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Montag, 13. April 2020

Filmempfehlung

"Noch mehr aber als nach einem ausgiebigen Mahl, sehnten wir uns nach etwas anderem - nach Gemeinschaft, nach einem Leben mit anderen." "Deine Juliet - Dear Juliet" (England, 2018; interessant übrigens der Wechsel in der Übersetzung: Hier ein Abschiedswort, dort eine Anrede!) handelt von einer wunderschönen Brieffreundschaft, die in der Nachkriegszeit spielt, aber immer wieder auf die Kriegszeit zurückgreift und mehr wird.

Und die jede Minute Filmzeit wert ist. Sodaß man am Schluß bedauert, daß der Film zu Ende ist, um sich doch darauf freuen zu können, daß es im zwei-, drei- oder viermaligen Ansehen noch viel zu entdecken geben wird.

Denn "Deine Juliet" ist vor allem eines: Voller Liebe, voller Details, voller Bedachtsamkeit gemacht. Eine Liebesgeschichte außerdem, so voller Poesie, Humor und sanfter Traurigkeit im Glück, wie sie wohl wirklich nur Engländer, richtige Engländer erzählen können. Denn dort gibt es sie, offensichtlich, auch in der Wirklichkeit, doesn't it?

Voller wunderbarer schauspielerischer Leistungen. Was sehr für die Regie spricht, die jedem Charakter den richtigen Rahmen zu geben versteht, so daß jeder aufblitzen kann. Allen voran stehen dabei gar nicht die Proponenten. Die auch, ja. Aber am hellsten strahlen Nebenrollen: Die alleinstehende Enddreißigerin, voller Hoffnung, doch noch eine glückliche eheliche Verbindung zu finden, die sich bald zur besten Freundin der Schriftstellerin entwickelt, dann die Mutter der unsäglich "schandbaren" Tochter, um die sich - in einer andern Achse - der Film in Wirklichkeit dreht, die alles noch postum bewegt (obwohl sie tot ist, wie sich dann herausstellt) und der Verlobte, der nur am Anfang und am Schluß die Bühne betritt. Umso mehr zählt die Leistung, in so wenig Zeit so viel Charakter auf die Leinwand zu bringen. Gerade in der Darstellung eines Mannes, der einfach nicht zur Welt der Proponentin paßt, obwohl er sie doch so liebt, und ihr ein "tolles" Leben bieten wollte weil könnte, von dem sie doch nur träumte. 
Oder? Wirklich? Sie wird es bald herausfinden. Sie wird herausfinden, daß ein Schriftsteller nicht geglättete Lebenswege möchte, ja gar nicht verträgt. Sie findet heraus, daß es in so einem Leben darum geht, FÜR JEMANDEN zu schreiben. Weil es in jedem Leben darum geht, FÜR JEMANDEN da zu sein. Jeder Schriftsteller (wie jeder Künstler, Anm.) lebt FÜR EIN PUBLIKUM, weil FÜR JEMANDEN. Das macht den Zeitbezug seiner Werke aus, und das prägt ihn.
Die Geschichte: Eine Londoner Schriftstellerin am Beginn ihrer Karriere, also voller Bangen und Hoffen und Unsicherheiten - auch über diese Phase im Leben eines Schriftstellers erzählt der Film sehr wahrhaftig und gut - erlebt nach einem ersten zaghaften Erfolg, der ihr immerhin etliche Leserreisen bringt (woran ihr sehr rühriger Verlobter kräftig arbeitet) eine Überraschung: Sie erhält einen Brief von einem (bescheidenen) Mann von der Insel Guernsey. Der ihr erzählt, daß er ein Buch mit einem Besitzereintrag von ihr gefunden hat. Daraus entwickelt sich ein Schriftverkehr, in dem die Schriftstellerin feststellt, daß der ihr Unbekannte ein Seelenverwandter ist.

Was sie sogar dazu bringt, der Sache nachzugehen. Sie beschließt kurzerhand, eine nächste Lesereise abzusagen, um auf die Kanalinsel zu fliegen. Nicht ohne beim Abschied, in einer Sekundenentscheidung (die eher ein Nachgeben ist) ihrem Verlobten das Ja-Wort gibt.

Als sie ankommt, scheint erst einmal alles eine Enttäuschung zu sein. Der Empfang ist kühl, alles sonst sperrig. Nur ihr Briefpartner ist, was sie erwartet hat. Nein, er ist mehr, als sie erwartet hat. Wenn auch "nur" ein einfacher Bauer, der mit einem Mädchen (das nicht seine leibliche Tochter ist, wie sich herausstellt) auf einem kleinen Gehöft lebt.

Sehr rasch baut sich eine Vertrautheit auf. Die ihr allmählich auch die Geschichte hinter diesem Mädchen offenbart. Sie ist die Tochter einer Guernseyerin, die Mitglied des Buchclubs ist, die sich während der Zeit der deutschen Besatzung in einen Offizier der Wehrmacht verliebt hatte. Dessen Kind ist das Mädchen auch. Die Dorfbevölkerung war gespalten. Die meisten lehnten diese Kollaboration ab, einige aber standen zu der jungen Frau.

Die aber schließlich verraten wurde. Der Offizier wurde daraufhin versetzt (und fiel bald darauf), und die junge Frau landete in Ravensbrück. Wo sie erschossen wurde, als sie dort ein (fremdes) Mädchen vor Gewalt schützen wollte.

Ein wunderbarer, köstlicher, amüsanter, liebevoll gemachter und erzählter Film mit diesem unnachahmlich-echten, unendlich liebenswerten Englisch der Individualisten und schrulligen Typen, die nicht in der eigenen nächsten Nachbarschaft zu haben man sofort bedauert. Aber ist es wirklich ein Bedauern? 

Ist es nicht vielmehr der Mahnruf, daß doch der Nachbar, der uns nervt, die Frau Navratil von der 6er Stiege, die einem immer so blöd nachgafft, der Herr Schebesta von der Krausstraße mit seinem langweiligen Erzählen der immer wieder selben Geschichte, in diesem schnarrigen Ton ... sind nicht die auch so liebenswert?
Liefert andererseits die Replik auf eine Denunziationsatmosphäre, in der jeder jeden verraten könnte, und die als soziales Sprengmittel lange nachwirkt, in Zeiten der Corona-Krise und totaler "sozialer Distanzierung" nicht sogar recht aktuelle Bezüge? Naja, gut, das ist vielleicht weit hergeholt. Oder doch nicht? Sind wir nicht gerade heute, gerade jetzt, in diesen Frühlingstagen des Jahres 2020, besetzt, wie Guernsey es von 1941 bis 1944 war?
Man muß nur heraussteigen aus der trägen Verlorenheit in die Oberflächenwasser, ein wenig zurücktreten ... und schon entsteht vielleicht auch vor unseren Augen eine solche entzückende Welt. Und vielleicht stellen wir sogar fest, daß wir eigentlich, eigentlich mitten in einem solchen Leben stehen? Wie jene Mitglieder des "Guernsey Buchclub der Freunde von Dichtung und Kartoffelschalenauflauf."

Ein Club der 1941 auf der Kanalinsel Guernsey, der einzige original britische Boden, den die Wehrmacht je besetzt gehalten hat, entstanden ist. Um nach einem - für jene Zeit - Festgelage, nämlich der Verschmausung eines zuvor am Dachboden einer alten Dame geheim aufgezogenen Schweines, den Kontrollen der deutschen Besatzer "plausible Antworten" über ihre Zusammenkunft geben zu können. In dieser dunkelen Nacht wird der Clubname, erfunden. Aber nun muß man aus der Erfindung eben wirklich einen solchen Club machen. Es würde doch sonst auffallen?!

Aus dieser Notlösung wird jedoch ein Freiheitsraum, in den sich viele flüchten, um in einer bedrückenden Welt der Sorge und der Angst noch die Luft des Geistes zu atmen, der einen alles durchstehen läßt. Es gibt eben keine besseren Verbündeten als Bücher. Und ... films? Really? Do they? Perhaps. Maybe. If they are a kind of nostalgic.

Ein Tip: Wenn sie auch nur so halbwegs des Englischen mächtig sind, suchen sie eine Originalfassung. Dann verdoppelt sich der Genuß durch ein witziges, pointenreiches, höchst gepflegtes (und leicht verständliches) "very british"-Englisch! Passen Sie auf, die Feiertage, die Quarantäne wird Ihnen noch zu kurz erscheinen, mit solch einem großartigen Zeitvertreib, der ihr Herz wahrlich aufhellen und bewegen wird.

"Manners hold our society together. That, and a reliable postal letter service."





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