase der Unfreiheit (für die Mehrheiten) soll der Zustand der Freiheit "für alle" erreicht werden.
Dabei stellten sich die Vorreiter dieser Strategie - die Frankfurter Schule (Marcuse, Adorno etc.) sind dabei zu nennen - nicht eine Diktatur einer Kaderpartei nach altem Muster vor, sondern eine "Erziehungsdiktatur". Diese Revolution würde die Macht an eine Elite übertragen, die natürlich "gut, selbstlos und fortschrittlich" war, die aus den Intellektuellen bestehen sollte, die die dumpfe, unaufgeklärte Masse in eine lichte Zukunft führen soll. So hat es Herbert Marcuse noch in den 1960er-Jahren ("Der eindimensionale Mensch") ganz offen und deutlich ausgedrückt.
Morgen Teil 2) Freiheit außer für die Feinde der Freiheit
*"Frog boiling" ist eine Metapher für den bei Fröschen zu beobachtenden Umstand, daß sie in einen Topf gesetzt, der langsam erhitzt wird, nicht merken, wenn die Temperatur des Wassers für sie lebensgefährlich wird, weil sie sich so lange an die Temperatursteigerung noch angepaßt haben. Bis es zu spät ist. So wird auch unser Denken über weite Strecken in Gleichschritt mit der Zeit und deren Diskursen geprägt und sogar fundamentiert. Wenn wir deshalb keine ausreichende Fundierung in außerhalb des "Topfes" liegenden Anschauungen und Haltungen haben, werden wir die absolute Änderung des Lebensklimas, das uns umgibt, gar nicht feststellen. Bis es zu spät ist.
*250619*
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