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Mittwoch, 7. August 2019

Viel Meinung mit wenig Sinn

Der VdZ gewinnt zunehmend den Eindruck, daß die "allgemeine Angst, seine Meinung zu äußern", die in unseren Ländern zu beobachten ist, nicht über weite Strecken auf einem ganz anderen Zusammenhang beruht als auf dem, daß Meinungen unterdrückt werden. Nämlich darauf, daß dem Druck, zu allem eine Meinung haben zu sollen und zu müssen, etwas grob Unnatürliches anhaftet. Das auf das menschliche, zutiefst innerliche, natürliche Empfinden trifft, nur zu dem eine Meinung bilden zu sollen und damit zu wollen, das eines Lebenskreis unmittelbar betrifft. 

Die meisten Themen, zu denen die Menschen heute Meinungen haben, übersteigen ihren Lebenshorizont bei weitem. So daß sie gar keine Meinung haben, sondern Haltungen und Reaktionen. Für die sie sich oft genug schämen, egal aus welchen Gründen. Also äußern sie sich auf die eine oder andere Weise, von der sie meinen, so zu denken, so zu "meinen", wäre opportun. Wie diese Meinung dann aussieht, hängt von der Gruppe ab, der sie sich zugehörig fühlen. In aller Irrtumsanfälligkeit ob solcher Zugehörigkeiten.

Es ist nämlich eine Beobachtung, daß viele Menschen für etwas "Recht haben" wollen, das gar nicht ihre Meinung ist. Dabei geht es um etwas anderes. Nicht um die Richtigkeit, um die Sache, für die sie mit ihrer Meinung eintreten, sondern um Werte ganz anderer Kategorien, wie die des Austestens, wieweit ihre "Herrgottsbefugnis", also ihre unbedingte Autorität reicht.

Damit hätten wir es im Streit um Meinungen viel eher mit etwas zu tun, das mit dem Zerfall der institutionalisierten sozialen Ordnungen, der Entwurzelung etc. zu tun hat, die dem Menschen abverlangt, sich pausenlos durch "Luft", durch Atmen, durch Sprache sohin im Dasein zu behaupten. Während das Existieren keine substantiellen Selbstwerte mehr vermittelt, weil es in Tätigkeiten erfließt, die einem fremd sind.

Wie aber soll man mit voller Brust eine Haltung einnehmen (und das meint ja: Meinung haben), also ein Urteil fällen, das unser Handeln bestimmt, wenn man gar nicht sicher ist, ob das, was man da vertritt mit einem überhaupt etwas zu tun hat, überhaupt repräsentiert, was man wirklich "denkt", also im Denken des Denkens ahnt? Muß nicht dann alles Selbstäußern unsicher werden? Und jene begleitenden Armeen auffahren, die ungewisses Terrain in doppelter Sicherung durchqueren läßt?

Das gilt nicht nur für den "gewöhnlichen Bürger", oder den "Medienkonsumenten", sondern gleichermaßen für die Meinungsmacher, Nachrichtenkolporteure, Stimmungskanonen vulgo Journalisten. Und wohl auch für viele oder die meisten Politiker. Sie haben keine Meinung. Sie haben nur das dringende Gefühl, daß sie eine haben sollten. Also formulieren sie eine. Und vertreten sie dann vehement, wollen sie dabei vor allem anderen aufoktroyieren.

Leben wir nicht in so einem Land des immer umfassenderen Bullshits, der völlig leeren Wortmeere, in denen alle ertrinken?